Im Zuge des Kriegs in der Ukraine wurden drastische Sanktionen gegen russische Wirtschaftsunternehmen wie auch Banken verhängt. Diese Maßnahmen betreffen auch Unternehmen in Deutschland und ihre Treasurer. Gerade die komplexe Abkopplung einiger russischer Institute vom SWIFT-Netzwerk sorgt für Risiken und Probleme. Für viele deutsche Unternehmen ist es – auch aufgrund verschachtelter, globaler Lieferketten – kaum absehbar, ob entlang der Wertschöpfungskette Zahlungsschwierigkeiten auftreten (können).
Anders als im Bankensektor, wo in der Folge der letzten Finanzkrise Frühwarnsysteme für Interbankentransaktionen geschaffen wurden, verfügen Unternehmen und insbesondere KMUs über solche Vorsichtsmaßnahmen in der Regel nicht.
Wir sprachen mit Regine Hilgers und Christian Piller über die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf die Wertschöpfungsnetze und Zahlungstransaktionen. Regine Hilgers ist Spezialistin für den Bereich Credit Management beim Softwareunternehmen Collenda. Christian Piller ist Product Director im Bereich Banking bei Collenda.
Der Arabische Frühling führte bereits im Jahr 2011 zu massiven Störungen in der Wertschöpfungskette der Automobilindustrie, da ein großer Anteil der Kabelbäume in Ägypten und Tunesien produziert wurden. Nun stellt sich heraus, dass große Anteile dieser "Nervensysteme" für ein Auto heute in der Ukraine produziert werden. Der Ukraine-Krieg hat nun ein weiteres Mal zu einer massiven Störung der Supply Chain geführt. Beschäftigen sich Unternehmen zu wenig mit geopolitischen Risiken? Verfügen sie über keine wirksamen Frühwarnsysteme?
Piller: Sicherlich haben wir zuletzt extreme Ausnahmesituationen erlebt. Die Pandemie wie auch die Ukraine-Krise legen die Verwundbarkeit global vernetzter Wirtschaftsströme offen. Unternehmen unterliegen wirtschaftlichen Vorgaben, wollen und müssen kosteneffizient wirtschaften. Ich glaube aber, dass die Vorkommnisse noch einmal dazu führen werden, dass Risikomodelle überprüft und angepasst werden. Es darf aber nicht vergessen werden: Risikomodelle haben bei Russland und der Ukraine längst Alarm geschlagen. Russland etwa konnte man bereits seit einiger Zeit nicht mehr versichern. In diversen Branchen – sei es Pharmazie oder Energieversorgung – wird man in Zukunft Versorgungssicherheit noch höher priorisieren. Der Aspekt "Kosteneffizienz" wird entsprechend nachgelagert. Man wird sich genau überlegen, ob man sich von einzelnen Zulieferern abhängig machen möchte. Auch Banken schauen wieder vermehrt darauf, lassen diese Fragen verstärkt in Ratings einfließen.
Vom US-amerikanischen Nuklearstrategen, Kybernetiker und Futurologen Herman Kahn ist das folgende Zitat überliefert: "Aus der Vergangenheit kann jeder lernen. Heute kommt es darauf an, aus der Zukunft zu lernen." Lernen Unternehmer zu wenig aus potenziellen zukünftigen, Szenarien? Schauen Unternehmen zu stark in den Rückspiegel, um Risiken zu bewerten?
Piller: Ich glaube nicht, dass man Unternehmenslenkern vorwerfen kann, dass Sie im 21. Jahrhundert einen Krieg in Europa nicht haben kommen sehen. Dies ist trotz aller globaler Konflikte ein echter "schwarzer Schwan". Klumpen- und Länderrisiken werden aber in Zukunft noch größere Beachtung finden müssen, diese gilt es zu umschiffen.
Christian Piller ist Product Director im Bereich Banking bei Collenda
Hilgers: Bei Einzelaspekten verwundert es schon, dass Unternehmen, Behörden, Ratingagenturen und Verbände extrem schlecht vorbereitet sind: Die Abkopplung russischer Banken von SWIFT trifft den hiesigen Mittelstand hart, da Forderungsmanagementsysteme kaum in der Lage sind, die Gefahren der Transaktionsflüsse abzubilden. Ein Treasurer hat im Regelfall nur IBAN und BIC von Partnerunternehmen hinterlegt, damit Zahlungen an Lieferanten geleistet werden können. Aber kann man entlang der Wertschöpfungskette erkennen, ob ausgeschlossene Banken mögliche "Stolperfallen" darstellen? So läuft man etwa Gefahr, Waren zu senden – kann jedoch keine Zahlung erhalten, sofern Kundenkonten direkt bei sanktionierten Banken oder deren Tochtergesellschaften Konten haben.
Piller: Was Unternehmen heute hart treffen kann, hat man im Interbankenzahlungsverkehr seit der Krise 2009 bereits durch Sicherheitsmechanismen weitgehend minimiert.
SWIFT ist Dreh- und Angelpunkt in der globalen Finanzwelt, denn ohne SWIFT ist keine Auslandsüberweisung mehr möglich. Was sind konkrete Auswirkungen einer Abkopplung russischer Institute vom SWIFT-Netzwerk?
Piller: SWIFT ist in der Tat das Rückgrat des globalen Zahlungsverkehrs, es sichert die Kommunikation der Banken untereinander ab. Ziel ist es ja, Russland wie auch Belarus wirtschaftlich weitgehend zu isolieren. Für russische Unternehmen sind Transaktionen damit heute kaum mehr möglich. Damit sind Handelsbeziehungen – etwa mit deutschen Spielern – teilweise zum Erliegen gekommen.
Hilgers: Leider impliziert die Maßnahme auch, dass hiesige Firmen in vielen Fällen ihr Geld beispielsweise für gesendete Waren nicht mehr erhalten. Betroffen sind natürlich auch Unternehmen, die gar nichts direkt mit Russland zu tun haben, jedoch auf Services von betroffenen Banken bzw. deren Töchter angewiesen sind. Hier trifft der SWIFT-Ausschluss in ganz Europa Unternehmen in zweiter Linie, die eigentlich nicht auf der Sanktionsliste stehen sollten.
Regine Hilgers ist Spezialistin für den Bereich Credit Management beim Softwareunternehmen Collenda
Welche Risiken resultieren hieraus für KMUs – insbesondere vor dem Hintergrund hoch komplexer und verschachtelter Supply Chains?
Hilgers: Ein genanntes Szenario ist natürlich, dass Partnerunternehmen ihre Zahlungen schlicht nicht mehr leisten können. Unternehmen erhalten für geleistete Dienstleistungen oder Waren nicht ihr Geld. Es ist leicht zu antizipieren, dass die Maßnahmen zu massiven Verwerfungen entlang verschiedenster Wertschöpfungsketten führen. Lieferketten werden unterbrochen, verlagern sich – Unternehmen müssen ad hoc neue Optionen suchen. Das dauert seine Zeit und führt zu höheren Kosten. Die Pandemie hat hier ja bereits in einzelnen Branchen einen Vorgeschmack gegeben – denken Sie etwa die Chipkrise.
Ist das von der Russischen Zentralbank initiierte Zahlungsnetzwerk SPFS eine Alternative? Immerhin sind hier seit 2018 alle russischen Banken und auch einige ausländische Banken angeschlossen.
Piller: Es könnte eine Alternative sein, allerdings müssten hiesige Banken auf diese Systeme vertrauen. Allerdings Wir sehen wir ja bereits heute, dass die globalen Player diverser Branchen wie Coca-Cola, McDonald‘s oder Apple Russland bereits rigoros meiden – ohne regulatorischen Druck. Eine Bank in Europa kann es sich aus Reputationsgründen nicht leisten, sich auf Systeme aus Russland oder China einzulassen.
Sind das chinesische Transaktionsnetzwerk CIPS oder auch klassische Kryptowährungen, wie Bitcoin oder Ethereum, eine Alternative?
Hilgers: Fangen wir mit den Kryptos an. Diese können eine Alternative darstellen. Allerdings sind die Risiken offensichtlich. Denken Sie an die Volatilität – diese liegt noch weit über der Volatilität des S&P 500, der schon an sich als volatil gilt! Mit diesen Schwankungen wird kein Treasurer gerne umgehen. Hinzu kommt, dass es im Mart nach wie vor verschiedene "schwarze Schafe" gibt. Fraglich ist außerdem, ob die aktuell von Unternehmen verwendeten Systeme dies überhaupt hergeben?
Piller: Diese ist für Creditmanager hierzulande bis dato gar kein Thema – Cash ist hier weiterhin King. Treasurer eines KMUs werden ferner wenig Ambitionen haben, sich in der Welt der Kryptos ad hoc zurechtzufinden. Bei den Möglichkeiten von CIPS gelten ähnliche Vorbehalte wie beim russischen Pendant. Auch hier dürften westliche Player zögern, etwa Reputationsschäden fürchten, sofern Sanktionen umgangen werden. Allerdings glaube ich schon, dass es hier Ausweichbewegungen geben kann. Den Ausfall von SWIFT wird es sicher nicht kompensieren können. China dürfte dennoch ein Gewinner der Krise sein.
Welche alternativen Wege haben Unternehmen, Rechnungen russischer Lieferanten zu bezahlen?
Hilgers: Die Ausweichbewegungen über Drittstaaten könnten im geringen Umfang stattfinden. Nicht ausgeschlossen sind gar Bargeldzahlungen. Klar ist jedoch, wir bewegen uns hierbei in ganz unsicheren Gewässern. Es muss klar gesagt werden: Der Einschnitt ist gravierend! Insbesondere in Russland sind die Auswirkungen extrem hart. Dies will man schließlich auch erreichen.
Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) geht von über 200.000 ukrainischen Lkw-Fahrern aus, die nun zum Teil nicht mehr zur Verfügung stehen. Dies wird nicht unerhebliche Auswirkungen auf die eh bereits stark gestörten Lieferketten haben. Wo sehen Sie kritische Auswirkungen auf die Unternehmen? Und was würden Sie Unternehmen empfehlen?
Piller: Stark gestörte Lieferketten werden zu mehr Lagerhaltung führen: Bilanzen verlängern sich. Kosten werden weiterhin steigen. Die Lohn-Preisspirale ist bereits angezogen – wir können kaum überblicken, wohin diese Problematik mittelfristig führen kann. Die Krise stellt eine massive makroökonomische Herausforderung dar – sie zeigt sich auf vielen Ebenen. Auch bei den Lkw-Fahrern.
Deutsche und EU-Banken gelten als vergleichsweise gut auf die Russland-Sanktionen vorbereitet. Wie bewerten Sie die Auswirkungen der Sanktionen auf den Bankensektor, insbesondere hinsichtlich möglicher Verbindlichkeiten russischer Banken gegenüber ihren europäischen Gläubigern. Wie bewerten Sie die Vorbereitung der Industrie, insbesondere von KMUs auf die Sanktionen?
Piller: In der Tat zeigen sich die Banken gut aufgestellt. Allerdings ist das Russlandrisiko in den Bilanzen hiesiger Player ohnehin eher gering. Dennoch werden Banken Ausfälle in Kauf nehmen müssen, darüber hinaus wird man Kredite umstrukturieren, neue Fristen festsetzen. Ein anderes Bild zeigt sich im europäischen Bild. Hier gibt es durchaus Player, die sehr stark engagiert sind. Die Raiffeisenbank in Österreich hat beispielsweise ein sehr großes Russlandengagement und wird daher sehr hart getroffen.
Hilgers: Bei Unternehmen sehen wir, dass die meisten Kreditversicherungen bereits zum Jahresbeginn abgesprungen waren. Als letzte Absicherung stieg auch Euler Hermes Bund aus. Man darf daher hoffen, dass relativ wenig Transaktionen vorgenommen wurden. Die Folgerisiken könnten in den nächsten Monaten jedoch zum Tragen kommen. Russland wird in den Lieferketten auf absehbare Zeit keine Rolle mehr spielen können.
Was empfehlen Sie Kredit- und Risikomanagern, wie Sie mit den aktuellen Szenarien umgehen sollten? Was sind die "Lessons learned" für das Risikomanagement?
Hilgers: Das Riskmanagement muss gestärkt aus der Krise hervorgehen, muss in Zukunft noch mehr Gewicht bei Geschäftsentscheidungen von morgen haben. Die Systeme müssen angepasst werden, Länderrisiken müssen stärker beachtet werden – nicht nur als Portfoliorisiken. Bankverbindungen der Kunden bedürfen einer viel stärkeren Prüfung. De facto wird dies heute fast gar nicht erfasst! Um Folgerisiken aufdecken zu können, müssen sämtliche Geschäftsverbindungen zu Banken der Partnerunternehmen hinterlegt sein. Dieses Thema ist bis heute tatsächlich Neuland – insbesondere im internationalen B2B-Geschäft!
Wir sehen ferner, dass man sich wieder stärker um Notfallpläne kümmern muss. Wie kann man auf alternative Zulieferer etc. zurückgreifen, wie lassen sich Geschäftsbereiche absichern? Im Zuge vom Outsourcing spielten Länder wie die Ukraine und Russland eine Rolle, auf einmal brechen Geschäftsbereiche wie etwa die IT gänzlich weg. Aus Krisen wird man hier tatsächlich lernen müssen.