Die Unternehmensinsolvenzen sind zurück in Westeuropa – und dies stärker als erwartet. Nach zwei Jahren der Krise, ausgelöst durch die Corona-Pandemie und den Krieg in der Ukraine, haben die Insolvenzzahlen 2023 das Niveau vor dem Beginn der Dekade übertroffen.
Fast 170.000 Fälle sind zu zählen (169.496), was eine Steigerung von 20,9 Prozent bedeutet. Im letzten Jahr des Vorkrisenjahrzehnts (2019) waren es knapp 160.000 Insolvenzen. Eine Vielzahl von Maßnahmen durch die Regierungen der einzelnen Länder hat dann 2020 und 2021 zu einem deutlichen Rückgang insolventer Unternehmen geführt. Mit dem Aussetzen der Erleichterungen für Unternehmen in schwieriger Lage waren dann bereits 2022 die Insolvenzen wieder auf dem Vormarsch. Nun aber wird das Vorkrisenniveau sogar übertroffen.
Die Angleichung der wirtschaftlichen Entwicklung der einzelnen Länder der Union ist eine große Aufgabe – bei den Insolvenzen scheint sie gelungen. Wenn auch in unterschiedlichem Maße, so verzeichnen doch fast alle Länder der EU ein Plus. Nur Dänemark (minus 11,1 Prozent), Luxemburg (minus 6,2 Prozent) Portugal (minus 4,2 Prozent) und Spanien (minus 4,4 Prozent) weisen für 2023 ein Minus auf. Dabei gibt es bei den Steigerungen in den einzelnen Ländern markante Unterschiede. So wartet die Niederlande mit dem höchsten Zuwachs bei 54,9 Prozent auf. Es ist vor allem Frankreich, das mit einem Anstieg von 35,6 Prozent und einem Anteil an allen Insolvenzen Westeuropas von 33 Prozent das Geschehen auf dem Kontinent prägt. Aber auch die kleineren Volkswirtschaften Skandinaviens, Irland und schließlich Deutschland als größte Volkswirtschaft zeigen markante Zuwächse. Während aber die skandinavischen Länder einen eher geringen Anteil am Insolvenzaufkommen der Union aufzuweisen haben, hat Großbritannien ein schwereres Gewicht für Europa. Mehr als 15 Prozent der Pleiten gehen auf das Konto der Briten und sie weisen auch einen Zugang von fast 14 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf.
Konjunktur erholt sich nicht
Die Gründe für den steilen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen liegen aber nicht nur beim Wegfall der staatlichen Unterstützung, sondern in der konjunkturellen Delle, welche die Krisen hinterlassen hat. Das Bruttoinlandsprodukt sank infolge der Corona-Pandemie und schließlich des Krieges in Osteuropa, Produktionskapazitäten waren zu verringern, die Lieferungen wurden zum Problem und schließlich führte die Explosion bei den Energiepreisen zu einer Inflation in den bisher nicht gekannten Ausmaßen. Die Anhebung der Zinsen zur Bekämpfung der Inflation verteuerte die Kredite für Investitionen und führte bei den Verbrauchern zur Konsumzurückhaltung. Immerhin konnte Eurostat für die ersten drei Monate 2024 wieder einen leichten Zuwachs beim BIP im Euroraum von 0,3 Prozent gegenüber dem Vorquartal registrieren. In den Sommerquartalen war es noch zu einer Rezession gekommen, als das BIP um jeweils 0,1 Prozent rückläufig war. Nun zeigt sich ein Silberstreifen und der EU-Wirtschaftskommissar Gentiloni sagt dazu: „Wir erwarten im Laufe dieses und des nächsten Jahres, dass sich das Wachstum allmählich beschleunigt, da der private Konsum gestützt wird durch sinkende Inflation, eine Erholung der Kaufkraft und anhaltendes Beschäftigungswachstum.“ Dabei weißt er aber auch auf die Unsicherheit der Prognose mit dem Hinweis auf die Ukraine und Israel hin.
Schwaches Deutschland
Dabei darf Deutschland nicht unerwähnt bleiben, das einen Anteil von mehr als zehn Prozent am gesamten westeuropäischen Insolvenzaufkommen hält. Zwar ist die Steigerung der Unternehmenszusammenbrüche hierzulande 2023 gegenüber dem Vorjahr mit 23 Prozent im europäischen Kontext noch moderat, doch macht die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der EU-Kommission wenig Freude. Sie sieht die konjunkturelle Entwicklung für 2024 nur bei einem Plus von 0,1 Prozent. Nur Finnland und Estland schneiden schlechter ab. So sind in Deutschland auch im europäischen Vergleich weitere Steigerungen bei den Insolvenzen aufgrund der konjunkturellen Lage zu befürchten, auch wenn die EU-Kommission für 2025 etwa wegen der steigenden Löhne wieder mehr Wachstum sieht.
Ein Blick auf die Wirtschaftssektoren zeigt, dass alle Bereiche betroffen sind. Anstiege bei den Insolvenzen sind tatsächlich ein gesamtkonjunkturelles Phänomen. Besonders ausgeprägt waren die Zunahmen im Handel mit rund 25 Prozent. Dagegen konnten sich das Verarbeitende Gewerbe (plus 19,8 Prozent) und vor allem der Dienstleistungssektor (plus 16,2 Prozent) noch vergleichsweise gut halten.
Geld zusammenhalten
Auch die Finanzierungssituation westeuropäischer Unternehmen in und aus der Krise ähnelt der in Deutschland. Sie ist geprägt von schwächeren Erträgen, aber auch von erhöhten Eigenkapitalquoten. Die Betriebe haben die Zeichen der Zeit erkannt und sammeln Eigenkapital an, um gegen eine restriktivere Kreditvergabe und teurere Zinsen gewappnet zu sein. Zugleich verkürzen sie die Zahlungsziele, um liquide zu bleiben. Die durchschnittliche Forderungslaufzeit in Westeuropa hat abgenommen – sie ist von 50,5 auf 48,8 Tage gefallen. Dies ist der niedrigste Wert der vergangenen zehn Jahre.
Das laufende Jahr wird wohl keine Erholung bei den Unternehmensinsolvenzen bringen. Die Zahlen werden über den Durchschnittswerten der Vorkrisenjahre liegen und dabei ist noch nicht in Rechnung gestellt, dass sich die konjunkturellen Rahmenbedingungen durch eine Eskalation im Nahen Osten oder in Osteuropa verschlechtern.
[Quellen: Creditreform Risikomanagement Newsletter vom 11. Juni 2024, EU-Kommission Wirtschaft, Statistische Landesämter]