Die Extremkletterer Alexander und Thomas Huber sind in den Bergen der Welt zu Hause. Dass ihr Sport gefährlich ist, wissen "die Huberbuam" selbstverständlich – Angst gehört für sie dazu. Im Interview erzählen die Brüder, warum das sogar gut ist und wie sie mit dem ständigen Risiko umgehen.
Alexander und Thomas Huber gehören zu den besten Extremkletterern der Welt. Seit frühester Kindheit sind die Berge ihr zweites Zuhause. Ihr Repertoire reicht von Erstbesteigungen über Speedtouren bis hin zum spektakulären Free-Solo-Klettern ohne jegliche Hilfs- und Sicherungsmittel. Doch bei all ihren Unternehmungen sind sie sich eines immer bewusst: des Risikos, das sie dabei eingehen.
Würden Sie sagen, dass Sie ein riskantes Leben führen?
Alexander Huber: Jeder Mensch trägt natürlich immer das Risiko in sich, sein Leben zu verlieren. Der Tod gehört zwangsläufig zum Leben dazu. Die Frage ist nur, wann er eintreten wird. Als Bergsteiger sind wir von Risiken umgeben, und riskant ist mein Leben in dem Sinne, dass ich ständig damit konfrontiert werde. Ich bin aber ein sehr risikobewusster Mensch, sonst wäre ich auch schon lange nicht mehr da. Draufgänger sind beim Bergsteigen noch nie weit gekommen.
Thomas Huber: Dem kann ich mich anschließen. Auch ich führe ein ganz normales, sehr bewusstes Leben. Für mich ist dann etwas risikoreich, wenn man sich des Risikos nicht bewusst ist. Bergsteigen an und für sich ist natürlich ein Risikosport – aber nur dann, wenn man nicht weiß, was man tut. Das gilt aber genauso fürs Motorrad- oder Autofahren.
Was sind denn beim Bergsteigen die größten Gefahren?
Alexander Huber: Die Gefahren sind sehr vielfältig. Vom Steinschlag über plötzliche Wetterumbrüche bis hin zur Lawinengefahr ist in den Bergen alles möglich. Natürlich könnte man jetzt einwenden, dass Bergsteigen ein völlig unnötiges Risiko ist. Aber da sind wir bei der Frage nach dem Wert eines gewissen Risikos fürs Leben. Wenn zum Beispiel ein Unternehmer nicht bereit ist, ein gewisses Risiko einzugehen, wird er nie ein Unternehmen gründen. Das Leben an und für sich ist immer mit Risiko verbunden. Wichtig ist, wie wir damit umgehen.
Thomas Huber: Gefahren lauern auch im alltäglichen Umgang mit dem Normalen: Der Knoten wird nicht fertig gemacht, weil man abgelenkt ist. Oder man steht kurzfristig ungesichert da und glaubt, man wäre gesichert. Das passiert immer wieder auf Expeditionen. Das sind dann Schockmomente, die einem die Gefahren und das damit verbundene Risiko noch mal bewusst machen. Wenn wir uns in eine lebensbedrohliche Situation begeben, sind wir hoch konzentriert. Wir wissen genau, was wir tun.
Alexander, Ihr Buch trägt den Titel "Die Angst, dein bester Freund". Für Sie ist Angst also ein positives Gefühl?
Alexander Huber: Ja, denn nur wer sich mit seinen Ängsten auseinandersetzt, kann seinen Problemen richtig begegnen. Ich bin kein angstbefreiter Mensch. Genau das Gegenteil ist der Fall. Ich bin jemand, der die Angst annimmt und akzeptiert, dass sie da ist. Die Angst zu verneinen, kann gerade beim Bergsteigen tödlich sein. Wenn mich ein negatives Gefühl begleitet, das sich nicht verdrängen lässt, dann ist der Punkt erreicht, an dem ich umkehren muss.
Alexander Huber, Jahrgang 1968, ist staatlich geprüfter Berg- und Skiführer, Kletterprofi und diplomierter Physiker. Er und sein älterer Bruder Thomas sind als die Huberbuam bekannt.
Mussten Sie sich schon oft sagen: "Das Risiko ist jetzt zu groß."
Alexander Huber: Ja, natürlich. Genau das gehört für mich zum richtigen Risikoverhalten. Risikomanagement beinhaltet auch, etwas sein zu lassen. Wer jedes Risiko in Kauf nimmt, ist kein guter Risikomanager.
Thomas Huber: Das Wichtigste beim Bergsteigen ist Nein sagen zu können – auch wenn das Ziel so verlockend ist und der Erfolg so großartig sein könnte. Wenn eine Situation zu gefährlich und das Risiko nicht mehr kalkulierbar ist, dann muss ich eben umdrehen.
Was war für Sie die größte Herausforderung?
Alexander Huber: Ich versuche immer alles, was in mir steckt, zu realisieren. Deshalb ist für mich jede Tour eine neue Herausforderung. In der öffentlichen Wahrnehmung gehört mit Sicherheit die Free-Solo-Begehung der Direttissima an der Großen Zinne in den Dolomiten zu den schwierigsten Touren, die ich je gemacht habe.
Thomas Huber: Jede Tour ist auf ihre Art schwierig, denn Gefahren lauern überall. Während wir die schwierigeren Herausforderungen mit einer gewissen Leichtigkeit gemeistert haben, ist es schon oft passiert, dass gerade die scheinbar kleinen Herausforderungen plötzlich zu einer großen Geschichte wurden. Wo wir auf einmal wirklich kämpfen mussten, um zu überleben.
Wie hat sich denn Ihre persönliche Einstellung verändert? Sind Sie noch so risikobereit wie früher?
Thomas Huber: Ich bin mittlerweile verheiratet und Vater von drei Kindern. Da verändert sich natürlich der Horizont. Wobei sich eins nie verändert hat, und das ist die Lebensfreude. Damals wie heute ist diese genauso groß. Ich habe die Herausforderung immer angenommen, um das Leben zu spüren, und nicht, um es zu verlieren.
Alexander Huber: Je mehr Erfahrung man hat, desto besser kann man mit Risiken auch umgehen. Ich habe gewisse Dinge im Leben geschafft und weiß, über das bisher erreichte Maß komme ich nicht mehr. Manches, was ich in der Vergangenheit gemacht habe, lasse ich dann einfach sein. Free-Solo-Klettern hat ein extrem hohes Risikopotenzial. Ich habe das von den Schwierigkeiten her gemeistert, sodass ich sicher sein konnte, dass mir wahrscheinlich nichts passieren würde. Ein ganz kleines Restrisiko ist aber immer dabei. Und dieses Restrisiko würde ich nur noch einmal tragen, wenn ich die Chance hätte, etwas grundsätzlich Neues zu erleben.
Apropos Neues erleben – was steht demnächst an?
Thomas Huber: Dieses Jahr wollen wir gemeinsam nach Pakistan reisen. Eigentlich war die Expedition schon 2014 geplant, aber aufgrund der angespannten politischen Situation haben wir das sehr kurzfristig abgesagt. Zu dem Zeitpunkt, zu dem wir fliegen wollten, war das Risiko nicht kalkulierbar. Da haben wir Nein gesagt, denn das Leben ist wichtiger als irgendein Berg. Und wir haben ja auch Verantwortung gegenüber unseren Familien.
Alexander Huber: Wie man so schön sagt: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
Wie lange werden Sie denn noch aktiv sein?
Alexander Huber: So lange wir Spaß haben, werden wir weiterhin in der Senkrechten zu finden sein. Warum auch nicht?
Thomas Huber: Eins kann ich sagen: Zu alt ist man nie. Unser Vater ist mittlerweile 75 Jahre alt und erfreut sich täglich an den Bergen. Er ist immer unterwegs, ein ruheloser Geist mit einer unglaublichen Energie.
Eine letzte Frage: Sie engagieren sich beide im Verein "Ich will da rauf e.V.", der therapeutisch begleitetes Klettern für Menschen mit und ohne Behinderung anbietet. Wie kamen Sie zu dem Projekt?
Alexander Huber: Ein Bekannter hatte die Idee und uns von seinem Vorhaben, einen Kletterverein für Menschen mit und ohne Behinderung zu gründen, erzählt. Wir fanden gleich, das ist eine super Sache, da sind wir dabei. Es gibt inzwischen zehn Klettergruppen mit jeweils sechs bis zehn Teilnehmern, die sich regelmäßig treffen. Inklusion ist das Stichwort: Auf einen Menschen mit Behinderung kommt einer ohne. Wichtig ist, dass der Umgang miteinander gelernt wird und Vorurteile abgebaut werden. Man merkt, wenn die Klettergruppe zusammenarbeitet, fallen die Hemmungen. Es ist ganz normal, wenn die eine im Rollstuhl vorbeifährt oder der andere seine Tics hat. Das gehört einfach dazu. Ich denke, gerade jemand mit einer gewissen Öffentlichkeit und einem gewissen Zugang zur Politik kann Dinge ins Rollen bringen. Bei dem Projekt sehe ich das als unsere Aufgabe als Mentoren.
Thomas Huber: Die Idee hinter diesem Verein ist einfach großartig und spiegelt auch uns wider: die Sehnsucht, etwas Neues und Außergewöhnliches zu erleben, das auf den ersten Blick vielleicht unmöglich erscheint. Dieses Verlangen trägt doch jeder in sich, egal, ob mit oder ohne Behinderung.
Alexander Huber: Die Angst, Dein bester Freund
ISBN-13 978-3-7110-0036-1
192 Seiten
Ecowin Verlag 2013
Ich hänge an meinen Fingerspitzen ohne Seil und Absicherung in einer senkrechten Wand. Unter mir der Abgrund, in mir keimt die Angst auf. Doch sie versetzt mich nicht in Panik. Im Gegenteil: Sie ermöglicht Konzentration, denn jeder Griff muss sitzen die Angst ist nicht meine Schwäche, die Angst ist mein bester Freund. Sie treibt uns an, schützt, warnt, bremst und leitet uns.
Kann ich Angst als etwas Positives empfinden? Inwiefern ist Angst eine intensive Lebenserfahrung? Und warum verhelfen meine Ängste mir zu mehr Freiheit und Unabhängigkeit?
Man muss kein Extremsportler werden, um sich mit der Angst zu verbünden. Aber es lohnt sich, die Sicherheit der Komfortzone zu verlassen und ein Risiko einzugehen. Denn wenn du deine Angst zulassen kannst, wird sie dein Leben reicher machen.
[Das Interview führte Jeannine Nickolai. Das Interview ist der Zeitschrift Certo, Ausgabe 01/2015, erschienen. Wir danken der Redaktion von Certo sowie der VBG für die Genehmigung, das Interview auf RiskNET zu veröffentlichen! Zur Certo-App geht es hier]