Seit es Unternehmen und Bilanzen gibt, werden Jahresabschlüsse mit höchster krimineller Energie und scheinbar unerschöpflicher Kreativität gefälscht. Ahold, Enron, Xerox, Tyco, Adelphia Communications, AOL Time Warner, Flowtex, Parmalat, WorldCom, SairGroup, ABB, Coop,EM.TV, Zapf Creation, NICI, Schieder Möbel Holding, Beluga Shipping, Hess – Unternehmen, die durch spektakuläre Bilanzskandale traurige Bekanntheit erlangten. Der Schaden ist nicht nur für Gläubiger und Aktionäre enorm. Durch den hohen Vertrauensverlust sind auch Unternehmen stark betroffen, die korrekt bilanzieren. Zunehmend geraten aber auch Prüfer in die Schusslinie, weil sie selbst offensichtliche "Red Flags" häufig übersehen.
Wie aber gehen Bilanzfälscher eigentlich vor? Wann wird es kriminell? Welche Umstände und Ursachen befördern kriminelles Handeln, wie effektiv ist der aktuelle Rechtsrahmen? Wie sind typische Tatabläufe, wann wird ein Bilanzbetrug offensichtlich? Welche Indikatoren und "Red Flags" weisen auf Bilanzfälschungen hin, welche Warnsignale werden oft übersehen? Welche Verantwortlichkeiten ergeben sich im Sinne der Grundsätze guter Corporate Governance?
Das Buch von Peemöller und Hofmann skizziert in einer zweiten und erweiterten Auflage insgesamt 33 Einzelfallstudien von Bilanzskandalen aus verschiedenen Ländern. Zunächst jedoch werden im ersten Kapitel des Buches Begrifflichkeiten wie etwa Wirtschaftskriminalität, Bilanzdelikt/-skandal, "Window dressing" und die Begriffe progressive und konservative Bilanzierung definiert, die für das Verständnis des Buches wichtig sind. Trotz der rund 400 Seiten beschränken sich die Autoren bei der Darstellung der Einzelfälle in den Kapiteln 2 und 3 auf die wesentlichen Aspekte. Eingeleitet werden alle Fälle durch eine kompakte Tabelle mit den wesentlichen Themen (Konstitution, Kurzbeschreibung der Bilanzmanipulation, Täter und Motiv). Anschließend werden jeweils – ausgehend von der Unternehmenshistorie – die Ausgangssituation der Manipulation, das konkrete Vorgehen sowie die Aufdeckung und die anschließenden Folgen dargestellt.
Im anschließenden vierten Kapitel werden – basierend auf den Einzelfallstudien – die Manipulationsmöglichkeiten in der Bilanz, der GuV, dem Anhang und Lagebericht in tabellarischen Übersichten in einer komprimierten Form dargestellt. Hierbei wird auch deutlich, dass viele Bilanzskandale nicht durch die Unternehmensüberwachungsorgane aufgedeckt wurden, sondern durch Recherchen von Wirtschaftsjournalisten (siehe Neue Heimat und Co op) oder durch Meldungen von ehemaligen Mitarbeitern.
Im anschließenden Kapitel 5 wird dann ausführlich auf die potenziellen Präventivmaßnahmen im Bereich der Corporate Governance eingegangen. Als wesentliche Komponenten gelten hier die Aktionäre bzw. die Hauptversammlung, die Unternehmensleitung, die interne Revision, der Aufsichtsrat, sowie die Abschlussprüfer. In diesem Kontext skizzieren die Autoren auch die Weiterentwicklung eines risikoorientierten Prüfungsansatzes zu einem Fraud- & Error-orientierten Prüfungsansatzes. Hat sich ein Verdacht auf kriminelle Handlungen bestätigt, so ist der Abschlussprüfer verpflichtet, hierüber unverzüglich den Aufsichtsrat zu informieren. Eine Offenlegung gegenüber Dritten (etwa Aktionären, Gläubigern oder der Staatsanwaltschaft) ist aufgrund der gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht des Abschlussprüfers gemäß § 43 I WPO, § 323 I HGB und § 203 I StGB unzulässig.
Als Fazit kommen die Autoren zu dem Schluss, dass gute Unternehmensführung durch Unternehmenspersönlichkeiten ("ehrbarer Kaufmann") die beste Maßnahme zur Vermeidung von Bilanzskandalen in der Zukunft ist. Mit dem Aufkommen des Turbo-Kapitalismus ging ein Moralverfall einher: in den "anonymen" Börsenmärkten zahlte sich Ethik nicht mehr aus und wurde eher als hinderlich angesehen. Und der Grat zwischen kriminellem Bilanzbetrug und legaler Bilanzmanipulation ist oft recht schmal. Denn auch die offiziellen Rechnungslegungsstandards IFRS beziehungsweise US GAAP bieten Interpretationsspielräume und Wege für Unternehmen, ihre Gewinne und Bilanzen auf legalem Wege zu manipulieren. Der Analyst hat jedoch auch hier die Möglichkeit beispielsweise mit Kennzahlen zu prüfen, wie hoch die Gewinnqualität ist. Eine Kennzahl ist beispielsweise die Accruals Ratio [= (Nettogewinn - Cash Flow aus operativer Geschäftstätigkeit - Cash Flow aus Investitionstätigkeit) / (Durchschnittliches Nettobetriebsvermögen)]. Je niedriger die Kennzahl, insbesondere im Benchmark zu anderen Unternehmen, desto besser ist die Gewinnqualität. Oder umgekehrt: Desto weniger Bilanzmanipulationen wurden betrieben.
Analog zur ersten Auflage ist das Buch in einer schnörkellosen und leicht verständlichen Sprache geschrieben. Insbesondere durch die 33 Fallstudien erhält das Buch eine hohe Praxisrelevanz und kann uneingeschränkt vor allem allen Unternehmenslenkern und Führungskräften, Aufsichtsratsmitgliedern, Wirtschaftsprüfern, Mitgliedern von Prüfungsausschüssen und auch Risikomanagern empfohlen werden.