Interview

Competitive Intelligence: Nichts am Hut mit Schlapphüten


Competitive Intelligence: Nichts am Hut mit Schlapphüten News

Gibt man in der Google-Bildersuche den Begriff "Competitive Intelligence" (CI) ein, fällt manches sofort auf: Zum einen viele Darstellungen mit Schachfiguren, Eisbergen und Lupen, zum anderen aber auch eine Unmenge von Regelkreisen, Ablaufdiagrammen und Pyramiden. Diese elaborierten Strukturierungen scheinen so gar nicht zu der immer noch verbreiteten Vorstellung zu passen, die Competitive Intelligence im Dunstkreis von Geheimdiensten verortet, deren Spione mit Fernglas und Abhörtechnik bewaffnet vor fremden Werkstoren Stellung beziehen.

Um der Öffentlichkeit ein anderes Bild von Competitive Intelligence zu vermitteln, aber auch um gleichzeitig sich selbst immer wieder kritisch zu hinterfragen, lädt das Deutsche Competitive Intelligence Forum (dcif) am 3. und 4. Juni zur Jahreskonferenz nach Berlin.

Die Redaktion des Kompetenzportals RiskNET sprach mit dcif-Vorstandsmitglied Dr. Carsten Deus über die neuesten CI-Trends und auch darüber, warum die Konkurrenzforscher mit Schlapphüten nichts am Hut haben.

>> Was verstehen Sie unter Competitive Intelligence?

<< Carsten Deus: Als Competitive Intelligence (CI) wird einerseits der systematische Prozess der Informationserhebung und -analyse bezeichnet, durch den fragmentierte (Roh )Informationen über Märkte, Wettbewerber und Technologien zu einem plastischen Bild des Unternehmensumfelds zusammengeführt werden. Themen sind dabei meist zukunftsorientierte Aussagen zu Wettbewerberpositionierungen, -intentionen und -strategien. Andererseits ist "Intelligence" das Endresultat dieses Prozesses – also das benötigte Wissen über Markt und Wettbewerb. Insbesondere werden Aussagen über die erwarteten Auswirkungen für das eigene Unternehmen und darauf basierende Handlungsempfehlungen getroffen.

Untersparten der CI sind Strategic Intelligence, Business Intelligence (Marktbeobachtung), Technical Intelligence (Erkennen von Technologietrends, etwa durch Patentanalysen), Human Intelligence (aktive und passive Gesprächsführung, Social Media) und Counter CI (Gefahrenabwehr).

>> Was ist das Ziel des Deutschen Competitive Intelligence Forum (dcif)?

<< Carsten Deus: Als eine Vereinigung von Praktikern aus der Industrie und Dienstleistern soll das dcif eine breite Plattform für CI im deutschsprachigen Raum sein. Ziel ist es, CI in Deutschland voranzutreiben, wo sie im Gegensatz zu Ländern wie beispielswiese UK, Frankreich oder den USA noch nicht weit verbreitet ist. Vor allem der deutsche Mittelstand hat auf diesem Feld noch einen enormen Nachholbedarf.

Dabei will das dcif sowohl Einsteigern einen schnellen Start in die Materie ermöglichen als auch gestandenen CI Professionals einen regen und anregenden Erfahrungsaustausch innerhalb der Community bieten. Des Weiteren hält das dcif permanenten Kontakt zu Schwesterorganisationen wie beispielsweise SCIP (international), CPCI (Portugal) und SCIA (Schweiz).

>> Studien zeigen immer wieder auf, dass der deutschen Wirtschaft durch illegalen Know-how-Transfer jährlich ein Schaden von etwa 20 bis 50 Milliarden Euro entsteht. Es ist davon auszugehen, dass das Dunkelfeld wesentlich höher ist. Inwieweit unterscheiden sich Ihre Dienstleistungen von solchen wirtschaftskriminellen Aktivitäten? Schließlich ist in einigen Ländern "Wirtschaftsspionage" verfassungsrechtlich verankert.

<< Carsten Deus: Das dcif – das ja selbst keine CI-Dienstleistungen anbietet, sondern ein eingetragener Verein ist– lässt sich von allen Mitgliedern schriftlich bestätigen, sich in Ausführung seiner CI-Aktivitäten streng nach dem SCIP Code of Ethics zu verhalten.

Damit ist jegliche Form von Wirtschaftsspionage, Geheimnisverrat, unethischem Verhalten und Betrug streng untersagt. Im Gegenteil: Etlichen Bestrebungen einer soliden CI-Arbeit liegen Bemühungen um den Schutz gerade dieser betrieblichen Geheimnisse zugrunde. Das bedeutet Schulung im Bereich Gefahrenabwehr (Counter CI) sowie den Versuch, die Awareness der Beteiligten zu erwecken beziehungsweise zu steigern und ein allgemeines Bewusstsein bei allen Mitarbeitern der Firmen zu entwickeln.

Inwieweit Wirtschaftsspionage verfassungsrechtlich verankert ist, sei übrigens dahingestellt. Es ist aber bekannt, dass staatliche Organe auch westlicher Länder die heimische Wirtschaft schützen und unterstützen sollen, von der extrem unübersichtlichen Lage in vielen asiatischen Staaten mal ganz abgesehen.

>> Inwieweit unterscheiden sich die ethischen Richtlinien des Strategic and Competitive Intelligence Professionals (SCIP) von anderen Standardsettern im Bereich Ethik?

<< Carsten Deus: Momentan lehnt sich das dcif an den SCIP Code of Ethics an und verlangt von seinen Mitgliedern per Unterschrift dessen Einhaltung. Dieser Code beinhaltet unter anderem, sich an heimisches und internationales Recht zu halten, immer offen und ehrlich Namen und Organisation zu nennen, Interessenkonflikte bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu vermeiden und insgesamt die Reputation des Berufsstandes nicht in Verruf zu bringen oder gar zu gefährden. Eine eigene Richtlinie wird momentan in den Arbeitskreisen des dcif bearbeitet.

Inwieweit sich andere Organisationen an solche Richtlinien halten, ist nicht einheitlich zu beantworten. Schwarze Schafe gibt es aber leider immer, wie Fälle zeigen, in denen sogar Weltkonzerne den Müll von Konkurrenten durchwühlten, um an deren Firmengeheimnisse zu gelangen.

>> Welche Relevanz haben Social-Media-Analysen für CI?

<< Carsten Deus: Bisher ist das Thema Social Media noch nicht bei allen CI-Professionals angekommen. Entsprechende Analysen werden sich aber in kurzer Zeit vom "nice-to-have" zum "sine-qua-non" entwickeln. Denn: Egal ob ein Unternehmen selbst einen Bezug dazu hat oder nicht, ob es die verfügbaren Insights bereits nutzt oder nicht, die Wettbewerber werden es tun.

Mittlerweile gibt es zu fast allen Themen Informationsportale, Blogs oder Diskussionsgruppen. Social-Media-Analysen helfen, diesen Schatz an Informationen für die Beantwortung unterschiedlicher CI-Fragestellungen zugänglich zu machen. Sie haben sich deshalb zu gleichberechtigten Elementen im Werkzeugkasten des CI-Professionals entwickelt.

Selektives Querlesen einzelner Quellen führt aufgrund der schier unglaublich großen Menge und Vielfalt der im Social Web verfügbaren Informationen jedoch nur selten zum Ziel. Vielmehr ist ein systematisches Vorgehen bei der Informationssuche und -analyse erforderlich. Durch gezielte Einordnung, Verdichtung und Bewertung der Daten mithilfe von frei verfügbaren oder kostenpflichtigen Tools und professionellen Dienstleistern ergeben sich umfangreiche Insights.

So lassen beispielsweise gehäufte negative Kommentare zu einem Konkurrenzprodukt vermuten, dass es dort Probleme im Kundenservice gibt oder dass bestimmte Kommunikationsmaßnahmen nicht wie erhofft greifen. Auch die Profile und Aktivitäten von Mitarbeitern der Konkurrenz können Hinweise auf Produktentwicklungen oder Schwerpunktverlagerungen geben. Sie eignen sich zudem, um weitere CI-Analysen wie etwa persönliche Gespräche vorzubereiten.

Mein Tipp: Jeder sollte einfach mal nachschauen, welche Informationen über sein Unternehmen, sowie dessen Führungskräfte und Strategien frei im Netz verfügbar sind. Bessere Argumente für eine intensive Auseinandersetzung mit diesem Feld wird niemand finden. Demnächst wird auf der Homepage des dcif (www.dcif.de) übrigens ein neues Whitebook mit einer eingehenderen Betrachtung der Thematik veröffentlicht werden.

>> Was sind neben Social Media die wichtigsten Trends im Bereich CI?

<< Carsten Deus: Neben den Social-Media-Einträgen wird zunehmend natürlich auch alles das rechnergestützt analysiert, was heute unter dem Begriff Big Data subsummiert wird. Hinzu kommt der Trend zu einem echten Real-time-Monitoring. Früherkennung wird also künftig wörtlich genommen. Die wachsende Datenmenge und die enorme Geschwindigkeit ihrer Verbreitung haben ihren Ursprung auch darin, dass immer mehr Entscheidungsträger Informationen mit Hilfe mobiler Geräte bearbeiten und weiterleiten – und zwar weltweit. Der Einsatz dieser Devices ist auch ein Treiber für den CI-Trend, dass die Visualisierung in den Reports einen höheren Stellenwert bekommt. Um Ihre Frage vom Anfang aufzugreifen: CI muss also nicht nur "Intelligence" liefern, sondern auch intelligent aufbereitet sein.

 

Dr. Carsten Deus, Vorstandsmitglied Deutsches Competitive Intelligence ForumDr. Carsten Deus, Vorstandsmitglied Deutsches Competitive Intelligence Forum (dcif)

Carsten Deus ist geschäftsführender Inhaber von c.deus consulting - einem Unternehmen tätig auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes und von Competitive Intelligence (CI). Er ist Mitglied des Vorstands des dcif (Deutsches Competitive Intelligence Forum) sowie unter anderem Mitglied der internationalen Vereinigung SCIP (Strategic and Competitive Intelligence Professionals).

Nach dem Studium der Chemie promovierte Carsten Deus 1992 an der Universität Heidelberg. 1993 gründete er seine Firma, wobei er in den ersten Jahren auf dem Gebiet spektroskopischer Software und Datenbanken für die Chemische Industrie, Verlage und Hersteller von spektroskopischen Geräten tätig war. Von 1994 bis 1997 arbeitete er außerdem im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung als Ausbilder im Bereich Online-Datenbanken an deutschen Universitäten.

Seit 1997 liegt der Schwerpunkt seiner Arbeit in Fragestellungen des gewerblichen Rechtsschutzes für Industrie, KMUs und freie Patentanwaltskanzleien (Recherche, technische Patentbewertung, Patentportfolio- und Technologietrend-Erstellung, Consulting und Implementierung von Inhouse-Datenbanken). Seit 2001 sind Aufgabenstellungen im Bereich Competitive Intelligence dazugekommen, hauptsächlich Sekundäranalysen, Tradeshow Intelligence und Technical CI.

 

 

[Bildquelle oben: © fredredhat - Fotolia.com; Bildquelle unten: Carsten Deus]

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