Rund um das Thema Compliance wurde in den vergangenen Jahren eine nur noch schwer überschaubare Fülle an Compliance-Literatur veröffentlicht. Mitunter hat man das Gefühl den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen. Kritische Beobachter weisen darauf hin, dass in vielen Organisationen ein bürokratische Wasserkopf aufgebaut wurde und hierbei vergessen wurde, dass eine gelebte individuelle Verantwortungskultur die Basis jeder Complianceorganisation bildet. In diesem Kontext zitieren Kritiker die nicht ganz unzutreffende Feststellung des römischen Senators Tacitus: "Corruptissima res publica plurimae leges". Der korrupteste Staat hat die meisten Gesetze.
Es gibt nur weniger Rechts- und Compliancethemen oder organisatorische Fragestellungen, die nicht in Publikationen diskutiert wurden. In der Regel wird Compliance aber eher aus der Perspektive der Organe, also im Wesentlichen Vorstand, Geschäftsführer, Aufsichtsrat, behandelt sowie der Organisation. Der Compliance Officer und seine Rolle werden in der Regel nur am Rande diskutiert.
Das Herausgeberwerk "Der Compliance Officer" mit dem Untertitel "Ein Handbuch in eigener Sache" hat sich daher zum Ziel gesetzt, alles relevanten Compliance-Themen speziell aus der Sicht des Compliance Officers innerhalb von Compliance-Organisationen darzustellen und zu diskutieren. Es geht daher vor allem um Compliance in eigener Sache. Ziel des Handbuchs ist es, dem Compliance Officer Orientierung in seiner schwierigen Alltagsarbeit zu vermitteln und ihn zugleich über das Tagesgeschäft hinaus für die eigenen Belange zu sensibilisieren, so die Herausgeber in ihrem Vorwort.
Das Handbuch gliedert sich in insgesamt 15 Kapitel. Das einleitende Kapitel "Der Compliance Officer" liefert einen Überblick über die Historie, die Literatur und Rechtsprechung sowie die Rolle und Stellung sowie das Mandat des Compliance Officer in der Unternehmensorganisation. Hierbei wird auch auf das Urteil des LG München I in der Sache Siemens/Neubürger eingegangen. In diesem Kontext weist der Autor darauf hin, dass für eine "Compliance-Hysterie" kein Raum ist. Vielmehr gelte es, die gerichtlichen Aussagen kritisch zu prüfen, nüchtern zu analysieren und die für die die eigene Tätigkeit relevanten Schlüsse zu ziehen. Das anschließende zweite Kapitel konzentriert sich auf das Anforderungsprofil für Compliance Officer. Aus Sich des Autors ergeben sich drei wesentliche Felder, in denen der Compliance Officer überzeugen muss: inhaltliches Know-how, Management-Fähigkeiten und Persönlichkeit. Insbesondere die Wirkung der Kompetenzen hängt ganz wesentlich von der Persönlichkeit des Compliance Officers ab. Auftreten, Wertegerüst, soziale Kompetenz und Kommunikation sind hierbei entscheidende Faktoren. Ergänzen könnte man noch den Punkt "Rückgrat" – da der Compliance Officer seine Sicht der Dinge vertreten sollte und hierbei standhaft bleiben sollte. Ein Compliance Officer, der beim leichtesten Wind einknickt, hat sicherlich seine Aufgabe verfehlt. Das dritte Kapitel "Bestellung und Pflichtendelegation" diskutiert die Bestellung und Pflichtendelegation an den Chief Compliance Officer (CCO) sowie an ihm nachgeordnete Mitarbeiter. Mit den Aufgaben des Compliance Officers im Unternehmen setzt sich Kapitel 4 auseinander. Hierbei wird recht schnell deutlich, dass sich das Aufgabenspektrum des Compliance Officers vielfältig ist und sich maßgeblich nach den individuellen Gegebenheiten des jeweiligen Unternehmens (Geschäftsmodell, Risikostruktur, Branche, geografische Reichweite, Größe etc.) ausrichtet. Für die Aufgaben des Compliance Officers existiert kein allgemeines "Standard-Modell". Die Autoren weisen hierbei auch auf die enge Verzahnung von Risikomanagement und Compliancemanagement hin. So bietet beispielsweise das Risikomanagement und seine Methoden eine wichtige Erkenntnisquelle für die Erfassung und Analyse von Compliance-Risiken. Nach der Lektüre des Kapitels wird noch einmal deutlich, dass Compliance eine Führungsaufgabe ist und in den Zuständigkeitsbereich der Mitglieder der Leitungsorgane fällt. Die Compliance Officer fungieren in der Organisation als proaktive Berater Koordinatoren und Kontrolleure für Compliance-Maßnahmen sowie als Innovationsmanager in Bezug auf die kontinuierliche Weiterentwicklung des Compliancemanagement-Systems. Das anschließende fünfte Kapitel beschäftigt sich mit der Stellung des Compliance Officers im Unternehmen. Hierbei werden von den Autoren vor allem die Themen Positionierung, Unabhängigkeit und Rechte des Compliance Officers diskutiert. Mit den möglichen Organisationsformen der Compliancefunktion setzt sich das anschließende sechste Kapitel auseinander. Kritisch merkt die Autorin an, dass die Complianceorganisation droht derzeit zwischen den unterschiedlichen und ungeklärten Anforderungen im Unternehmen zerrieben zu werden: "Befragt man heute Compliance Officer nach ihrem Aufgabenprofil, so bekommt man immer wieder erstaunliche Antworten. Sie lassen eher nicht vermuten, dass eine haftungsbefreiende Wirkung durch systematische Compliance-Maßnahmen erreicht werden können. Bestenfalls kann der Compliance Officer irgendwann geltend machen, dass eine wirksame Delegation gar nicht stattgefunden hat." In diesem Zusammenhang setzt sich das Kapitel mit der mitunter babylonischen Vielfalt in den Compliance-Organisationen auseinander und skizziert abschließend integrierte Organsiationsmodelle für Compliance. Die arbeitsrechtliche Stellung sowie die Haftung des Compliance Officer ist Schwerpunkt von Kapitel 7. Hierbei zeigen die Autoren auf, dass die arbeitsrechtliche Stellung und Haftung des Compliance Officer sich nicht grundsätzlich von anderen Mitarbeitern in Leitungsfunktionen unterscheidet. Insofern finden auch für Compliance Officer die arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften Anwendung, insbesondere die Regeln über die eingeschränkte Arbeitnehmerhaftung und die allgemeinen Kündigungsschutzvorschriften. Kapitel 8 setzt sich mit dem Compliance Officer und der Mitbestimmung auseinander. Das anschließende Kapitel 9 diskutiert das Thema "Compliance Officer und Strafrecht". Auch der Compliance Officer ist im Rahmen seiner Tätigkeit hautsächlich den allgemeinen Regeln auch des Strafrechts unterworfen. Insofern ergeben sich keine Besonderheiten. Allerdings ist seine Verantwortung im Rahmen des von ihm vertraglich zugeschriebenen Verantwortungsbereiches zugleich auch Anknüpfungspunkt für den Vorwurf von Unterlassungstaten, so der Autor. Wenn er seine Aufgaben nicht oder nur (fahr)lässig wahrnimmt, droht ihm Strafbarkeit. Mit der Zusammenarbeit mit Ombudsleuten und Whisteblower-Systemen beschäftigt sich schließlich das zehnte Kapitel. Hinweisgebersysteme sind heute wesentliche Elemente von Compliancemanagement-Systemen. Sie sind längst keine Kür mehr, sondern Pflicht mit nachweisbaren Vorteilen. Im Kapitel 11 steht das Thema "Der Compliance Officer im Konzern" im Mittelpunkt der Ausführungen. Mit der Rolle des Compliance Officers in der "Internal Investigation" setzt sich Kapitel 12 auseinander. Die besondere Rolle des Compliance Officers in regulierten Finanzsektoren ist Inhalt von Kapitel 13. Die engmaschige Regulierung und behördliche Überwachung der Tätigkeit – vor allem in Banken und Versicherungen – wirkt sich nicht nur auf die Unternehmen, sondern zugleich signifikant auf die Organisation der Compliance-Funktion sowie auf die Stellung, Aufgaben und Verantwortung des Compliance Officers aus. Die Regulierung führt zu einer ausgeprägten Verrechtlichung der Unternehmensorganisation sowie zu tiefen Eingriffen in unternehmensinterne Strukturen, Systeme und Abläufe. Überblicksartig skizziert der Autor die wesentlichen Aspekte der Regulierung auf nationaler und europäischer Ebenen im Kontext Compliance. Die abschließenden Kapitel setzen sich mit den Versicherungsschutz für Compliance Officer sowie dem Geschäftsleitungsmitglied als Compliance Officer auseinander.
Das Herausgeberwerk liefert einen aktuellen und fundierten Überblick über die Rechtsfigur des Compliance Officers und bietet damit einen Kompass für alle Compliance Officer. Damit wird die Publikation dem Untertitel "Ein Handbuch in eigener Sache" voll gerecht.