Der israelische Historiker Yuval Noah Harari diskutiert in seinem Buch "Homo Deus – Eine kurze Geschichte von Morgen" die Frage, ob wir als Menschen einen freien Willen haben. Hararis Antwort ist klar und eindeutig: Nein. Wir sind nicht mehr und nicht weniger als ein kalkulierbarer Algorithmus. Unternehmen und Organisationen, die diesen Algorithmus entschlüsseln können, wissen anschließend, was das Beste für den Einzelnen ist. Auch dank den Fortschritten in der Biotechnologie und im Bereich der "Artifical Intelligence" könnte sich einige der heutige Homo sapiens zum gottähnlichen Homo Deus weiterentwickeln.
Ein Zusammenleben vom Homo Deus und Hoo Sapiens ist für Harari nur schwer vorstellbar. Das von ihm skizzierte Zukunftsbild präsentiert einen Homo Deus, der alles besser kann als wir. Algorithmen wissen viel besser über mich Bescheid weiß als ich selbst. In diesem Kontext wird auch der Glaube an Daten und Algorithmen zu einer neuen Religion, dem Dataismus, des Glaubens an Daten.
Doch was ist eigentlich ein Algorithmus? Jeder, der schon einmal programmiert hat, wird eine gute Vorstellung haben, wie ein Algorithmus funktioniert. Ein Computerprogramm ist ein in einer Programmiersprache (beispielsweise C++, Java, Python oder R) formulierter Algorithmus. Und jede Softwarelösung setzt sich aus vielen einzelnen Algorithmen zusammen. Und man wird diese Erfahrung zur Strukturierung eines Problems auch auf das allgemeine Denken übertragen. Das allgemeine "Problemlösungsdenken" wir durch einen solchen strukturierten Ansatz beeinflusst.
Akademisch formuliert würde man sagen: Ein Algorithmus ist eine eindeutige Handlungsvorschrift, die aus endlich vielen und präzise formulierten sowie klar definierten Einzelanweisungen besteht, um zum Schluss ein Problem zu lösen. Im Bereich des Online-Shopping, der Suchalgorithmen im Internet, der Partnersuche und dem Erkennen von Krankheiten (beispielsweise Kreis) sind Algorithmen längst Teil unseres Alltags. Banken verwenden Algorithmen statt Menschen, um mit Aktien zu handeln, um sie möglichst schnell zu kaufen oder zu verkaufen. Die NASA nutzt Algorithmen, um Raumschiffe zu fremden Planeten zu schicken. Algorithmen steuern Flugzeuge und Autos. Sie helfen Chirurgen beim Operieren. Selbst kreative Dinge, wie beispielsweise Musk komponieren und Kunst erzeugen, übernehmen in der Zwischenzeit Algorithmen. Bereits heute haben Algorithmen die Art zu leben verändert und werden das in der Zukunft wohl noch stärker tun.
In dem Buch "Computational Thinking" lernt der Leser die wesentlichen Grundzüge und Vorteile des Computational Thinking kennen, also des analytischen und von Algorithmen geprägten Denkens. Im Kern geht es darum, dass realweltlicher Probleme identifiziert werden und anschließend mit Hilfe einer algorithmischen Lösung modelliert werden, so dass die Aufgabe mit einem Computer operationalisiert werden kann. Im Kern handelt es sich vor allem um ein anderes, sehr strukturiertes Denken. Denn die Aufgabenstellung (beispielsweise die Aggregation von Risiken mit Hilfe einer stochastischen Simulation) muss methodisch so zurechtgelegt und strukturiert werden, dass es nach bestimmten formalen Vorgaben von einem Computer gelöst werden kann.
Das besondere an dem Buch ist, dass die Autoren das Thema äußerst unterhaltsam und anwendungsbezogen beschreiben, unter anderem das Denken in Algorithmen, Zerlegung, Abstraktion und Mustererkennung. Die Prinzipien werden anschaulich an Hand von Zaubertricks, Spielen und Rätseln, aber auch an echten, anspruchsvollen Problemen erklärt.
Nach der Lektüre des Buches hat man verstanden, das Computational Thinking ein Sammelbegriff für diverse lose zusammenhängende Problemlösungsstrategien ist, bei denen es primär darum geht, Algorithmen zu schaffen. Algorithmen sind deshalb so leistungsfähig, weil man, sobald man sie einmal entworfen hat, mit ihrer Hilfe Aufgaben erledigen kann, ohne weiter darüber nachzudenken. Das algorithmische Denken ist ein zentraler Bestandteil des Computational Thinking, doch auch andere Techniken gehören dazu. Wie zum Beispiel Abstraktion, Verallgemeinerung, Zerlegung und Evaluation. Es ähnelt sehr dem wissenschaftlichen Denken. Die Autoren verdeutlichen, dass man auch menschliche Stärken und Schwächen verstehen muss, um Computational Thinking nutzbringend einzusetzen. Es ist zudem eine äußerst kreative Tätigkeit.
Computational Thinking ist nicht die Art, wie Computer denken. Sondern es ist die Art, wie Menschen denken müssen, um Computer dazu zu bringen, erstaunliche Dinge zu leisten (siehe exemplarisch Deep Learning als Optimierungsmethode künstlicher neuronaler Netze, etwa im Bereich Sprach- oder Bilderkennung. Man könnte auch sagen: Zerlege eine Aufgabe in elementare Einzelschritte und bringe sie in die richtige Reihenfolge. Das Ergebnis ist dann ein Algorithmus. Und am Ende werden Maschinen "Computational Thinking" selbstständig betreiben. Womit wir dann wieder beim Homo Deus angekommen sind.
Ein solides Wissen über die Welt der Algorithmen wird viele Menschen dabei helfen ein "solides Halbwissen" zu erweitern. So kam eine Studie der Bertelsmann Stiftung zu dem Ergebnis, dass 73 Prozent der Befragten ein Verbot von sogenannten vollautomatisierten Entscheidungen, die nur von Software und ohne direkte menschliche Beteiligung getroffen werden, unterstützen würden. Unterm Strich denken nur 13 Prozent der Menschen in Deutschland, dass Algorithmen gerechtere Entscheidungen treffen als Menschen. Auf die Frage, was eigentlich ein Algorithmus ist und wie dieser funktioniert, hätten die Studienautoren voraussichtlich nur ein Schulterzucken hervorgerufen. Ähnlich wäre es bei einer Frage nach dem Begriff "Künstlicher Intelligenz". Jeder spricht darüber, doch nur die wenigsten wissen wirklich, worum es geht.
Fazit: Das Buch kann als praxisorientierte Einführung allen empfohlen werden, die eine unterhaltsame aber auch fundierte Einführung in die Welt des algorithmischen Denkens suchen. Ein exzellentes Investment, um die aktuelle Welt und auch die zukünftige Welt des Homo Deus besser zu verstehen.