Die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre Konjunkturprognose für Deutschland deutlich nach unten korrigiert. Waren sie im Frühjahr noch von einer Zunahme des Bruttoinlandsprodukts von 0,8 Prozent im Jahr 2019 ausgegangen, erwarten sie nun nur noch 0,5 Prozent. Gründe für die schwache Entwicklung sind die nachlassende weltweite Nachfrage nach Investitionsgütern, auf deren Export die deutsche Wirtschaft spezialisiert ist, politische Unsicherheit und strukturelle Veränderungen in der Automobilindustrie. Die Finanzpolitik stützt hingegen die gesamtwirtschaftliche Expansion. Für das kommende Jahr senken die Konjunkturforscher ebenfalls ihre Prognose auf 1,1 Prozent, nach noch 1,8 Prozent im Frühjahr.
"Die deutsche Industrie befindet sich in einer Rezession, die inzwischen auch auf die unternehmensnahen Dienstleister durchschlägt", sagt Claus Michelsen, Leiter der Abteilung Konjunkturpolitik des gastgebenden Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). "Dass die Wirtschaft überhaupt noch expandiert, ist vor allem auf die anhaltende Kauflaune der privaten Haushalte zurückzuführen, die von den guten Lohnabschlüssen, Steuererleichterungen und Ausweitungen staatlicher Transfers gestützt wird."
Weltweit bleiben die politischen Unwägbarkeiten bestehen und belasten über die Investitionsbereitschaft der Unternehmen den Außenhandel. "Vor allem die Risiken ausgehend von einer Eskalation des Handelskonflikts sind hoch. Aber auch ein ungeregelter Brexit hätte Kosten: Das Bruttoinlandsprodukt würde in Deutschland dadurch für sich genommen im kommenden Jahr um 0,4 Prozent niedriger ausfallen als bei einem geregelten Austritt", ergänzt Michelsen.
Der Beschäftigungsaufbau verliert als Folge der konjunkturellen Abkühlung an Fahrt; die Industrie hat jüngst sogar Stellen abgebaut. Hingegen stellen Dienstleister und die Bauwirtschaft weiter ein. In diesem Jahr rechnen die Institute daher mit einem Beschäftigungsaufbau von 380.000 Stellen. In den kommenden beiden Jahren werden voraussichtlich nur noch 120.000 beziehungsweise 160.000 neue reguläre Arbeitsverhältnisse geschaffen. Die Arbeitslosenquote steigt im Jahr 2020 auf 5,1 Prozent von 5,0 Prozent im Jahr 2019 und dürfte dann im Jahr 2021 wieder auf 4,9 Prozent sinken. Die Verbraucherpreise werden weiterhin nur moderat um 1,4 Prozent im Jahr 2019, 1,5 Prozent im Jahr 2020 und 1,6 Prozent im Jahr 2021 zulegen. Die Überschüsse des Staats sind in diesem Jahr mit voraussichtlich rund 50 Milliarden Euro noch beträchtlich. Allerdings schmelzen sie bis zum Jahr 2021 auf rund 4 Milliarden Euro.
Neben der konjunkturellen Abkühlung tragen dazu vor allem verschiedene fiskalische Maßnahmen wie Mehrleistungen bei der Rentenversicherung, Erhöhung des Kindergelds, Entlastung bei der Einkommenssteuer und nicht zuletzt die teilweise Abschaffung des Solidaritätszuschlags bei. Sie belaufen sich in diesem Jahr auf rund 22 Milliarden Euro, im kommenden Jahr auf 18 Milliarden Euro und im Jahr 2021 auf voraussichtlich 23 Milliarden. Euro. Damit setzt die Finanzpolitik deutliche Impulse und stützt den privaten Konsum.
Seit dem Frühjahr haben sich die Risiken für die deutsche und die weltweite Konjunktur allerdings verschärft. Die Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und China, aber auch innerasiatische Konflikte schüren Unsicherheit und belasten die internationale Konjunktur. Auch ein ungeregelter Brexit dürfte die europäische Wirtschaft und insbesondere auch die deutsche Wirtschaft belasten. Hierzulande stellen zudem Prozesse des strukturellen Wandels im Fahrzeugbau Risiken für den so wichtigen Automobilmarkt dar.
Die Gemeinschaftsdiagnose wird erarbeitet vom DIW in Berlin, vom ifo Institut in München, vom IfW in Kiel, vom IWH in Halle und vom RWI in Essen.
Eckdaten der Prognose für Deutschland:
| 2016 | 2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 |
Reales Bruttoinlandsprodukt1 | 2,2 | 2,5 | 1,5 | 0,5 | 1,1 | 1,4 |
Erwerbstätige2 (1 000 Personen) | 43 655 | 44 248 | 44 854 | 45 237 | 45 359 | 45 521 |
Arbeitslose (1 000 Personen) | 2 691 | 2 533 | 2 340 | 2 276 | 2 315 | 2 262 |
Arbeitslosenquote BA3 (in %) | 6,1 | 5,7 | 5,2 | 5,0 | 5,1 | 4,9 |
Verbraucherpreise1,4 | 0,5 | 1,5 | 1,8 | 1,4 | 1,5 | 1,5 |
Lohnstückkosten1,5 | 1,2 | 1,2 | 2,5 | 3,5 | 1,6 | 1,4 |
Finanzierungssaldo des Staates6 | ||||||
in Mrd. Euro | 37,1 | 40,3 | 62,4 | 52,1 | 22,9 | 4,0 |
in % des nominalen Bruttoinlandsprodukts | 1,2 | 1,2 | 1,9 | 1,5 | 0,6 | 0,1 |
Leistungsbilanzsaldo | ||||||
in Mrd. Euro | 265,5 | 261,9 | 245,0 | 245 | 229 | 221 |
in % des nominalen Bruttoinlandsprodukts | 8,5 | 8,1 | 7,3 | 7,1 | 6,5 | 6,1 |
1 Veränderung gegenüber Vorjahr in %.
2 Inlandskonzept.
3 Arbeitslose in % der zivilen Erwerbspersonen (Definition gemäß Bundesagentur für Arbeit).
4 Verbraucherpreisindex (2015 = 100).
5 Im Inland entstandene Arbeitnehmerentgelte je Arbeitnehmerstunde bezogen auf das reale Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigenstunde.
6 In der Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (ESVG 2010).
[Quellen: Statistisches Bundesamt; Bundesagentur für Arbeit; Deutsche Bundesbank; 2019 bis 2021: Prognose der Institute]
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Europäische Wirtschaftsforscher haben ihre Wachstumsprognosen für die Wirtschaft des Euroraums gesenkt. Laut Mitteilung des Münchener Ifo-Instituts erwarten Ifo, die Konjunkturforschungsstelle (Kof) der Eidgenössischen Technischen Hochschule und die italienische Statistikbehörde Istat für das dritte Quartal einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 0,2 Prozent. Für das vierte Quartal und das erste Quartal 2020 werden je 0,3 Prozent Wachstum prognostiziert. Im Juni hatten die Institute für das dritte und vierte Quartal Wachstumsraten von je 0,4 Prozent vorausgesagt.
Gebremst wird das Wachstum der Prognose zufolge von der Industrieproduktion, die im dritten Quartal um 0,6 Prozent geschrumpft sein dürfte. "Sie dürfte sich jedoch leicht erholen und in den beiden folgenden Vierteljahren um 0,2 und 0,3 Prozent steigen", prognostizieren die Konjunkturforscher.
Treiber des Wachstums sei der private Konsum, der noch von der guten Lage auf dem Arbeitsmarkt gestützt werde. Er werde voraussichtlich im dritten und vierten Quartal 2019 um jeweils 0,3 Prozent zulegen und im ersten Quartal 2020 ebenfalls um 0,3 Prozent wachsen.
Die größten Risiken für die Prognose sind demnach die weltpolitischen Turbulenzen: Die Handelskriege, der drohende Brexit und die militärischen Angriffe auf die Ölversorgung. Die möglichen negativen Konsequenzen für den Welthandel könnten vor allem das Wachstum der Exportnation Deutschland beeinträchtigen. Das wiederum würde sich dann auch auf den Rest des Euroraums auswirken.
Die Aktivität im verarbeitenden Sektor des Euroraums hat sich im September wie erwartet verringert. Wie IHS Markit in zweiter Veröffentlichung mitteilte, sank der Einkaufsmanagerindex (PMI) auf 45,7 (August: 47,0) Punkte. Das war der niedrigste Wert seit Oktober 2012. Die von Dow Jones Newswires befragten Volkswirte hatten prognostiziert, dass IHS Markit das Ergebnis der ersten Veröffentlichung von 45,6 Punkten bestätigen würde.
In allen drei von der Umfrage erfassten Industriebereichen ging es im Berichtsmonat bergab, allen voran im Investitionsgüterbereich, gefolgt vom Vorleistungsgüterbereich. Im Konsumgüterbereich rutschte der PMI erstmals seit November 2013 wieder unter die Marke von 50 Punkten, oberhalb derer ein Wachstum angezeigt wird.
Der Auftragseingang wies im September das höchste Minus seit Oktober 2012 auf. In Deutschland schlug sogar der stärkste Auftragsrückgang seit April 2009 zu Buche. Im Euroraum insgesamt blieben sowohl die Inlands- als auch die Auslandnachfrage schwach, das Minus von den Exportmärkten fiel nur unwesentlich niedriger aus als beim Achtjahrestief im Juli.
Die Produktion wurde so stark zurückgefahren wie zuletzt Ende 2012. Die Auftragsbestände nahmen rasant ab, und die Beschäftigung sank zum fünften Mal hintereinander. Die Unternehmen reduzierten ihre Verkaufspreise erneut und mit leicht beschleunigter Rate. Wegen der anhaltenden Besorgnis hinsichtlich des Brexits und negativer Auswirkungen des Handelskonflikts zwischen den USA und China blieben die Geschäftsaussichten binnen Jahresfrist unverändert pessimistisch.
Besonders deutlich nahm die Aktivität der Industrie in Deutschland ab, wo der PMI auf (43,5) Punkte sank. Der französische Index ging auf 50,1 (51,1) Punkte zurück und der italienische auf 47,8 (48,7) Punkte.