Der Sage nach besaß die aus der griechischen Mythologie bekannte Kassandra die Gabe, Unheil voraussehen zu können. Tragischerweise fand sie aber nie Gehör und stand so dem Eintreten der Ereignisse hilflos gegenüber. Dr. Peter Hager, Partner der RiskNET Advisory und Mitglied der RiskNET-Redaktion, warf Ende Mai auf dem Risikomanagement-Seminar des internationalen Versicherungsbrokers Leue & Nill die Frage auf, ob Risikomanagern ein ähnliches Schicksal drohe. Insbesondere strategische Risiken können verantwortlich für die Vernichtung von Unternehmenswerten sein und durch Fehleinschätzungen könnten Unternehmen ganz vom Markt verschwinden. In Zeiten massiv zunehmender Komplexitäten sei es daher notwendig, alte Denkmuster zu überwinden und neue Risiken zu erkennen und zuverlässig zu bewerten.
Fatale Fehleinschätzungen des Marktes gibt es viele. Hager stellte exemplarisch ein Zitat des ehemaligen Microsoft-CTO Nathan Myhrvold von 1997 heraus: "Apple is already dead." Heute ist Apple eines der weltweit werthaltigsten Unternehmen überhaupt. Ein gut aufgestelltes Risikomanagement hingegen liefere Antworten auf wichtige Fragen und ließe Risiken qualitativ und quantitativ bewerten. Die Risikolandkarte werde zunehmend komplexer: Klimawandel und Naturkatastrophen, ausgeprägte soziale Instabilitäten, Kriege und Staatskrisen, Cyberattacken und Massenarbeitslosigkeit machen ein fundiertes Risikomanagement immer wichtiger. Durch die Identifikation der eigenen Risiken werde der Blick geschärft.
Für exportabhängige Unternehmen sei die Bewertung der geopolitischen Weltkarte wichtig. Während in der Sahelzone elementare Wasserprobleme vorherrschen, drohen in den USA Cyberattacken, in Zentraleuropa kämpft man mit hoher Arbeitslosigkeit und Russland muss den Energiepreisschock verkraften.
Eine seriöse Filterung von Informationen entfalle in der Google-, Facebook-und Web 2.0-Welt. Durch Millionen von selbsternannten Chefredakteuren im WWW drohen Reputationsrisiken und der Verlust von Markenwerten. Vor allem strategische Risiken seien verantwortlich für die Vernichtung von Unternehmenswerten. Die wirtschaftlichen Zentren verschieben sich. Lag Chinas Bedeutung für den Weltmarkt vor wenigen Jahren noch in der Massenproduktion von Billigartikeln, sind es heute bereits Hochtechnologieprodukte wie etwa Hochgeschwindigkeitszüge.
In der Risikoplanung müsse heute die Virtualisierung der Welt berücksichtigt werden. Neben technologischen Risiken drohten auch verstärkt Cyberrisiken, die bisher nur teilweise versicherbar seien. Aber etwa jedes zweite deutsche Unternehmen sei in den vergangenen zwei Jahren bereits Opfer von digitaler Wirtschaftsspionage, Sabotage oder von Datendiebstahl geworden.
Auch die zunehmende Relevanz von Rohstoffen in Zukunftstechnologien sei eine Herausforderung. Es drohten Konflikte durch Handelsrestriktionen. Für die Herstellung von mobilen Endgeräten zum Beispiel sei die Verwendung von "seltenen Erden" unabdingbar. Diese kämen aber zum Teil nur in wenigen Ländern wie etwa in China vor, wodurch man in Abhängigkeiten von einzelnen Staaten gerate. "Die Risikolandkarte für Unternehmen ist komplex und dynamisch und lässt sich mit Intuition nicht erfassen", schloss Hager seinen Vortrag. "Erforderlich sind vielmehr systematische und in die Zukunft gerichtete Methoden. Denn: Aus der Vergangenheit kann jeder lernen. Heute kommt es darauf an, für die Zukunft zu lernen, tradiertes Silodenken zu überwinden und Risiken in ihren wechselseitigen Abhängigkeiten zu erkennen."
Dr. Peter Hager im Dialog mit einem Teilnehmer des Risikomanagement-Seminars
[Quelle des Textes: contact, Juli 2015, Seite 8 (Kundenmagazin des internationalen Versicherungsmakler Leue & Nill); mit freundlicher Genehmigung von Leue & Nill]