"Einfach offen sein für Land und Leute." So heißt es auf den Internetseiten der "Westerwald Touristik-Service". Das war nicht immer so in der bewegten Geschichte des Westerwalds. Ein Beispiel liefert die Stadt Montabaur mit Sitz der Kreisverwaltung und Heimat des barocken Schlosses Montabaur. Im Dreißigjährigen Krieg wurde das Schloss von unterschiedlichen Kriegsparteien besetzt und geplündert. Und das trotz massiver Wehranlagen, dem "präventiven Risikomanagement" jener Zeit. Getreu dem Motto: "Viel hilft viel". Das änderte sich spätestens mit den immer besseren Waffen und Geschützen, worauf im Laufe der Zeit die befestigten Burgen nach und nach ihre Bedeutung verloren und immer stärker zu repräsentativen Wohnsitzen umgebaut wurden. So auch das Schloss Montabaur. Heute vereinen sich hier Geschichte, anspruchsvolles Design und modernste Technik miteinander – ein nahezu perfekter Ort für die Forschungskonferenz sowie das Offsite des Frankfurter Instituts für Risikomanagement und Regulierung (FIRM) am 30. Juni und 1. Juli 2016. Risikomanagement- und Regulierungsexperten aus Wissenschaft und Praxis diskutierten an zwei Tagen über die aktuellen und zukünftigen Themen sowie Trends aus der Welt der Risiken und Chancen. Ihr Fazit: Der Blick aufs Ganze ist entscheidend.
Die schwierige Messung von Risiken
Die von Professor Franke organisierte und moderierte FIRM-Forschungskonferenz wurde durch drei Vorträge der Finalisten aus dem Kreis der Kandidaten des FIRM-Forschungspreises 2016 eingeleitet. Die Auszeichnung ist deutschlandweit der erste Preis, der für wirtschaftswissenschaftliche Forschungsarbeiten in den Themenfeldern Risikomanagement und Regulierung einschließlich Compliance von Finanzinstituten vergeben wird.
Josef Korte stellte die wesentlichen Ergebnisse seiner Promotionsarbeit "Wishful Thinking or Effective Threat? Tightening Bank Resolution Regimes and Bank Risk Taking" vor. In diesem Forschungsprojekt wurde analysiert, inwieweit sich Änderungen der Bankinsolvenzregulierung auf die Risiko- und Investitionsentscheidungen von Geschäftsbanken auswirken. Konkretes Beispiel ist die Einführung der "Orderly Liquidation Authority" (OLA) in den USA im Rahmen der generellen Überarbeitung des US-Bankregulierungsregimes nach der internationalen Finanzkrise (Dodd-Frank Act). Mit der OLA findet eine Ausdehnung eines geordneten (und in der Vergangenheit hundertfach angewendeten) Bankeninsolvenzverfahrens auf Finanzinstitute statt, für die es vorher kein spezialisiertes Abwicklungsverfahren gab. Unter Nutzung eines ausführlichen Datensatzes für rund 7.000 Banken in den USA (der von der Regulierungsbehörde zur Verfügung gestellt wurde) konnte von Korte empirisch nachgewiesen werden, dass Banken, die von der Einführung der OLA besonders stark betroffen sind, das Gesamtrisiko ihrer Geschäftsmodelle signifikant reduzieren. Damit scheint die reine Verfügbarkeit eines geeigneten Abwicklungsmechanismus das Risikoverhalten der Banken generell zu beeinflussen. Allerdings findet sich dieser Effekt nicht bei den größten und systemisch relevantesten Banken. Das vieldiskutierte "Too-big-to-fail"-Phänomen scheint daher mit der Einführung der OLA nicht gelöst zu sein.
Philipp Schuster analysierte schließlich in seinem Vortrag "Measuring Liquidity in Bond Markets" die Liquidität von Anleihemärkten in den USA und Deutschland. In illiquiden Marktphasen sind Investoren sowohl mit höheren Handelskosten als auch mit Wertverlusten ihrer Anleihen konfrontiert. Ein effektives Liquiditätsrisikomanagement erfordert deshalb zum einen die genaue Erfassung und Messung von Liquidität, zum anderen sollen die Auswirkungen von Illiquidität auf Anleihepreise besser verstanden werden.
Da bislang ein einheitliches Konzept zur Messung von Liquidität auf dem Anleihemarkt fehlt, wurden in der wissenschaftliche Untersuchung zunächst die etablierten Ansätze zur Liquiditätsmessung empirisch miteinander verglichen und Empfehlungen zur Wahl eines geeigneten Liquiditätsmaßes erarbeitet. Banken und Versicherungen werden damit in die Lage versetzt, die Liquidität ihres Anleihe-Portfolios kontinuierlich überwachen zu können.
Darüber hinaus werden die durch Illiquidität ausgelösten Preisabschläge von Anleihen betrachtet und Implikationen für die Steuerung von Liquiditätsrisiken entwickelt.
Nils-Christian Detering wies in seinem Vortrag "Model Risk of Contingent Claims and Risk Minimizing Hedging Strategies" darauf hin, dass die Modellwahl und Modellparametrisierung eine potenzielle Risikoquelle bei der Bewertung von (Markt-)Risiken darstellt. Es gilt daher, die möglichen Verluste im Zusammenhang mit dieser Art von Modell-Fehlspezifikation entsprechend zu quantifizieren. Entwickelt wurden Maße für die Bewertung des Modellrisikos anhand der potenziellen P&L, die eine abgesicherte Position generiert. Im Wesentlichen wird durch Hedging das Marktrisiko der Position eliminiert. Eine etwaige verbleibende P&L ergibt sich demnach aus Absicherungen im Rahmen eines fehlspezifizierten Modells. Durch Wahrscheinlichkeitsgewichtung des Absicherungsfehlers gegenüber einer Reihe möglicher Modelle wird eine kombinierte Wahrscheinlichkeitsverteilung dieser "Rest-P&L" erzeugt. Diese dient schließlich als Grundlage für die Berechnung von Modellrisikomaßen, wie etwa dem Value at Risk oder dem Expected Shortfall.
"Ein solches Risikomaß hat den Vorteil, dass das Modellrisiko mit den anderen Risikoarten aggregiert werden kann", erklärt Wolfgang Hartmann, Vorstandsvorsitzender FIRM. Es trage damit zu einer ganzheitlichen Einschätzung der Risiken in den Handelspositionen bei und könne dazu verwendet werden, eine geeignete Kapitalunterlegung für unerwartete Verluste durch Modellrisiken zu bestimmen.
Belohnungsstruktur beeinflusst Entscheidungen
Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile, wusste bereits der große Philosoph Aristoteles. Nach der Mittagspause beschäftigte sich Bernd Weber, Professor und Neurowissenschaftler an der Universität Bonn mit den biologischen Einflüssen auf individuelles reales Anlageverhalten. Ganzheitliches Denken bedeutet auch mit beiden Gehirnhälften zu denken – links mit dem rationalen und analytischen Denken und rechts mit dem Vermögen an Phantasie und Kreativität.
Entscheidungen für oder gegen spezifische finanzielle Anlagen werden durch unterschiedlichste Faktoren beeinflusst, etwa das soziale Umfeld, verfügbares Vermögen, Bildung oder Persönlichkeit. In den letzten Jahren ist durch die Zusammenarbeit der Lebens- mit den Sozialwissenschaften auch die biologische Heterogenität stärker in den Fokus der Forschung gelangt. In der Zwischenzeit wird immer besser verstanden, welche neuronale Basis risikobehaftete – und auch spezifisch finanzielle – Entscheidungen haben.
So untersucht Bernd Weber beispielsweise, welche Regionen im Gehirn bei der Bewertung von Entscheidungsoptionen eine Rolle spielen. Wie werden Risiken und Unsicherheiten in Bewertungsprozesse integriert? Die Wissenschaftler der Universität Bonn beschäftigen sich in verschiedenen Studien mit dem Zusammenhang von neurobiologischen Unterschieden in der Wahrnehmung und Prozessierung von Risiken im Labor und im realen Kontext.
In einem Laborexperiment konnte mittels Blickbewegungsmessungen und funktioneller Kernspintomografie gezeigt werden, wie Informationssuchprozesse bei Lotterieentscheidungen mit der neuronalen Reaktion auf Gewinne und Verluste zusammenhängen.
Personen unterscheiden sich in der Aufmerksamkeit, die sie auf mögliche Gewinnhöhen und die Wahrscheinlichkeiten für deren Eintreten richten. Manche Personen richten dabei eine stärkere Aufmerksamkeit auf die Beträge, während andere mehr auf die Eintrittswahrscheinlichkeiten achten. Das Experiment machte erstmalig deutlich, dass diese Aufmerksamkeitsprozesse mit der Reaktion in Belohnungsstrukturen des Gehirns zusammenhängen: Die Belohnungsstrukturen des Gehirns sind essenziell für die Motivation von Verhalten.
Betrachtung aus der Distanz hilfreich
Kai Wilhelm Franzmeyer, viele Jahre CEO der Portigon AG, setzte sich in seinem Vortrag mit der Umsetzung von Abwicklungsplänen in der Realität auseinander. "Wenn Sie Probleme und Schwachstellen einer gefährdeten Bank finden wollen, hilft eine Betrachtung aus der Distanz. Dies erleichtert den Fokus auf das Wesentliche", war seine Empfehlung an die Teilnehmer der Forschungskonferenz der Gesellschaft für Risikomanagement und Regulierung e.V.
Am Beispiel der Hypo Real Estate (HRE) und der WestLB analysierte er die primären Ursachen für die Krise. Zur kurzfristigen Refinanzierung langfristiger Kredite diente das Geschäft mit institutionellen Anlegern. Große Teile der langlaufenden Wertpapierbestände der HRE waren über Repo-Geschäfte – also ebenfalls kurz – finanziert. Fatal, wie sich während der Banken- und Finanzmarktkrise zeigte. Ein geringer Preisverfall bei den Anleihen genügte, um die Liquidität aufzuzehren. Ein Downgrading erst recht. "Die großen Probleme haben einfache Anlässe", so die Erkenntnis von Franzmeyer. In der Krise ist vor allem ein effektives Notfallmanagement mit Bereitstellung von Liquidität und Kapital erforderlich. Dies erlaubt eine wertschonende Behandlung von Problemportfolios. Und insbesondere die Reduktion von Komplexität ist ein entscheidender Erfolgsfaktor in Krisensituationen.
Risiko ist unser Geschäft
"Banken konkurrieren seit jeher um die richtige Einschätzung von Risiken. In gewisser Weise gilt, Risiko ist unser Geschäft", so Wolfgang Kirsch, Vorsitzender des Vorstands der DZ BANK und Laudator bei der Verleihung des FIRM-Forschungspreises 2016.
Kirsch wies darauf hin, dass Risiken per se nichts Schlechtes sind. Denn Risiko hat immer zwei Seiten: Die Chancen- und die Gefahrenseite. Eine originäre Aufgabe der Banken besteht in der Risikotransformation. Und Risikomanagement heißt nicht Risikovermeidung oder gar -eliminierung.
"Bis 2007 hatten wir es vorrangig mit der Bewertung und dem Management von Einzelrisiken zu tun, wie zum Beispiel dem Zinsänderungs- oder dem Adressausfallrisiko auch in Extremszenarien, für sich betrachtet durchaus kalkulierbar. In der Finanzkrise wurde die existenzielle Bedeutung des Liquiditätsrisikos wieder sichtbar und damit auch die Sinnhaftigkeit der Goldenen Bankregel."
Kirsch zeigte in seinem Vortrag auf, dass wir uns heute einer zunehmend komplexen Risikosituation gegenüber sehen. Denn als unmittelbare Folge der Finanzkrise sind wir nicht mehr "nur" mit den klassischen Einzelrisiken konfrontiert, sondern haben es mit neuen, systemischen Risiken zu tun, die wir in einem Zusammenspiel noch gar nicht recht erfassen können, so der DZ-BANK-Vorstandsvorsitzende weiter. "Dazu tragen inzwischen massiv Geldpolitik und Regulierung und in diesen Tagen auch noch eine besondere Anhäufung geopolitischer Risiken bei."
Auch das Thema Niedrigzins beziehungsweise Negativzins scheint in Europa zu einem Dauerthema zu werden. "Während die Amerikaner inzwischen die Zinswende eingeläutet haben, hält die Europäische Zentralbank weiter an ihrer lockeren Geldpolitik fest. Deutlich zu sehen an der Ausweitung des Ankaufprogramms für Anleihen und dem (Straf-)Zins für Einlagen von Banken von - 0,4 Prozent. Aktuell liegen jetzt auch die Renditen für Bundesanleihen im negativen Bereich", so Kirsch weiter. Dabei sind die positiven gesamtwirtschaftlichen Effekte negativer Zinsen bisher nur schwer bestimmbar: "In Ländern wie Griechenland, Portugal oder Frankreich haben die niedrigen Zinsen bislang nicht zu spürbar steigenden Investitionen geführt. Gleichzeitig zeichnen sich die langfristigen gesamtwirtschaftlichen und politischen Kosten immer deutlicher ab, ganz gravierend etwa mit Blick auf die private und betriebliche Altersversorgung."
Banken sind in diesem Umfeld gefordert, zusätzliche Erträge zu generieren, etwa über höhere Provisionen – wenn der Markt, sprich der Kunde, das hergibt, Kosteneinsparpotenziale zu identifizieren und ihre Geschäftsmodelle zu vereinfachen, so das Zwischenfazit von Wolfgang Kirsch.
"Die EZB muss die Profitabilität der Banken im Blick behalten und diese Zinspolitik in den nächsten 12 bis 18 Monaten auslaufen lassen. Andernfalls erleidet sie – im Übrigen auch als oberste Bankenaufseherin in Europa – Schiffbruch. Denn aus diesen aktuellen Wirkungen der Geldpolitik und der Bankenregulierung könnte sich meines Erachtens die nächste Finanzmarktkrise aufbauen", so der eher pessimistische Ausblick des DZ-BANK-Chefs. Wünschenswert wäre seiner Ansicht nach, mehr Kontinuität in der Bankenregulatorik zu erreichen. Es sollten die Ergebnisse von Auswirkungsstudien abgewartet und bis sie vorliegen, eine Regulierungspause in Betracht gezogen werden.
Forschungspreis geht nach Karlsruhe
Unter der Schirmherrschaft des Hessischen Ministers für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung, Tarek Al Wazir, wurde am 30. Juni der Forschungspreis 2016 des Frankfurter Instituts für Risikomanagement und Regulierung (FIRM) verliehen. Der Forschungspreis zielt darauf ab, maßgebliche Beiträge zum besseren Verständnis von Risikomanagement und Regulierung im Finanzdienstleistungssektor zu fördern. Bewerben konnten sich Verfasser wirtschaftswissenschaftlicher Dissertationen, die mit summa cum laude oder magna cum laude an einer deutschsprachigen Universität promoviert wurden. Unter den eingegangenen Bewerbungen wurden in einer ersten Begutachtungsrunde die drei Dissertationen mit den besten Bewertungen ausgewählt. Anschließend präsentierten die drei Verfasser in Montabaur im Rahmen der öffentlichen Forschungskonferenz ihre Arbeiten und stellten sich einer kritischen Diskussion mit Vertretern aus der Finanzpraxis und Hochschulangehörigen.
Philipp Schuster konnte sich mit seiner am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) abgeschlossenen Dissertation "Liquidity in Bond Markets" durchsetzen, in der er die Liquidität von Anleihemärkten analysiert. Sowohl der Preisträger als auch der betreuende Lehrstuhl für Financial Engineering und Derivate unter der Leitung von Marliese Uhrig-Homburg erhielten als Preisgeld jeweils 15.000 Euro. "Die Arbeit vergleicht in sehr überzeugender Weise die Qualität verschiedener Liquiditätsmaße. Dazu nutzt sie einen sauber konstruierten Modellrahmen, mit dem der Einfluss von Laufzeit, Transaktionskosten und Investorenverhalten auf Handelsvolumina und Anleihepreise analysiert werden kann", sagte Jury-Vorsitzender Günter Franke, Professor für Internationales Finanzmanagement i.R. an der Universität Konstanz und Co-Beiratsvorsitzender von FIRM.
Mit einem Preisgeld von 5.000 bzw. 1.000 Euro wurden auch Josef Korte und Nils-Christian Detering sowie die betreuenden Lehrstühle ausgezeichnet. Korte von der Goethe-Universität Frankfurt untersucht in seiner von Mark Wahrenburg betreuten Dissertation in prägnanter Weise die Wirkung einer verschärften Bankaufsicht auf das Risikoverhalten von Banken. Detering beschäftigte sich in seiner Dissertation "Four Contributions to Quantitative Financial Risk Management", betreut von Natalie Packham und erstellt an der Frankfurt School of Finance and Management, mit aktuellen Fragestellungen des Risikomanagements von Finanzdienstleistern. Ein Hauptfokus der Arbeit liegt auf der Messung von Modellrisiken.
Autor:
Frank Romeike, Mitglied des Vorstands der Gesellschaft für Risikomanagement und Regulierung e.V. sowie verantwortlicher Chefredakteur der Zeitschrift RISIKO MANAGER.