Das endgültige Ende des paradoxen Insolvenzgeschehens der Corona-Jahre ist eingeläutet. Die multiplen Krisen schlagen auf Unternehmen und Verbraucher gleichermaßen durch. Hohe Kostenbelastungen und die Rezession haben das Insolvenzgeschehen in Deutschland befeuert. 2023 stieg die Zahl der Unternehmensinsolvenzen deutlich um 23,5 Prozent auf 18.100 Fälle (2022: 14.660 Fälle). "Immer mehr Firmen brechen unter den Dauerbelastungen der hohen Energiepreise und der Zinswende zusammen", erläutert Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung. Bereits im Vorjahr habe der Insolvenztrend nach elf Jahren rückläufiger Zahlen gedreht.
"Die Zahl der Insolvenzen wird bei diesen schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch in den kommenden Monaten deutlich ansteigen. Die Fallzahlen sind damit fast normalisiert und die Sondereffekte aus der Corona-Zeit weitgehend verpufft", so Hantzsch weiter. "Im Vergleich zu 2019 haben sich die Rahmenbedingungen für die Unternehmen signifikant verschlechtert und der wirtschaftspolitische Schlingerkurs verunsichert zusätzlich."
Abb. 01: Unternehmensinsolvenzen in Deutschland [Quelle: Creditreform]
Anstieg bei Großinsolvenzen und im Mittelstand
Die Untersuchung der Creditreform Wirtschaftsforschung belegt eine massiv gestiegene Zahl an Insolvenzen von mittleren und großen Unternehmen. Bei Großunternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern lagen die Fallzahlen um 50 Prozent über dem Vorjahreswert. Zahlreiche prominente Insolvenzen gab es 2023 im Handel (u. a. Peek & Cloppenburg sowie Real GmbH). Bei Unternehmen mittlerer Größe mit 51 bis 250 Beschäftigten stiegen die Insolvenzen sogar um rund 76 Prozent, bei kleinen Unternehmen mit bis zu 10 Beschäftigten um knapp 19 Prozent. 2023 waren zudem mehr Arbeitnehmer von der Insolvenz betroffen. Schätzungsweise 205.000 Arbeitsplätze sind bedroht bzw. weggefallen (2022: 175.000).
Abb. 02: Unternehmensinsolvenz nach Beschäftigtenzahl [Quelle: Creditreform]
"Auch wenn es 2023 zahlreiche Großinsolvenzen im Handel, im Bau und im Gesundheitssektor gab, hat sich das Insolvenzgeschehen doch auf breiter Front insgesamt beschleunigt", erläutert Insolvenzexperte Hantzsch. Ein Grund für das Anspringen der Insolvenzspirale dürften auch Nachholeffekte sein. Viele nun insolvente Unternehmen hätten jahrelang gegen multiple Krisen wie Corona, Inflation und Fachkräftemangel angekämpft.
Das Insolvenzgeschehen wird aktuell von der Rechtsform GmbH getrieben. Der Anteil der GmbH am gesamten Insolvenzgeschehen stieg gegenüber dem Vorjahr von 39,0 auf 42,4 Prozent. Dieser Trend passt zum deutlichen Anstieg der Insolvenzen im mittleren Größensegment. Etwas niedriger als im Vorjahr war der Anteil der UG (haftungsbeschränkt). 10,7 Prozent aller Insolvenzfälle firmierten als Unternehmergesellschaft (Vorjahr: 11,3 Prozent).
In allen Hauptwirtschaftsbereichen verzeichnete Creditreform einen deutlichen Anstieg der Insolvenzzahlen. Im Verarbeitenden Gewerbe stiegen die Fallzahlen am stärksten an (plus 30,2 Prozent) – es folgt der Handel (plus 26,0 Prozent). Im Baugewerbe war ein Anstieg um 20,8 Prozent zu verzeichnen. Der Zuwachs im Dienstleistungsgewerbe im Vergleich zum Vorjahr betrug plus 22,3 Prozent.
Abb. 03: Insolvenzen in den Hauptwirtschaftsbereichen [Quelle: Creditreform]
Verbraucherinsolvenzen durch gute Arbeitsmarktlage stabil
Bei den Verbrauchern setzte sich der noch im Vorjahr deutlich rückläufige Trend (minus 16,5 Prozent) nicht fort. Die Zahl der Insolvenzen blieb 2023 nahezu unverändert. Insgesamt wurden 66.200 Verbraucherinsolvenzverfahren registriert (2022: 65.930 Fälle). "Am Arbeitsmarkt herrschte in den vergangenen Monaten weitgehend Stabilität. Die Insolvenzzahlen bei den privaten Verbrauchern haben deshalb bislang kaum auf die Krise reagiert", sagt Patrik-Ludwig Hantzsch. Der Blick in die Zukunft lässt angesichts der eher schwachen Konjunkturaussichten und weltweiter Risiken aber auch in diesem Bereich steigende Zahlen erwarten, zumal sich die Überschuldungssituation vieler Bürger deutlich verschlechtert hat.
Insgesamt wurden in Deutschland im Jahr 2023 109.200 Insolvenzverfahren gezählt. Das ist ein Anstieg um 3,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr (2022: 105.180).
Abb. 04: Entwicklung der Insolvenzen in Deutschland [Quelle: Creditreform]
Abb. 05: Schäden und Arbeitsplatzverluste durch Insolvenzen [Quelle: Creditreform]
Schwerpunkt Baugewerbe
Durch hohe Zinsen, steigende Baukosten und dem Einbruch der Nachfrage steht die Bauwirtschaft in Deutschland vor schwierigen Zeiten. Der Insolvenzantrag der Signa Real Estate Germany und schließlich der gesamten Signa Holding von Haupteigner René Benko in Wien zeigen, wie schwierig die Lage für Projektentwickler und Bauträger geworden ist. Das Scheitern der Milliardenobjekte in renommierten Lagen würde gewaltige Folgen für Mitarbeiter, Auftragnehmer und Gläubiger sorgen. Noch ist nicht abzusehen, welche Investoren aktiv werden könnten.
Creditreform untersuchte im Rahmen der Insolvenzstudie die wirtschaftliche Situation im Baugewerbe gesondert. Demnach deuten auch Zahlen aus den Creditreform Datenbanken auf eine heraufziehende Krise im Bausektor hin. Aus Sicht von Kreditgebern und Lieferanten war bereits in den letzten Monaten eine Verschlechterung der Zahlungsmoral im Baugewerbe zu beobachten. Debitoren zahlten ihre Rechnungen zunehmend mit Verzug. Die Überfälligkeitszeit der Rechnungen erhöhte sich im 1. Halbjahr 2023 von 15,10 auf 15,49 Tage. Die Kreditgeber der Bauwirtschaft mussten folglich länger auf ihr Geld warten.
Abb. 06: Entwicklung im Baugewerbe [Quelle: Creditreform]
Allerdings ist auch das Baugewerbe selbst mit schlechteren Finanzierungsbedingungen konfrontiert. Bauunternehmen beklagen zunehmend eine Verschlechterung des Zahlungsverhaltens ihrer Kunden, die Forderungsverluste haben zugenommen.
Creditreform Sprecher Hantzsch fasst zusammen: "Der Druck auf die Liquiditätslage der Bauunternehmen steigt unter den aktuellen Bedingungen immer mehr. Die Insolvenzzahlen im Sektor reagierten bereits. Besonders betroffen waren im Jahr 2023 Branchen wie beispielsweise Erschließung von Grundstücken und Bauträger, Straßenbau und Tiefbau. Weiter zunehmende Belastungen für das Baugewerbe dürften diesen Trend noch verstärken."