Der Münchner Faris Al-Sultan ist eine der schillerndsten Gestalten des internationalen Triathlonsports. Er wird von Publikum und Konkurrenz gleichermaßen geschätzt für eine offensive Renngestaltung, klare Worte gegen Doping und seine "old school" Rennbekleidung (Badehose und minimalistisches Oberteil). Zu seinen Palmarès gehören der Sieg beim Ironman Hawaii 2005, der Ironman Europameistertitel in Frankfurt am Main 2011 sowie eine Langdistanz-Bestzeit (3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren und 42,2 km Laufen) von unter acht Stunden. Mit 37 Jahren beendet er nun seine letzte Saison als Triathlonprofi.
Du genießt in den Medien das Image eines lockeren Draufgängers, der gerne beim Radfahren eine "all in"-Strategie riskiert. Gegen eine (zu) hohe Risikobereitschaft sprechen dagegen fast durchweg gute Rennergebnisse bei wichtigen Wettkämpfen, speziell auf Hawaii. Wie risikofreudig schätzt Du Dich selbst ein? Würdest Du sagen, dass Du ein riskantes Leben führst?
Faris Al-Sultan: Nein, ich führe kein riskantes Leben. Das größte Risiko dürfte das Radfahren an sich sein, und ich fahre auf der Straße ohne Helm. Im Wettkampf hat sich die Risikostrategie dahingehend relativiert, dass ich in den letzten Jahren körperlich gar nicht mehr dazu in der Lage war, wirklich zu überziehen. Die "Verdieselung" hatte schon zugeschlagen.
Welche Risiken im Wettkampf können durch eine gezielte Planung vermieden/minimiert werden, welche eher nicht? Welche technischen Hilfsmittel setzt Du dafür ein?
Faris Al-Sultan: Bei einem Acht-Stunden-Rennen kann so ziemlich alles passieren, aber im Sport arbeitet man irgendwie genauso wie in der Mathematik mit Wahrscheinlichkeiten. Die Wahrscheinlichkeit vom Hai gefressen zu werden, ist deutlich geringer als im Lotto zu gewinnen. Sie ist im Wettkampf also vernachlässigbar und auch nur schwer beeinflussbar. Hauptsächlich die Risiken "zu sterben" und Pannen zu erleiden, lassen sich durch eine gezielte Ernährungsstrategie und Training beziehungsweise durch ordentliche Materialpflege deutlich minimieren.
Kannst Du uns zwei Situationen in wichtigen Rennen nennen, bei welchen Du spontan von einem vorher entwickelten Plan abgewichen bist?
Faris Al-Sultan: Um ehrlich zu sein, im Sport ist es oft wie im Krieg: Der Plan zerfällt mit dem ersten (Start) Schuss, und es wird konstant improvisiert. Ich konnte mich oft auf mein Körpergefühl verlassen, aber ein interessantes Beispiel, dass das nicht immer funktioniert, war das Rennen auf Koh Samui in Thailand. Eine spezielle Distanz, 4 km Schwimmen, 120 km Radfahren und 30 km Laufen, das Ganze bei 33 Grad Wasser- und 36 Grad Lufttemperatur und immenser Luftfeuchtigkeit. Normalerweise hätte ich erwartet, mit einer Radleistung von etwa 300 bis 310 Watt unterwegs zu sein, schließlich war ich in der Spitzengruppe unterwegs, bei der Nachrennanalyse habe ich dann festgestellt, dass es nur 250 Watt waren.
Du hast den Weltmeistertitel auf Hawaii sehr früh in Deiner Karriere gewonnen. Das war 2005 mit gerade einmal 27 Jahren. Retrospektiv betrachtet, war das eher Fluch oder Segen?
Faris Al-Sultan: Ich war schon relativ trainingsalt, das heißt schon lange auf der Langdistanz unterwegs, daher war es zu einer erwartbaren Zeit, wenn man so vermessen sein will, im sportlichen Zusammenhang davon zu sprechen. Es war dahingehend ein Segen, dass ich den Hawaiisiegerbonus noch viele Jahre medial nutzen konnte.
Abbruch des Studiums, um Profisportler zu werden – für viele Eltern eine beängstigende Vorstellung. Inwiefern könnte man aus Deiner Erfahrung entgegnen, dass eine Karriere als "selbstständiger Sportler" besser auf eine zweite Berufslaufbahn vorbereitet als manches Studium?
Faris Al-Sultan: Ob es wirklich besser ist, sei dahingestellt, aber da die Langdistanz nicht von staatlicher Seite gefördert wird, wird man sehr schnell selbstständig und lernt viele Seiten des Unternehmertums kennen, sofern man das will und nicht alles von Externen erledigen lässt. Verhandlungen mit Sponsoren, Mediengespräche, Saisonplanung, Materialbeschaffung, Finanzplanung und Steuern.
Neben sportlichem Erfolg – welche Eigenschaften muss ein Sportprofi mitbringen, um in einer Randsportart auch finanziell erfolgreich zu sein?
Faris Al-Sultan: Intelligenz schadet nicht. Man sollte ein Gespür dafür entwickeln, was man wert ist, aber oft geht es nicht darum, sondern darum, was wo üblich ist. Ich habe mich auch oft unter Wert verkauft, manchmal bewusst, manchmal unbewusst.
Du hattest als langjährige Sponsoren unter anderem "Erdinger Alkoholfrei" und "Abu Dhabi Tourism Authority". Sind dies tatsächlich zwei Welten?
Faris Al-Sultan: Ja natürlich. Erdinger war bereits viele Jahre im Triathlon und im Sportsponsoring tätig und hatte sehr klare Vorstellungen von der Arbeit mit Athleten. Die Tourismusbehörde hingegen hatte zunächst überhaupt keine Ahnung, wie man mit uns umgehen oder uns einsetzen soll.
Aus der Sicht potenzieller Sponsoren – was spricht für und gegen ein Engagement im Triathlonsport?
Faris Al-Sultan: Sportsponsoring hat oft etwas mit Mäzenatentum zu tun und nicht unbedingt mit wirtschaftlichen Kriterien, aber wenn wir wirtschaftliche Kriterien ansetzen, dann hat der Triathlonsport eine innovations- und investitionsfreudige Klientel, die gut situiert ist. Die Fernsehpräsenz insbesondere im Langdistanzbereich ist leider eher mau. Es dürfte sehr von der Produktkategorie abhängen, ob ein Engagement sinnvoll ist oder nicht.
Mit Deinen langen Aufenthalten in den Vereinigten Arabischen Emiraten hast Du einen für Triathleten ungewöhnlichen Weg gewählt. Wie kam es dazu?
Faris Al-Sultan: Persönliche Kontakte meines Vaters haben mich vor über 20 Jahren in die Emirate geführt. Und mein Training dort und die guten Bedingungen waren ein wesentlicher Faktor meines Erfolgs.
Reputationsrisiko Doping. Wie geht man als erfolgreicher Ausdauersportler mit Vorurteilen wie "Die sind doch alle voll" um?
Faris Al-Sultan: Man kann seine Unschuld nicht beweisen, sondern nur aufklären, beispielsweise, wie und wie oft man kontrolliert wird oder wie sich die Leistung erklärt.
Warum scheuen viele Profis eine klare (öffentliche) Position zum Thema Doping – und warum scheinen auch viele Medien von diesem Thema überfordert?
Faris Al-Sultan: Viele Profis beziehen ja Stellung, Robert Harting beispielsweise. Aber viele Athleten haben schlicht Angst, denn die Zeit im Sport erfolgreich zu sein, ist sehr begrenzt, und das Korsett durch die Verbände ist eng. Man mag keine Leute, die aus der Reihe tanzen. Und in vielen Sportarten sind die Athleten von der Förderung abhängig und objektive Leistungskriterien sind sekundär.
Sportordnung, Wettkampfrichter, Anti-Doping- Agenturen – die Regulierung im Triathlonsport. Welche Maßnahmen funktionieren gut, bei welchen gibt es Verbesserungsbedarf, um ein faires Rennen sicherzustellen?
Faris Al-Sultan: Alles ist verbesserungswürdig im Sinne der Fairness, aber es bestehen einfach Interessenkonflikte. Wettkampfrichter sollten alle gut ausgebildet, motiviert und nach Möglichkeit selbst Sportler sein, manchmal viel verlangt für eine undankbare Aufgabe mit 50 Euro Aufwandsentschädigung. Die Veranstalter lassen zu viele Athleten starten, aber dem stehen wirtschaftliche Interessen gegenüber, konstante Fixkosten bedeuten sinkende Grenzkosten mit jedem weiteren Athleten. Die Sportordnung ist oft komplex und reguliert Dinge, die unreguliert besser wären, da sie sich nur schwer überprüfen oder ahnden lassen. Beispielsweise muss der Reißverschluss vorne in Österreich überwiegend geschlossen sein.
Triathlon ist eine wachstumsstarke Sportart, aber in der öffentlichen Wahrnehmung und Berichterstattung weit von König Fußball entfernt. Hättest Du Dir manchmal mehr mediale Aufmerksamkeit gewünscht, oder bemitleidest Du Fußballprofis gerade dafür?
Faris Al-Sultan: Teils, teils. Fußball ist die Weltsportart. Was mich mehr gestört hat als Aufmerksamkeit und Gehälter für Spieler der Topkategorie, ist der Umstand, dass Leute in der fünften Liga echte Gehälter verdienen, während ein Triathlet auf demselben Niveau nicht mal einen Powerbar geschenkt bekommt.
Wie gewinnt man als Triathlet einen Bambi – und was bedeutet dies für Dich?
Faris Al-Sultan: An sich eigentlich nicht viel, der Bambi ist ein Medienpreis und kein "Leistungspreis". Aber im Gesamtzusammenhang ist es natürlich toll, denn er besagt, dass man positive Aufmerksamkeit mit seiner Leistung und seiner Persönlichkeit erzeugt hat, ganz ohne Brüste zu zeigen.
Triathlon wird in der öffentlichen Wahrnehmung mit der Marke Ironman der World Triathlon Corporation (WTC) gleichgesetzt. Welche Chancen und Risiken ergeben sich für eine Sportart, wenn ein kommerzieller Veranstalter ein Quasi-Monopol auf Veranstaltungen besitzt.
Faris Al-Sultan: Das ist eine komplexe Frage. Einerseits bin ich ein Freund klarer Verhältnisse, und dafür ist es am besten, es gibt eine Firma, eine Serie und einen Weltmeistertitel, Ende. Von dem her wäre es am besten, wenn die ITU (Weltverband) sich um die Kurzdistanz, die WTC um Langdistanz und Mitteldistanz kümmern würde. Andererseits widerstrebt es mir und vielen anderen, einer privaten Firma das Wohl und Wehe des ganzen Sports in die Hand zu legen, die schlicht in erster Linie ihre kommerziellen Interessen verfolgt. Als Athlet war ich vom Umbau der WTC von unabhängigen, lizenznehmenden Veranstaltern zu einer zentral geführten Firma direkt betroffen, denn die teilweise guten Antrittsgelder wurden zu besserem Fahrtgeld eingedampft.
Die WTC wurde unlängst von Providence Equity Securities an den chinesischen Finanzinvestor Dalian Wanda verkauft. Nehmen wir an, Du wirst demnächst als externer Berater angestellt. Zu was rätst Du aus rein ökonomischen Gründen, und was wünscht sich Dein Sportlerherz?
Faris Al-Sultan: Das lässt sich problemlos verbinden. Da der bezahlte Preis sowieso völlig losgelöst von jedem reellen Zusammenhang mit dem Wert liegt, kommt ein "weiter so" sowieso nicht in Frage. Die Expansion muss sofort in China und Indien fortgeführt werden, wo 2,5 Milliarden Menschen darauf warten, mit Triathlon in Berührung zu kommen. Die bestehenden Wettkämpfe müssen qualitativ dem höchsten Standard angepasst werden. Das quasi nichtexistente Beiprogramm um die Wettkämpfe muss verbessert werden. Das Merchandisingprogramm sollte verbessert und verkleinert werden.
Als Religion überhöht würde man für Triathlon die Weltmeisterschaft auf Hawaii als Gründungsmythos nennen. Aus Marketing-Sicht würde man von einer Unique Selling Position sprechen. Was macht den Wettkampf in Kailua-Kona für Dich so besonders?
Faris Al-Sultan: Die Geschichte des Wettkampfs, die einzigartige Qualität der hawaiianischen Inseln, die Bedingungen und das Starterfeld.
Irakische Wurzeln väterlicherseits, ein Studium der Geschichte und Kultur des Nahen Orients sowie lange Aufenthalte im mittleren Osten. Was ist Deine persönliche, sicherlich differenzierte, Sicht auf die aktuellen Flüchtlingsströme nach
Faris Al-Sultan: Ich bin vom Denken her ein echter Germane, aber ich verstehe natürlich die Kultur und die Denkweise der Orientalen besser als ein "normaler" Deutscher. Grundsätzlich ist aus deutscher Sicht die Sache völlig klar, auch wenn das nicht jedem Deutschen gefällt. Wir brauchen Zuwanderung. Und unser Grundgesetz gewährt ein Asylrecht, denn die Syrer flüchten vor einem Bürgerkrieg. Wie viele wir allerdings davon vertragen, ist zu diskutieren. Es ist schlicht unmöglich für uns, fünf Millionen Syrer zu integrieren.
Aber Deutschland ist das reichste und innovativste Flächenland der Erde, es hat in völlig zerstörtem Zustand zwölf Millionen Vertriebene integriert, später EU-Ausländer, nach der Wende die gesamte ehemalige DDR wieder aufgebaut und ist dabei stets gewachsen und reicher geworden. Ich bin überzeugt davon, wir werden auch mit dem aktuellen Problem fertig.
Für Hobbysportler sind schon die schieren Distanzen beim Langdistanz-Triathlon beeindruckend. Was rätst Du Freunden, die dies einmal bewältigen möchten, um gesundheitliche Risiken zu vermeiden?
Faris Al-Sultan: Generell rate ich dazu, dem Körper Zeit zu geben, sich anzupassen. Sehnen, Knochen und Bänder brauchen deutlich länger als Muskeln oder das Herzkreislaufsystem, um sich anzupassen. Ein solides Training über mehrere Jahre mit steigenden Wettkampfdistanzen beugt Verletzungen und Enttäuschungen vor.
Politisch etwas unkorrekt wurdest Du im Radtraining oft ohne Helm gesichtet. Hat sich Deine Risikowahrnehmung mit der Geburt Deines Sohns geändert und wird er einmal Helmpflicht bekommen?
Faris Al-Sultan: Er wächst mit Helm beim Radfahren auf. Für ihn wird es so normal sein, wie für uns das Autofahren mit Sicherheitsgurt. Ich fahre auf der Straße immer noch ohne Helm.
Auch Deine Frau Ina Reinders war Triathletin. Gibt es eine unterschiedliche Risikowahrnehmung bei Frauen und Männern? Was ist Deine Beobachtung im Sport oder auch im Alltag?
Faris Al-Sultan: Männer sind viel größere Kindsköpfe als Frauen im Alltag wie im Sport und im Allgemeinen deutlich risikobereiter.
Euer Kind oder das Ende Deiner Profikarriere. Was ändert Dein Leben mehr?
Faris Al-Sultan: Beides beeinflusst mein Leben sehr. Da mein Rücktritt noch nicht so lang her ist, kann ich das noch nicht abschließend feststellen.
Jugendtrainer, Verbandsarbeit, Seminare oder etwas ganz anderes? Was macht der Frührentner Faris Al-Sultan mit seiner neu gewonnenen Freizeit?
Faris Al-Sultan: Vom genannten vermutlich alles. Darüber hinaus trainiere ich selber noch sehr gern, aber allzu konkret ist noch nichts.
Der Münchner Triathlet Faris Al-Sultan wurde 1978 geboren und bestritt mit nur 16 Jahren seinen ersten Marathon. Im Alter von 19 Jahren absolvierte er seine erste Triathlon Langdistanz auf Lanzarote – eines der härtesten Rennen weltweit. Im Jahr 2000 wurde er in Kulmbach zum ersten Mal Deutscher Meister, viele weitere Titel folgten.
Zu seinen größten Erfolgen gehören die Ironman Welt- und Europameisterschaftstitel aus den Jahren 2005 (Hawaii) beziehungsweise 2011 (Frankfurt am Main). Im Mai 2015 verkündete er seinen Rücktritt vom Profisport. Zusammen mit Christoph Dirkes veröffentlichte er 2007 das Buch "Triathlon: Motivation – Wettkampf – Erlebnis – Vom richtigen Einstieg zum erfolgreichen Finish".
Die Fragen stellte Matthias Scherer, Professor für Finanzmathematik an der Technischen Universität München (TUM) und Hobbytriathlet seit dem Jahr 2002. Das Interview ist erstmalig in Ausgabe 20/2015 der Zeitschrift RISIKO MANAGER im FIRM Special veröffentlicht worden.