QIS5-Ergebnisse veröffentlicht

Kritik an Komplexität der Standardformel von Solvency II


Kritik an Komplexität der Standardformel von Solvency II News

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat am 21. März 2011 die Ergebnisse des deutschen Marktes zur fünften quantitativen Auswirkungsstudie (QIS 5) veröffentlicht. In der fünften quantitativen Auswirkungsstudie zu Solvency II (QIS5) wurde die europäische Versicherungswirtschaft aufgefordert, die quantitativen Anforderungen des neuen Rahmenwerks in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung zu testen. Die BaFin hat im Rahmen dieses Testlaufs Rückmeldungen von 251 Versicherungsunternehmen und 26 Unternehmensgruppen, die unter Bundesaufsicht stehen, erhalten. Die Versicherungswirtschaft hat dabei nicht nur quantitative Abschätzungen zur Bilanzneubewertung, Solvenzkapital- und Eigenmittelbestimmung unter dem kommenden Regime gemeldet, sondern auch ausführliche inhaltliche Kommentierungen zur generellen Bewertung und insbesondere zur praktischen Durchführbarkeit von Solvency II eingereicht.

Kritik an Komplexität der Standardformel

Insbesondere die Standardformel von Solvency II ist aus deutscher Sicht zu komplex und sollte praktikabler gestaltet werden. Viele kleine und mittlere Unternehmen berichteten im Rahmen der Studie über erhebliche Belastungen, die vor allem bei der Berechnung des Solvenzkapitalbedarfs entstehen. Mehrere Teilnehmer wiesen darauf hin, dass die Komplexität des Modells ein hohes Maß von Expertenwissen erfordere, und es aufgrund seiner Unübersichtlichkeit und Volatilität für Controlling-Zwecke ungeeignet sei. Von einigen wurde auch bemängelt, dass die Modellergebnisse schwer zu interpretieren und die eigentlichen Risikotreiber nicht immer zu identifizieren seien. Häufig wurden optionale Vereinfachungen aus der technischen Anleitung als unerlässlich angesehen. Allerdings wiesen einige Unternehmen darauf hin, dass solche optionalen Vereinfachungen die Vergleichbarkeit der mit dem Standardansatz ermittelten Ergebnisse gefährde und redeten einem grundsätzlich vereinfachten Ansatz das Wort.

Das Thema Komplexität erschöpft sich jedoch nicht allein in methodischer Kritik an der Standardformel, es betrifft auch ihre Anforderungen an das Datenmanagement. Viele Standardformel-Module erfordern Input, der in Struktur oder Detaillierungsgrad derzeit nicht vorgehalten wird. Daher überrascht es nicht, dass auf die Frage, welche Maßnahmen als prioritär für die Vorbereitung auf Solvency II angesehen werden, am häufigsten die Implementierung von Verfahren zur Bereitstellung von Daten für die Ermittlung der Bedeckungsquoten und für Berichtspflichten genannt wurde.

Rückstellungbewertung auf Basis stochastischer Projektionen schwierig

In der Sparte Lebensversicherung berichteten viele Studienteilnehmer über technische Schwierigkeiten, die Rückstellungsbewertung auf Basis stochastischer Projektionen vorzunehmen. Insbesondere Unternehmen kleiner und mittlerer Größe haben deswegen einen deterministischen Ansatz gewählt.

Dies hatte zur Folge, dass eine explizite Berücksichtigung von Management-Regeln nur sehr eingeschränkt möglich war. Ähnliche Schwierigkeiten traten bei der Bewertung von Optionen und Garantien auf, die oft nur über eine geschlossene Formel bewertet wurden. Darüber hinaus bereitete die von der QIS5-Testanleitung vorgegebene Segmentierung der versicherungstechnischen Rückstellungen Probleme, da sie eine Reallokation der auf Portfolio-Ebene ermittelten Überschussbeteiligung erforderlich macht. Die BaFin erkennt hier Optimierungspotential, und setzt sich auf europäischer Ebene für eine Reduzierung der Segmentierung der Leben-Versicherungszweige ein.

Methodische Kritik am Modul für Katastrophenrisiko

Die Ausgestaltung der Untermodule für das Katastrophenrisiko im Kranken- und Schadenversicherungsbereich führen die Liste der methodischen Kritik der europäischen Versicherungswirtschaft an der Standardformel an. Die deutsche Wirtschaft macht da keine Ausnahme und beurteilt insbesondere die Module für die menschenverursachten Risiken ("man made CAT") als unsystematisch gestaltet und technisch zu aufwendig. Hier wurden die Datenanforderungen, vor allem in Bezug auf die Daten zur Risikokonzentration, als zu hoch bewertet, die Szenarien als unrealistisch eingeschätzt und die aus ihnen abgeleiteten Ergebnisse als unplausibel angesehen (sowohl Über- als auch Unterbewertung wurden genannt). In diesem Zusammenhang sind insbesondere das Feuer/Terrorismus-Szenario, die Aufgliederung des Geschäfts im Haftpflicht-Szenario und das Konzentrationsrisiko in der Krankenversicherung zu nennen. Auch die Naturkatastrophenmodule wurden kritisiert. Hier zeigt die Standardformel technische Unklarheiten beim Aggregationsmechanismus über verschiedene Regionen und bei der Verwendung der Versicherungssumme per Versicherungszweig in den CRESTA-Zonen. Außerdem wurde die Kalibrierung oft als dem Risiko nicht angemessen und überarbeitungsbedürftig beurteilt. Rückversicherer merkten an, dass die Module sich für ihre Portfolios grundsätzlich nicht eignen.

Schwierigkeiten bei Berechnung des Stornorisikos

Zahlreiche Unternehmen berichteten über Schwierigkeiten bei der Berechnung des Stornorisikos, da in der Regel auf Einzelvertragsebene kein Vergleich von Rückkaufwerten und Best-Estimate-Rückstellungen möglich ist. Auch der unsymmetrische Aufbau – bei dem nur diejenigen Verträge betrachtet werden, die unter dem jeweiligen Stressszenario Schaden verursachen - wurde kritisiert, da hier von einem streng finanzrationalen Verhalten der Versicherungsnehmer ausgegangen wird. Diesbezüglich war die Rückmeldung insbesondere aus dem Krankenversicherungsbereich eindeutig. Schaden- und Unfallversicherer beurteilten das Massenstorno-Szenario als für ihr Geschäft unerheblich und seine Berechnung deswegen als unnötige Belastung.

Rückversicherung wird nur unzureichend abgebildet

Einige Studienteilnehmer merkten an, dass es ihnen nicht möglich war, ihre Rückversicherungsverträge vollumfänglich in der Standardformel abzubilden. Kritisiert wurde sowohl die Angemessenheit des Faktors zur Berücksichtigung der nicht-proportionalen Rückversicherung im Prämien- und Reserverisiko, als auch die fehlende Hilfestellung zur Abbildung von Rückversicherungseffekten in den Katastrophenrisiko-Modulen.

Rückversicherer gaben an, dass der vorgeschlagene Formelansatz typische Rückversicherungsmuster und ihren wirtschaftlichen Effekt nur begrenzt abzubilden in der Lage sei. Gesonderte Anmerkungen richteten sich auf die Berücksichtigung der nichtproportionalen Rückversicherung im Prämienrisiko, wo dieser Effekt von einer Näherungsformel erfasst wird. Die Teilnehmer meinten, diese Formel führe zu einer Unterbewertung des "realen" Effekts. Außerdem wurde Kritik daran geäußert, dass die Begrenzung der abgetretenen Risiken keine Berücksichtigung erfahre.

Die QIS 5-Studie wurde unter der Leitung der European Insurance and Occupational Pensions Authority (EIOPA) in allen Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums auf Anforderung der Europäischen Kommission durchgeführt. Die europäischen Versicherungsunternehmen haben dabei verschiedene Aspekte des künftigen Regelwerks Solvency II in deren gegenwärtiger Fassung getestet. Die BaFin führte von August bis November 2010 die deutsche Teiluntersuchung durch. Daran nahmen 251 deutsche Versicherungsunternehmen und 26 deutsche Unternehmensgruppen teil.
EIOPA hatte am 14. März einen Bericht zu den Ergebnissen der QIS 5-Studie veröffentlicht, in den die Rückmeldungen aus allen 30 Staaten des Europäischen Wirtschaftsraumes eingeflossen sind. Der Länderbericht der BaFin umfasst im Wesentlichen die Ergebnisse der QIS 5-Studie für den deutschen Versicherungsmarkt und ergänzt damit den EIOPA-Bericht.


[Bildquelle: iStockPhoto]

Kommentare zu diesem Beitrag

Dubi /22.03.2011 08:49
Das Geschäft mit dem Risiko ist komplex - daher muss auch die "Standard"formel komplex sein. Und es ist richtig. Die "einfache" Standardformel ist nicht weniger komplex als ein einfaches "Internes Modell" ...
highway-to-hell /22.03.2011 10:49
@Dubi: Sehe ich genauso, die Realität ist komplex, die Risiken sind komplex, wie sollte dann ein Risikomodell einfach sein??? Die Versicherer sind absolut verwöhnt und sollten mal so langsam den Schritt aus dem 18. Jahrhundert in die Gegenwart vollziehen. Man kann zwar nicht alles rechnen und simulieren, aber Risikoberechnungen sind auch nicht auf die vier Grundrechenarten zu begrenzen....
leo /22.03.2011 13:03
Nun ja, das sind mal wieder die Kassandra-Rufe, da sich was verändern wird. Hatte vor einiger Zeit ein Zitat des SCOR-Vorstands gelesen: "Die aktuelle Version von Solvency II ist der beste Weg, die Versicherungsbranche in eine Katastrophe zu stürzen." Ist die Versicherungswirtschaft wirklich so fragil, dass sie sich von einem EU-Regelwerk in die Knie zwingen lassen? Ich würde mir wünsche, dass die Versicherer endlich mal verstehen, dass sie SII nicht für die EU oder den lokalen Regulator erfüllen, sondern für sich. Risikomanagament ist KERN des Geschäftsmodells einer jeden Versicherung. BASTA ..
Markus /27.03.2011 18:12
"Standardformel von Solvency II ist aus deutscher Sicht zu komplex und sollte praktikabler gestaltet werden..."

"...Mehrere Teilnehmer wiesen darauf hin, dass die Komplexität des Modells ein hohes Maß von Expertenwissen erfordere..."

Kein Wunder wenn man Mathematik-Numerik-Stochastik-phobe Wiwis und Finance-Master mit solchen Aufgaben betraut.

Nicht umsonst erfordert die Aktuarausbildung ein Mathematik- bzw. naturwissenschaftliches Studium sowie Zahlen- bzw. Methodenaffinität.

Sobald diese Deppen ein Problem nicht mit Excel sinnvoll modellieren können, ist der Aufschrei immer groß...

Schlimmer wird´s dann noch, wenn sogar der Vorstand (Jura oder BWL-Abschluss hat - mit Vertiefern Marketing-UF-Finance (Maximum CAPM-Modell und U-Bewertungsverfahren, man mus ja wissen wie hoch man den eigenen Aktienkurs puschen muss, um seine Bonilevel zu erreichen))

um jede quantitative Bewertung einen riesen Bogen machen....

Schöne neue Welt....
Stefan /27.03.2011 23:15
Ich als Aktuar und promovierter Statistiker beschäftige mich tagtäglich mit Solvency II, MaRisk VA und MaRisk BA. Mir wird es nicht langweilig. Ich modelliere und muss das, was ich gemacht habe, den Verantwortlichen in einfachen Worten erklären können. Das ist desöfteren eine große Herausforderung, der ich mich aber gerne stelle :)

Die Standardformel mag komplex aussehen. Man erfüllt dann auch noch - oh je - nur aufsichtsrechtliche Anforderungen. Das kann ja nicht befriedigend sein :(

Die Versicherer sollten sich klar machen, dass es endlich an der Zeit ist, dass sie ihr eigenes Geschäft verstehen: und das sind nun einmal Risiken. Wer ein Internes Modell auf die Beine stellt, das gut zu seinem Geschäft passt, erfüllt - falls es von der Aufsicht zertifiziert wird - HEUTE die geforderten aufsichtsrechtlichen Anforderungen und hat MORGEN oder ÜBERMORGEN einen riesen Wettbewerbsvorteil!

Ich habe im Rahmen von Solvency I nie verstanden, wie man anhand des Beitragsvolumens die eigenen Risiken einschätzen will. Die Formel ist zwar recht simpel; aber das Modell ist soooooooo weit von der Realität weg, dass es schon einem Wunder gleichkommt, dass es über so viele Jahre bestand hatte.

Es lebe die Arbeit der Aktuare!
Markus /28.03.2011 15:11
@ Stefan:

"...Ich modelliere und muss das, was ich gemacht habe, den Verantwortlichen in einfachen Worten erklären können..."

Des Pudels Kern: Warum sind DIE nicht in der Lage die SItuation angemessen zu bewerten??? Weil denen die fachliche Kompetenz fehlt !!!

Beispiele aus der Praxis:
"Was ist ein schwarzes Loch?": fragt der Vorstand den Quant-(Physiker)

Oder

".. wie läuft diese oder jene chemische Reaktion unseres Hauptproduktes genau ab? fragt der Vorstand den Quant-(Chemiker)

"Warum sind unsere Netzwerke nicht gegen diese oder jene Attacke gerüstet.."
fragt der Vorstand den Quant-(Informatiker)

Antwort:
"Nicht auf jede einfache Frage gibt es eine einfache Antwort"

"Ein schwarzes Loch ist kein Sack Kartoffeln, sondern eine Singularität der Raumzeit-Geometrie zu deren Beschreubung gute differentialgeometrische Kenntnisse notwendig sind....." Vorstand: Achso, na ich geh dann mal
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