Das Phänomen des Echos verbinden wir normalerweise mit dem Widerhall zum Beispiel eines Rufes in den Bergen. Man ruft und nach kurzer Zeit kehrt der Schall – etwas leiser – zurück. Wir können das Gesprochene noch einmal hören, obwohl wir gar nicht neu gesprochen haben. Das ist kein Zufall, sondern beruht auf physikalischen Gesetzmäßigkeiten.
Das gibt es freilich nicht nur in der Natur. Alle spekulieren derzeit darüber, wie es mit dem Ölpreis weitergehen könnte und wie sich das auf die Finanzmärkte auswirkt. Da ist vieles denkbar. Ich will hier der Diskussion keine neue These hinzufügen. Ich will aber zeigen, dass sich aus dem Echoprinzip gewisse Schlussfolgerungen ableiten lassen, die das Geschehen in der Zukunft beeinflussen. Diese sind, eben weil sie auf Gesetzmäßigkeiten beruhen, keine Spekulationen, sondern zwangsläufig zumindest sehr verlässlich.
Die eine betrifft die Inflation. Wenn sich der Ölpreis auf dem gegenwärtigen Niveau stabilisieren sollte, dann wird der Vorjahresabstand zwangsläufig von Monat zu Monat kleiner. Derzeit liegt er bei minus 50 Prozent. In einem Jahr wird er nur noch Null sein. Damit wird die gesamtwirtschaftliche Inflationsrate immer weniger von sinkenden Ölpreisen gedrückt. Sie wird stattdessen immer mehr von den Industrie- und Dienstleistungspreisen beeinflusst, die auch in der Vergangenheit gestiegen sind.
Ohne dass zusätzlich etwas geschieht, wird die Geldentwertung also ansteigen (siehe Grafik). Derzeit liegt sie bei minus 0,2 Prozent, in einem Jahr werden es plus 0,7 Prozent sein. Niemand wird dann mehr von Deflation reden. Das hängt nicht mit irgendwelchen Annahmen zusammen, über die man diskutieren kann. Es kommt auch nicht von der Geldpolitik. Es ist ganz einfach ein mathematisch-statistischer Zusammenhang. Ein Echo eben.
Hypothetische Entwicklung der Inflation, wenn der Ölpreis ab jetzt gleich bleibt (Trend, in % ggü. Vorjahr) [Quelle für Ausgangsdaten: EZB]
Es kann nur dadurch verhindert werden, dass entweder die Ölpreise weiter zurückgehen. Dann tritt der beschriebene Effekt eben etwas später und auf niedrigerem Niveau ein. Oder es müsste passieren, dass die Industrie- und Dienstleistungspreise sinken. Das kann passieren, solange sich die Ölpreise durch den Produktionsprozess "durcharbeiten". Aber irgendwann ist auch damit Schluss. Dann steigen Industrie- und Dienstleistungspreise wieder und die gesamtwirtschaftliche Geldentwertung geht nach oben.
Die zweite Schlussfolgerung betrifft die Ölpreise. Durch die bisherigen Preissenkungen sind auf den Märkten erhebliche Ungleichgewichte entstanden. Sie müssen früher oder später korrigiert werden. Bei dem gegenwärtigen Niveau sind die Preise für viele Produzenten niedriger als die Kosten. Sie machen Verluste. Das gilt insbesondere für das Fracking in den USA. Die dortigen Unternehmen können die Verluste eine gewisse Zeit auffangen. Irgendwann aber kommt die Stunde der Wahrheit. Sie müssen die Produktion verringern, ganz einstellen oder gar Insolvenz anmelden. Einige sollen da bereits jetzt Schwierigkeiten haben.
Bei staatlichen Ölproduzenten wie Russland oder Venezuela ist das nicht so einfach. Bei ihnen wirken sich die niedrigen Ölpreise in steigenden Haushaltsdefiziten aus. Es könnte zu einem Staatsbankrott kommen. Hier ist aber nicht sicher, dass dies dann zu einer niedrigeren Ölförderung führt. Denn die Menschen in diesen Staaten müssen weiter leben und brauchen die Einnahmen aus dem Ölgeschäft.
Trotzdem: Mit jeder Preissenkung wird es wahrscheinlicher, dass das Ölangebot zurückgeht. Gleichzeitig wird die Nachfrage zunehmen, weil sich ölsparende Maßnahmen nicht mehr rentieren. Die Menschen fahren wieder mehr Auto. Die Folge ist, dass der Preis steigt. Das ist keine Vermutung, sondern ganz einfach Preistheorie. Es gibt jetzt schon eine Reihe von Ölhändlern, die darauf spekulieren. Sie mieten Tanker zum Lagern von Öl auf dem Meer in der Hoffnung, das Öl später zu einem höheren Preis verkaufen zu können.
Freilich ist Geduld angesagt. Wie auch in der Natur kommt das Echo nicht sofort, sondern erst mit zeitlicher Verzögerung. Es gibt dafür historische Erfahrungen. Beim letzten Ölpreisrückgang 2008 sanken die Ölpreise noch etwas stärker als heute und zwar bis auf 33 Dollar je Barrel im Tiefpunkt. Es dauerte dann drei Monate bis sich der Ölpreis wieder auf 50 Dollar erhöhte und zwölf Monate, bis er wieder auf 75 Dollar stieg. Die allgemeine Inflation ging auch nicht so schnell sofort wieder nach oben. Fünf Monate nach dem Tiefpunkt des Ölpreises war sie noch immer im Minusbereich. Dann bewegte sie sich rund sechs Monate um die Nulllinie. Erst dann erhöhte sie sich. Wenn sich das so wiederholt, dann dürften die stabilisierenden Effekte bei der Inflationsrate im Sommer beginnen und erst zum Jahresende voll wirksam werden.
Diese Zusammenhänge sollte man im Kopf haben, wenn jetzt über neue Staatsanleiheprograme zur Bekämpfung der Deflation diskutiert wird. Die niedrige Geldentwertung wird auch ohne große geldpolitische Maßnahmen wieder steigen. Sicher ist es zu spät, um die EZB noch von ihren Plänen abzubringen. Dazu hat die EZB die Märkte zu stark auf ihre Intentionen eingeschworen. Aber die EZB sollte jetzt nicht noch weitere Erwartungen wecken, sondern vorsichtiger und bescheidener werden.
Autor:
Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.