Am 20. Mai 2020 hat die Europäische Zentralbank (EZB) den Entwurf eines Leitfadens zur Konsultation veröffentlicht, in dem sie ihre Erwartungen beschreibt, wie Institute mit klima- und umweltbezogenen Risiken angemessen umgehen sollten und wie diese Risiken unter dem derzeitigen aufsichtsrechtlichen Rahmen transparent offen zu legen sind. Auch wenn ihre unmittelbare Aufmerksamkeit der aktuellen COVID-19-Krise gilt, zeigt die EZB mit dieser Konsultation ihren unbedingten aufsichtlichen Willen den eingeschlagenen Weg zur stärkeren Integration von Klima- bzw. Umweltrisiken in das Risikomanagement der Institute fortzuschreiten.
Ziel des Leitfadens ist es, den Bankensektor für Klima- und Umweltrisiken zu sensibilisieren und den Umgang mit diesen Risiken zu verbessern. Auch wird er bereits ab Ende 2020 die Grundlage für den aufsichtlichen Dialog der EZB mit den durch sie beaufsichtigen Instituten bilden. In diesem Kontext spezifiziert der Leitfaden insbesondere 13 aufsichtliche Erwartungshaltungen, wie Institute klima- und umweltbezogene Risiken in ihren Governance- und Risikomanagement-Rahmenwerken und bei der Formulierung und Umsetzung ihrer Geschäftsstrategie berücksichtigen sollten. Außerdem beschreibt er, wie Institute klima- und umweltbezogene Risiken offenlegen sollten.
Die Joint Supervisory Teams (JST) der EZB werden dieses Verständnis mit den Instituten im Rahmen des Aufsichtsdialogs diskutieren. Von den Instituten wird erwartet, dass sie beurteilen, ob ihre derzeitigen Praktiken den Erwartungen entsprechen, und – falls erforderlich – umgehend Anpassungen vornehmen. Die EZB wird alle Praktiken, die von den Erwartungen abweichen, einzelfallbezogen bewerten. Es ist zu erwarten, dass insbesondere wesentliche Abweichungen als Abweichungen von bestehenden Regulierungsvorgaben interpretiert werden und zu aufsichtlichen Maßnahmen führen.
Die Konsultationsfrist endet am 25. September 2020. Der Leitfaden gilt dann unmittelbar ab dem Datum der Veröffentlichung der finalen Fassung, welche noch für das 4. Quartal 2020 zu erwarten ist. Ungeachtet der Konsultationsfrist ist für bedeutende Institute eine Standortbestimmung und der Start zur Schließung etwaiger Lücken bereits für 2020 unbedingt zu empfehlen.
Regulatorischer Hintergrund
Der EZB-Leitfaden reiht sich in eine Vielzahl von Veröffentlichungen von Standardsetzern und Aufsichtsbehörden in den letzten zwei Jahren ein. Diese gehen stets auf den EU-Aktionsplan zur Finanzierung eines nachhaltigen Wachstums vom 8. März 2018 zurück, der auch legislative Maßnahmen im Bereich der Bankenaufsicht vorsieht. Seit dieser Zeit wurden unter anderem auch Erwartungen an das Risikomanagement geäußert, die stets sehr ähnlich gelagerte Anforderungen formulierten, wenn auch aus unterschiedlichen Sichtweisen.
Der EZB-Leitfaden ist so konzipiert, dass sich die darin formulierte aufsichtliche Erwartungshaltung in geltendes EU-Recht einfügt. Er beschreibt das Verständnis der EZB, wie Institute mit klima- und umweltbezogenen Risiken unter dem derzeitigen aufsichtsrechtlichen Rahmen (d.h. Capital Requirements Regulation (CRR), Capital Requirements Directive (CRD) und European Banking Authority (EBA) Guidelines) umgehen sollten. Die EZB knüpft mit dem Leitfaden vor allem auch an anderen EZB-Leitfäden, insbesondere dem für den ICAAP (Internal Capital Adequacy Assessment Process), sowie auch EBA-Leitlinien an. Ähnlich zur BaFin und ihrem am 20. Dezember 2019 veröffentlichten Merkblatt stellt sie klar, dass bestehende Regulierungen weder verschärft noch abgeschwächt werden.
Zu den bislang ergriffenen Maßnahmen auf europäischer Ebene gehörte das erstmalige Aufgreifen in Leitlinien zur Kreditvergabe und -überwachung der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA), deren Entwurf vom 19. Juni 2019 im Bereich der Kreditrichtlinien und -prozesse bereits ein explizites Eingehen auf ESG ("Environmental, Social, Governance")-Faktoren sowie den Umgang mit physischen Risiken und Transitionsrisiken in der Kreditrisikosteuerung anhand relativ detaillierter Vorgaben forderte. Mit der Veröffentlichung der finalen Fassung vom 29. Mai 2020 bestätigt die EBA im Grunde ihre Sichtweise und formuliert für den Anwendungszeitpunkt 30. Juni 2021 auf europäischer Ebene erstmals – vorbehaltlich der Annahme durch die zuständigen Aufsichtsbehörden und diverser Übergangsvorschriften – verbindliche Vorgaben.
Am 6. Dezember 2019 hat die EBA die oben genannten Leitlinien in den Kontext eines bis zum Jahr 2025 reichenden Aktionsplans zur nachhaltigen Finanzierung gestellt. Schon damals forderte die EBA die Institute auf, Nachhaltigkeits- bzw. ESG-Risiken zu bewerten und zu überwachen, um mit Transitionsrisiken als auch physischen Risiken, die der Klimawandel mit sich bringt, umgehen zu können. In ihrem Aktionsplan stellte die EBA ihren Ansatz und ihren Zeitplan für die Erbringung von Mandaten im Zusammenhang mit ESG-Faktoren dar. Die EBA formulierte zudem schon zu diesem Zeitpunkt recht weitgehend ihre aufsichtliche Erwartungshaltung zum Umgang mit ESG-Risiken, insbesondere bezüglich Strategie und Risikomanagement, Stresstesting und Szenarioanalysen und Offenlegung. Bemerkenswerterweise ermutigte sie die Institute entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, bevor der rechtliche Rahmen innerhalb der EU angepasst und die verschiedenen Mandate der EBA geliefert wurden. Insofern kommen die thematischen Inhalte des EZB-Leitfadens nicht überraschend.
Die EZB hat das zweite Jahr in Folge Klimarisiken als wesentlichen Risikotreiber in der sog. SSM Risk Map aufgenommen, zuletzt am 7. Oktober 2019. Damals formulierte sie bereits den Anspruch, dass Institute Klimarisiken in einem übergreifenden Risikomanagement-Ansatz integrieren sollen. In den folgenden Aufsichtsgesprächen thematisierte sie bereits Klimarisiken bei den von ihr überwachten bedeutenden Instituten im Sinne einer Abfrage unter anderem des generellen Risikomanagement-Ansatzes der Institute für Klimarisiken, der konkreten Risikomanagement-Prozesse, der Verfahren zur Integration in Kreditvergabe- bzw. Anlageprozesse, der eingesetzten Stresstesting-Verfahren und Szenario-Analysen sowie der Informationen über von Klimarisiken besonders betroffenen Teilen des Kreditportfolios. Die EZB konstatiert im Leitfaden, dass Institute nach ihrer Beobachtung Nachhaltigkeit bislang eher im Kontext der "Corporate Social Responsibility" gesehen haben, jedoch ganzheitliche Risikomanagement-Ansätze noch zu entwickeln sind und diese erhebliche Bedeutung für die Finanzstabilität insgesamt haben.
Auf nationaler Ebene wurde am 20. Dezember 2019 die viel beachtete und diskutierte finale Fassung des BaFin-Merkblatts zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken veröffentlicht. Diese stellte die bislang ausführlichste Darstellung des Themas dar und sollte den direkt von der BaFin überwachten sog. weniger bedeutenden Instituten eine Orientierungshilfe in der Entwicklung geeigneter Ansätze und Verfahren geben – unverbindlich und zunächst ohne Prüfungspflicht, jedoch mit der Aussicht auf die Integration in die aufsichtlichen Überwachungsprozesse spätestens ab 2021.
Hierbei könnte auch eine Anpassung der Mindestanforderungen an das Risikomanagement der Kreditinstitute (MaRisk) eine Rolle spielen, deren 6. Novelle aktuell in Entwicklung ist und die zumindest nach dem Planungsstand der BaFin aus dem letzten Jahr explizite ESG-Aspekte auf die Ebene eines (verbindlichen) Rundschreibens heben und somit der Präzisierung der bereits bestehenden gesetzlichen Regelungen des § 25a KWG mit Blick auf ESG-Risiken bedeuten könnte. Erste Überlegungen der BaFin befassten sich vor allem mit Vorgaben zur Risikoinventur, Risikotragfähigkeit und dem Stresstesting im sog. Allgemeinen Teil (AT) sowie der Ermittlung der Werthaltigkeit von Sicherheiten, der Kreditbearbeitung, der Risikofrüherkennung und Klassifizierungsverfahren im Bereich der Anforderungen an die Aufbau- und Ablauforganisation (BTO).
Beim Vergleich der verschiedenen europäischen und nationalen Aktivitäten lässt sich somit feststellen, dass die inhaltlichen Schwerpunktsetzungen und selbst die zeitlichen Vorstellungen stets ähnlich lautenden Erwartungshaltungen folgen, die grundsätzlich sowohl für EZB- als auch BaFin-überwachte Institute gelten, wenngleich sie natürlich auf die unterschiedlichen Geschäfts- und Risikoprofile der Häuser zu beziehen sind.
Anwendungsbereich und Definitionen
Der Leitfaden gilt in erster Linie für alle bedeutenden Institute ("Significant Institutions" - SIs), die direkt von der EZB beaufsichtigt werden. Diese sollen den Leitfaden unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Exposition gegenüber Klima- und Umweltrisiken anwenden. Der Leitfaden wurde von der EZB und den national zuständigen Aufsichtsbehörden gemeinsam entwickelt. Dies soll eine konsequente Anwendung hoher Aufsichtsstandards im gesamten Euroraum sicherstellen. Daher wird den national zuständigen Behörden empfohlen, die in dem Leitfaden aufgeführten Erwartungen auch bei der Überwachung der weniger signifikanten Institute ("Less Significant Institutions" - LSIs) aufzugreifen.
Für die im Leitfaden diskutierten klimabezogenen und Umweltrisiken werden zwei Hauptrisikotreiber aufgeführt: physische Risiken und Transitionsrisiken. Unter physischen Risiken versteht die EZB die finanziellen Auswirkungen eines sich ändernden Klimas. Darunter fallen immer häufiger werdende extreme Wetterphänomene (akut) sowie langsame Klimaveränderungen (chronisch) oder Umweltschäden wie Luft-, Wasser- und Landverschmutzungen, Verlust der biologischen Vielfalt oder Entwaldung. Die Transitionsrisiken beziehen sich laut EZB auf den finanziellen Verlust eines Instituts, der direkt oder indirekt mit den Aktivitäten in Richtung einer kohlenstoffärmeren und umweltverträglicheren Wirtschaft resultieren kann. Dies beispielsweise durch Verabschiedungen von Klima- oder Umweltpolitik, technologischen Fortschritt oder Änderung von Marktpräferenzen ausgelöst werden.
In beiden Fällen können diese Risiken laut EZB direkt in Form von Ertragseinbußen oder Vermögensabwertungen materialisieren oder indirekt über eine Verschlechterung des makrofinanziellen Umfeldes für das Bankgeschäft. Ferner weist die EZB analog der BaFin auf Verlustpotentiale durch Reputationsschäden hin und führt darüber hinaus auch Rechts- bzw. Haftungsrisiken an. Spätestens hier erweist es sich als notwendig, die komplexe Begriffswelt der Aufsicht in Einklang mit der eigenen Risikolandkarte bzw. -inventur zu bringen.
Anforderungen im Überblick
Geschäftsmodell und Strategie
Die EZB erwartet von den Instituten, dass sie die Auswirkungen von Klima- und Umweltrisiken auf das Geschäftsmodell verstehen, in dem sie kurz-, mittel- und langfristig agieren, um fundierte strategische und ökonomische Entscheidungen treffen zu können. Dabei nimmt die EZB Bezug zu den EBA-Leitlinien zur Unternehmensführung ("Internal Governance"), nach denen Institute das Geschäftsmodell, in dem sie tätig sind, identifizieren, bewerten und überwachen sollen, da dort wesentliche Informationen für die Bewertung von Risiken und Entwicklungen abgeleitet werden können. Die dabei als wesentlich identifizierten Faktoren und deren Auswirkungen auf das Geschäftsmodell müssen dokumentiert werden. Außerdem erwartet die EZB von den Instituten, dass sie bei der Untersuchung ihres Geschäftsmodells Risiken identifizieren, die sich aus Klimawandel und Umweltzerstörung im Bereich von Schlüsselsektoren, Regionen sowie im Zusammenhang mit Produkten und Dienstleistungen ergeben, in denen sie bereits tätig sind oder tätig werden wollen.
Weiter erwartet die EZB von den Instituten, dass die eine Wesentlichkeitsbeurteilung von Klima- und Umweltrisiken dokumentieren. Zudem wird erwartet, dass die Institute verstehen, wie sich Klima- und Umweltrisiken kurz-, mittel- und langfristig auf ihr Geschäftsmodell auswirken und dies in ihrem Geschäftsstrategieprozess berücksichtigen. Dabei sollen insbesondere klimabedingte und ökologische Veränderungen des makroökonomischen und regulatorischen Umfelds sowie die Wettbewerbslandschaft berücksichtigt werden.
Auch bei der Festlegung und Umsetzung der Geschäftsstrategie erwartet die EZB, dass die Institute Klima- und Umweltrisiken und deren kurz-, mittel- oder langfristigen Auswirkungen auf das Geschäftsmodell berücksichtigen. Zudem sollen die Institute bestimmen, welche Klima- und Umweltrisiken im Hinblick auf die Geschäftsstrategie wesentlich sind. Dabei können beispielsweise Stresstests und Szenarioanalysen hinzugezogen werden. Bei den Szenarien sollen Annahmen (qualitativ/quantitativ) hinsichtlich der Auswirkung von Klima- und Umweltrisiken und des Zeithorizonts, über den die jeweilige Auswirkung voraussichtlich eintreten wird, getroffen werden.
Governance und Risikoappetit
Damit die Institute Klima- und Umweltrisiken verstehen und darauf reagieren können, erwartet die EZB, dass die diese Risiken in ihr Rahmenwerk für Governance und Risikoappetit einbetten und dabei alle relevanten Funktionen angemessen einbeziehen. Darüber hinaus muss eine angemessene und regelmäßige Berichterstattung an Geschäftsleitung und Management gewährleistet sein.
Von der Geschäftsleitung wird erwartet, dass Klima- und Umweltrisiken bei der Entwicklung der Geschäftsstrategie, der Geschäftsziele und des Risikomanagement-Rahmenwerks berücksichtigt und wirksam überwacht werden. Um dies zu erreichen, empfiehlt die EZB, dass die Geschäftsleitung innerhalb ihrer Organisation explizit Rollen und Verantwortlichkeiten im Umgang mit Klima- und Umweltrisiken zuweist; entweder einzelnen Personen oder in Form von Ausschüssen. Außerdem soll die Geschäftsleitung sicherstellen, dass Klima- und Umweltrisiken angemessen in Geschäftsstrategie und Risikomanagement eingebettet sind. Hierzu empfiehlt die EZB, dass die Geschäftsleitung ausdrücklich an der Festlegung, Genehmigung und Überwachung des Strategieprozesses beteiligt ist, sowie in der Lage sein sollte, Entscheidungen auf einer gut informierten und soliden Basis treffen zu können.
Darüber hinaus wird von der Geschäftsleitung erwartet, dass sie wirksame Überwachungsmechanismen etabliert, um die Exposition und Reaktion auf Klima- und Umweltrisiken beaufsichtigen zu können. Dabei sollen auch die diesbezügliche Leistung des Managements sowie die Erreichung der Ziele durch das Aufsichtsorgan überprüft werden. Zu diesem Zweck wird der Geschäftsleitung empfohlen, KPIs und Risikokennzahlen festzulegen und diese angemessen zu überwachen und zu überprüfen. Die EZB bezieht sich auch hier auf die EBA-Leitlinien zur Unternehmensführung und erweckt den Anschein, als handele es sich lediglich um die Umsetzung bestehender Anforderungen.
Auch in Bezug auf den Risikoappetit werden Erwartungen an die Institute spezifiziert. Die EZB erwartet, dass Klima- und Umweltrisiken ausdrücklich im Risikoappetit berücksichtigt werden. Dies kann dadurch erreicht werden, dass die Institute innerhalb ihrer Erklärung zum Risikoappetit genau definierte Beschreibungen von Umwelt- und Klimarisiken aufnehmen und dabei insbesondere mittel und langfristige Auswirkungen der Risiken auf das Institut berücksichtigen. Außerdem wird von der EZB angeregt, dass die Institute geeignete Risikoindikatoren entwickeln sowie angemessene Grenzwerte für Klima- und Umweltrisiken festlegen, die in Einklang mit ihren regelmäßigen Überwachungs- und Eskalationsprozessen stehen sollen. Darüber hinaus geht die EZB auch auf Vergütungspolitik und -praktiken ein. Diese sollen so gestaltet sein, dass diese ein Verhalten fördern, das sowohl mit dem klima- und umweltbezogenen Risikoansatz als auch mit freiwilligen Verpflichtungen des Instituts vereinbar ist.
Bezogen auf die Organisationsstruktur fordert die EZB, dass die Institute die Verantwortlichkeiten für das Management von Klima- und Umweltrisiken in Einklang mit ihrem 3 LoD-Modell ("Lines of Defense") vergeben. Es wird erwartet, dass ausdrückliche Verantwortlichkeiten für Klima- und Umweltrisiken zugewiesen und dokumentiert werden. Den Instituten wird überlassen zu entscheiden, ob diese Verantwortlichkeiten in bestehende Strukturen integriert werden, oder ob dafür neue Strukturen eingerichtet werden. Die EZB fordert aber, dass die mit dem Management von Klima- und Umweltrisiken betrauten Funktionen über die entsprechenden personellen und finanziellen Ressourcen sowie Befugnisse verfügen, um ihre Rolle effektiv wahrzunehmen. Bezogen auf die einzelnen Verteidigungslinien wird von der EZB folgendes erwartet: es sollen Aufgaben und Verantwortlichkeiten der ersten Verteidigungslinie in Bezug auf das Eingehen und Management von Risiken in Richtlinien, Verfahren und Kontrollen beschrieben werden. Die Aufgaben und Verantwortlichkeiten der Risikomanagementfunktion zur Identifizierung, Bewertung, Messung, Überwachung und Berichterstattung von Klima- und Umweltrisiken sollen klar definiert werden. Auch die Aufgaben und Verantwortlichkeiten der Compliance-Funktion sollen klar beschrieben werden und es soll daraus hervorgehen, dass Haftungsrisiken aufgrund von Klima- und Umweltrisiken angemessen berücksichtigt und effektiv in alle relevanten Prozesse integriert werden. Bezogen auf die interne Revision erwartet die EZB, dass diese bei der Überprüfung des Risikomanagement- Rahmenwerks berücksichtigt, inwieweit dieses für den Umgang mit Klima- und Umweltrisiken gerüstet ist.
Im Rahmen der internen Berichterstattung wird von den Instituten erwartet, dass sie eine aggregierte Sicht auf ihre Risikodaten bezogen auf Klima- und Umweltrisiken ausweisen können, um der Geschäftsleitung bzw. den zuständigen Ausschüssen fundierte Entscheidungsgrundlagen bieten zu können. Hierzu kann auch gehören, dass eine Anpassung der IT-Systeme notwendig wird, sofern Klima- und Umweltrisiken besondere Merkmale aufweisen, die bisher noch nicht abgebildet werden können. Ferner wird erwartet, dass die Institute rechtzeitig aggregierte und aktuelle Daten zu Klima- und Umweltrisiken bereitstellen können.
Risikomanagement
Übergreifendes Risikomanagement und -rahmenwerk
Aufbauend auf der Identifikation und Wesentlichkeitseinschätzung für Klima- und Umweltrisiken definiert die EZB Anforderungen zur Berücksichtigung im übergreifenden Risikomanagement und -rahmenwerk. Das umfasst die Abbildung im ICAAP und in Szenarioanalysen und Stresstests.
Konkret wird die Aufnahmen von Klima- und Umweltrisiken als Risikotreiber in das Risikomanagementrahmenwerk des Instituts gefordert. Seitens der EZB besteht hierbei die Auffassung, dass Klima- und Umweltrisiken als Risikotreiber bestehender Risikoarten (insbesondere Kredit-, Markt-, Liquiditätsrisiken und operationelle Risiken) aufgefasst werden können. Alternativ kann sich ein Institut auch für die Behandlung als eigenständige Risikoart entscheiden. In beiden Fällen soll das Institut Methoden entwickeln, die eine angemessene Quantifizierung von Klima- und Umweltrisken gewährleisten.
Es bleibt zwar weiterhin grundsätzlich möglich, Klima- und Umweltrisiken als nicht wesentlich festzulegen (d. h. auch kein bzw. kein wesentlicher Beitrag zu bestehenden Risikoarten), dies setzt jedoch zwingend einen quantitativen Nachweis voraus. Schwierigkeiten bei der Quantifizierung aufgrund von nicht ausreichend verfügbaren Methoden und Daten sind kein von der EZB akzeptierter Hinderungsgrund. Die Entscheidung der Klassifikation muss von der Geschäftsleitung getragen werden.
Vom Institut wird zudem ein strategischer Ansatz zur Steuerung der Klima- und Umweltrisiken erwartet, der mit Geschäftsstrategie, Risikoappetit und entsprechenden Kontrollen verzahnt ist und somit als ganzheitlich bezeichnet werden kann. Die weitreichende Forderung nach einer expliziten fortlaufenden Klima- und Umweltrisikobezogenen "Due Diligence" auf Ebene der Kundenbeziehung ist auch im Sinne einer übergreifenden Steuerung zu verstehen: Bei korrekter Durchführung hilft diese Analyse der Kreditnehmer nicht nur Kreditrisiken, sondern auch Reputations- und Haftungsrisiken des Instituts zu reduzieren.
Institute mit wesentlichen Klima- und Umweltrisiken sind aufgefordert, die Angemessenheit ihres Stresstesting-Rahmenwerks zu überprüfen und anzupassen, um die entsprechenden Risikotreiber in Szenarien und Methodik adäquat zu berücksichtigen. Das schließt die Basis- und adversen Szenarien des normativen ICAAP explizit mit ein. Abhängig von der Art und Weise, wie diese Risiken sich materialisieren, ist auch der Szenariohorizont zu erweitern und langfristige Szenarien zu betrachten. Da bislang wenige Institute Klima- und Umweltrisiken explizit in ihre Stresstests integrieren, scheint dies mit Blick auf die Erwartungshaltung bis Ende 2020 eine wesentliche Herausforderung zu sein.
Konkret erwartet die EZB in Bezug auf physische Risiken, dass die Institute bei der Definition von Szenarien auf wissenschaftliche Arbeiten (insbesondere IPCC - Intergovernmental Panel on Climate Change bzw. IEA - International Energy Agency) aufsetzen. Darüber hinaus sollen auch transitorische Risiken in den Szenarien abgebildet werden. Bei der Ableitung von Effekten sollen Institute berücksichtigen, dass diese in der Regel nicht aus der Datenhistorie ableitbar sind. Daher sind die Auswirkungen vielfältiger unterschiedliche Annahmen zu untersuchen.
Im Sinne des erweiterten Risikomanagements fordert die EZB auch Klima- und Umweltrisiken bei der Entwicklung der Belastungsszenarien im Rahmen der Recovery-Planung zu berücksichtigen und potenzielle Recovery-Maßnahmen vor dem Hintergrund von Klima- und Umweltrisiken zu testen.
Die EZB erkennt an, dass die Methoden zur Abbildung und Klima- und Umweltrisiken und die Verfügbarkeit relevanter Daten einer sehr dynamischen Entwicklung unterworfen ist und erst im Laufe der Zeit reifen werden. Um Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass Institute sehr regelmäßig prüfen und dokumentieren müssen, inwieweit die von ihnen genutzten Verfahren noch angemessen sind.
Risikoartenspezifische Erwartungen
Den übergreifenden Anforderungen an das Risikomanagement folgt im Leitfaden die Erwartungshaltung der EZB konkret bezogen auf die wesentlichen betroffenen Risikoarten und das Liquiditätsrisikomanagement. Hier werden wiederum verschiedene Umsetzungsvarianten in der Branche beispielhaft skizziert. Diese zeigen auch für die Umsetzung auf Ebene der Risikoarten den frühen Entwicklungsstand im Thema bzw. in der Umsetzung in der Bankenbranche.
Kreditrisiko: Der für die meisten Institute wichtigsten Risikoart Kreditrisiko wird bei den Anforderungen der umfassendste Teil der Ausführungen und Vorgaben gewidmet. Der Leitfaden beschreibt die Erwartung, dass Klima- und Umweltrisiken in allen Aspekten des Kreditprozesses berücksichtigen und auf Portfolioebene überwacht werden.
Insbesondere muss auf Ebene des Einzelengagements eine strukturierte Einschätzung erfolgen, ob Klima- und Umweltrisiken die Ausfallwahrscheinlichkeit des Kreditnehmers beeinflussen. Hierzu sollte die Bank Risikoindikatoren oder Ratings entwickeln und einsetzen, die dieses Risiko abbilden. Methodisch kann diese Abbildung zunächst qualitativ erfolgen – eine quantitative Berücksichtigung ist hier aber je nach Wesentlichkeit dieser Risiken zumindest perspektivisch sicher zu stellen (hier können beispielhaft sog. Heatmaps für bestimmte Branchen oder Länder zum Einsatz kommen).
In der Sicherheitenbewertung sind insbesondere physische Risiken bereits heute etablierter Bestandteil in vielen Instituten (abhängig vom Geschäftsmodell und den damit verbundenen Sicherheiten). Die EZB formuliert nun die explizite Erwartungshaltung, dass Klima- und Umweltrisiken strukturiert bei der Bewertung von Sicherheiten zu berücksichtigen sind (bei der Erstbewertung und auch auf fortlaufender Basis). Beispielhaft werden Fragen der Energieeffizienz im Immobiliensegment angeführt, die den Wert der Sicherheit wesentlich beeinflussen können.
Die EZB formuliert klare Erwartungshaltungen für die Überwachung und das Management der Kreditrisiken auf Portfolioebene – auch im Hinblick auf Klima- und Umweltrisiken. Diese sollen über Analysen bzgl. Konzentrationen (zum Beispiel geographische oder sektorale Konzentrationen) oder Szenarioanalysen/Stresstests transparent gemacht und gesteuert werden. Die Erkenntnisse hieraus sollen eng verknüpft mit den methodischen Fragestellungen und Festlegungen zum Risikoappetit und zur Data Governance werden.
In den Regelungen und Vorgaben zur Konditionengestaltung sind die Aspekte und Wirkungen der Klima- und Umweltrisiken adäquat abzubilden. Hier wird wiederum ein ganzheitlicher Ansatz eingefordert und diese Regelungen mit den Ausrichtungen der Bank bzgl. Risikoappetit und Geschäftsstrategie verknüpft. In diesen Ausführungen wird die Perspektive von der Risiko- zur Auswirkungssicht gewechselt: vergünstigte Konditionen können zum Beispiel an die Erreichung vereinbarter ESG-Ziele auf Ebene des Kreditnehmers geknüpft werden. Hierfür gilt es entsprechend Experten und Verantwortlichkeiten des gesamten Kreditprozesses zusammen zu bringen (von der Produktausgestaltung und Vertrieb bis zur Abbildung in den relevanten Systemen).
Im Kapitel Kreditrisiko verweist der Leitfaden abschließend auf die EBA-Leitlinien zur Kreditvergabe und -überwachung, die am 29. Mai 2020 final veröffentlicht wurde und bis 30. Juni 2021 von den Instituten umzusetzen sind. Hier stellen ESG-Risiken nur einen kleineren Teil der Vorgaben dar, sind aber in Vergabe- und Überwachungsprozessen angemessen abzudecken. Als methodische Herausforderung erweist sich hier die notwendige Abdeckung aller ESG-Risiken, d. h. auch Aspekte in den Themen Soziales und Governance, wohingegen der EZB Leitfaden lediglich auf die "E-Aspekte" abzielt.
Operationelle Risiken: Die Wirkung von Klima- und Umweltrisiken auf das Profil operationeller Risiken (OpRisk) der Institute muss in unterschiedlicher Wirkungsweise analysiert und berücksichtigt werden. Zum einen können diese Risiken (hier insbesondere die physischen Risiken) das OpRisk des Instituts erhöhen und stellen so ggf. neue Anforderungen an das Notfall- und Krisenmanagement der Institute (bzw. geben neue Impulse bzgl. Steuerungsentscheidungen, wie Transfer der Risiken auf Versicherungen). Weiterhin wirken physischen Risiken auf das Dienstleister- oder Auslagerungsrisiko, wenn zum Beispiel Unterstützungsleistungen von Dritten in Ländern oder Regionen erbracht werden, in denen das Risiko von extremem Wetterphänomen o. ä. (stark) ansteigt (beispielsweise Auslagerungen in Indien in Küstennähe mit erhöhtem Überflutungsrisiko).
Zum anderen kann die Bank mit den Aktivitäten (auf der Aktiv- oder Passivseite) erhöhten Reputations- und Haftungsrisiken ausgesetzt sein. Es sei die Aufgabe der Bank diese zu identifizieren, zu bewerten und zu steuern. Für das Reputationsrisiko wird an dieser Stelle (nachvollziehbar) der Betrachtungsgegenstand über die Klima- und Umweltrisiken hinaus vergrößert: auch Aktivitäten (zum Beispiel Kredite oder Anlagen) die kontrovers in Bezug auf Fragestellungen des Sozialen oder der Unternehmensführung sein können, sind mit abzudecken.
Die Einführung des Begriffs Haftungsrisiko ("liability risk") führt an dieser Stelle zu einer zusätzlichen Komplexität, da in den meisten Risiko-Taxonomien das Rechtsrisiko, Verhaltensrisiko ("Conduct Risk") und Compliance-Risiko bereits etabliert sind und eine zusätzliche Verortung und Abgrenzung des Haftungsrisikos schwierig (und wenig nutzbringend) erscheint.
Marktrisiko: Die Institute werden dazu angehalten (hier wörtlich "ermutigt") fortlaufend zu überwachen, wie sich Klima- und Umweltrisiken auf die aktuellen Marktpositionen und zukünftige Investitionen auswirken. Hierzu sollen Stress-Testing Instrumente und Szenarien zum Einsatz kommen. Dabei soll berücksichtigt werden, wie sich diese Risiken auf Angebot und Nachfrage bestimmter Finanzinstrumente (und deren Bewertungen) auswirken. Die EZB formuliert dabei klare Mindestanforderungen für Positionen des Handels- und Bankbuchs und bezüglich Unterrisikoarten des Marktpreisrisikos (zum Beispiel Anforderungen an Institute im Rohstoff- oder Waren-Handel).
Liquiditätsrisiko: Im abschließenden Teil der Risikomanagement-Anforderungen des Leitfadens, werden die Anforderungen an das Liquiditätsrisikomanagement formuliert. Hiernach sollen Institute strukturiert überprüfen, ob wesentliche Klima- und Umweltrisiken zu Mittelabflüssen oder Belastungen für die Liquiditätspuffer führen können. Diese Überprüfung soll vorausschauend in einem "business-as-usual"-Szenario und einem unter Stress erfolgen. Die Ergebnisse sind in der Liquiditätsplanung zu berücksichtigen.
Offenlegung
Im Rahmen ihrer Befassung mit Klima- bzw. Umweltrisiken hat die EZB auch einen Marktüberblick über Offenlegungspraktiken erhoben und dabei ein sehr heterogenes Bild vorgefunden. Nur eine Minderheit der bedeutenden Institute halte beispielsweise die Empfehlungen der "Task Force on Climate-related Financial Disclosures" (TCFD) ein. Dennoch wären Fortschritte hier wichtig mit Blick auf eine Stärkung der Marktdisziplin und somit auch der Informations- und Entscheidungsgrundlage der relevanten Marktteilnehmer bei der Würdigung des umfassenden Risikoprofils von Instituten.
Namentlich erwartet die EZB die aufsichtsrechtliche Offenlegung von Informationen und Kennzahlen zu Klima- und Umweltrisiken, die aus Sicht des Instituts wesentlich sind – zumindest in Einklang mit den Anforderungen der europäischen Vorgaben zur nicht-finanziellen Berichterstattung. Hier knüpft die EZB an der CRR und konkretisierenden EBA-Leitlinien zur Bestimmung der Wesentlichkeit von Informationen an. Sofern die Bewertung eines Instituts zum Ergebnis kommt, dass relevante Informationen nicht wesentlich sind, sei dies zu dokumentieren – auf Basis einer qualitativen und quantitativ unterlegten Begründung.
Ferner erwartet die EZB, dass Institute, die sich die Erreichung bestimmter Klima- oder Umweltziele zum Ziel setzen, entsprechende Informationen zum Erreichungsgrad und dem Fortschritt offenlegen. Dies nimmt Institute zwar aus Sicht der Öffentlichkeit stärker in die Pflicht, "Worten auch Taten folgen" zu lassen, wirft jedoch die Frage auf, ob eine aufsichtsrechtliche Offenlegung das richtige Medium ist und der Erkenntnisgrad der Leser in Bezug auf eigene ökonomische Entscheidungen gestärkt wird. Dies gilt vor allem wenn man den weiteren Detailgrad vorgeschlagener Offenlegungen betrachtet. Hierzu gehören detaillierte Angaben zu Treibhausgasemissionen auf Gruppenebene einschließlich der Kohleintensität von Unternehmenskunden sowie der Energieverbrauch von Immobilienportfolien.
Erschwerend kommt hinzu, dass die externe Berichterstattung bereits jetzt durch unterschiedlichste Vorgaben verschiedener Standardsetzer deutlich erweitert wird, ohne dass bislang eine ausreichende Abstimmung entsprechender Informationen erfolgt. Diese basieren beispielsweise auf der EU-Richtlinie zur nicht-finanziellen Berichterstattung, einer EU-Verordnung zur Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzsektor, einem Entwurf eines konkretisierenden regulatorischen Standards der drei europäischen Aufsichtsbehörden sowie neuen Anforderungen der CRR für die Offenlegung von ESG-Informationen durch sog. große kapitalmarktorientierter Institute, die wiederum auch durch die EBA noch zu spezifizieren sind.
Ausgewählte Abweichungen zum BaFin-Merkblatt
Grundsätzlich greift der EZB-Leitfaden die wesentlichen Inhalte aus dem BaFin-Merkblatt auf und es wird offensichtlich, dass die EZB die Vorleistung unter anderem der BaFin entsprechend gewürdigt hat. Zudem ist die prinzipielle Positionierung im Sinne einer unverbindlichen Empfehlung zunächst ohne formalen Prüfungscharakter identisch. Sowohl EZB als auch BaFin betonen, dass die Veröffentlichungen als Orientierungshilfe und Basis für den weiteren aufsichtlichen Dialog über angemessene Risikomanagement-Ansätze dienen, die hierbei aber auf bereits bestehenden Vorgaben aufbauen (zum Beispiel dem KWG und den MaRisk bzw. den relevanten europäischen Verordnungen und Richtlinien) und diese lediglich für Nachhaltigkeitsrisiken konkretisieren. Jedoch übertrifft der EZB-Leitfaden das BaFin-Merkblatt sowohl in Umfang als auch in Teilen den Detailgrad der Vorgaben.
Abweichungen gibt es naturgemäß im Anwendungsbereich. Das Merkblatt gilt für alle von der BaFin beaufsichtigten Unternehmen (Kredit- bzw. Finanzdienstleistungsinstitute, Versicherungsunternehmen, Kapitalverwaltungsgesellschaften). Es gilt also nicht für die direkt von der EZB beaufsichtigten signifikanten Institute, diese konnten bislang jedoch im eigenen Ermessen die Empfehlungen des BaFin-Merkblatts zur Orientierung nutzen, auch wenn die BaFin in der finalen Fassung einen expliziten Hinweis darauf gestrichen hat. Diese Lücke wird nun durch die Vorgaben aus dem EZB-Leitfaden geschlossen. Dieser gilt in erster Linie für die von der EZB beaufsichtigten signifikanten Institute, gibt aber auch auf expliziten Hinweis hin eine Orientierungshilfe für die national zuständigen Aufsichtsbehörden in der Überprüfung der weniger bedeutenden Institute. Da die BaFin hier bereits im letzten Jahr in Vorleistung getreten ist, dürften eher Aufsichtsbehörden anderer Länder diese Impulse aufnehmen. Dennoch bleibt die Frage, ob bestimmte Erwartungen der EZB indirekt auch eine Ausstrahlungskraft für weniger bedeutende Institute in Deutschland entwickeln könnten.
Abweichungen gibt es zunächst bei der Definition der Risikobegriffe. Sowohl das BaFin-Merkblatt als auch der EZB-Leitfaden verwenden einheitlich die Begriffe physische Risiken und Transitionsrisiken. Vor allem legen beide das Verständnis zugrunde, dass diese Risiken keine Risikoarten an sich darstellen, sondern Risikotreiber der etablierten Risikoarten darstellen. Allgemein ist jedoch im BaFin-Merkblatt stets übergreifend von Nachhaltigkeitsrisiken die Rede; darunter sind Veränderungen aus den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (Environmental, Social and Governance - ESG) zu verstehen. Die Deutung der BaFin von "Environmental" bezieht sich in erster Linie auf das Klima, jedoch wird auch die Wichtigkeit der Aspekte zu Sozialem und Unternehmensführung betont. Im EZB-Leitfaden hingegen erfolgt eine Fokussierung auf Klima- und Umweltrisiken und es werden unter dem Begriff "Environmental" sowohl Klima als auch Umwelt verstanden. Unter Umwelt ist in diesem Zusammenhang hinsichtlich Transitionsrisiken auch das Umfeld zu verstehen, in dem das Unternehmen agiert.
Eine weitere wesentliche Abweichung inhaltlicher Art besteht in der Darstellung einzelner Anforderungen in Bezug auf die einzelnen Risikoarten Kredit-, Marktpreis- und Liquiditätsrisiken sowie operationelle Risiken (EZB) anstatt einer übergreifenden Betrachtung (BaFin) sowie in der Aufnahme von expliziten Offenlegungsempfehlungen im EZB-Leitfaden, während die BaFin in ihrem Merkblatt mögliche Aspekte der Säule III vollständig außenvorlässt. Dagegen räumt die BaFin zum Beispiel dem Umgang mit Auslagerungen oder der Abgrenzung von Bonitäts- versus ESG-Ratings im Merkblatt einen stärkeren Stellenwert im Sinne gesonderter Kapitel ein. Die EZB integriert ihre Überlegungen zu Auslagerungen oder oben genannter Ratings in die Erwartung bezüglich der Steuerung operationeller Risiken bzw. Kreditrisiken.
Hinsichtlich des Detailgrades fällt ferner auf, dass bei verschiedenen Themen, bei denen die Granularität der Empfehlungen durch die BaFin während des Konsultationsprozesses wieder zurückgeführt bzw. abgeschwächt wurde (zum Beispiel explizite Anforderungen an die Erweiterung von Qualifikationen und Kapazitäten), die Erwartungshaltung der EZB sehr konkret ausfällt. Auch betont die EZB stärker die Rolle der Quantifizierung von Klima- und Umweltrisiken zum Beispiel hinsichtlich der notwendigen Integration in den ICAAP durch Szenarioanalysen und Stresstesting. Die BaFin überlasst die Überprüfung der grundlegenden Notwendigkeit gesonderter Stresstests den Instituten und erlaubt auch ausdrücklich deren qualitative Interpretation. Ein weiteres Beispiel für einen stärkeren Detailgrad der EZB-Anforderung betrifft die Berücksichtigung der Klima- und Umweltrisiken und deren Kosten in der Preisgestaltung. Während die EZB auch hier konkrete Vorgaben unter Bezugnahme auf schon bestehende Richtlinien (CRD) oder EBA-Leitlinien (Kreditvergabe und -überwachung) macht, sind die Empfehlungen der BaFin deutlich offener formuliert.
Implikationen und Handlungsbedarf
Auf die durch die EZB beaufsichtigten Institute kommen unter Berücksichtigung von Risikoprofil und Geschäftsmodell in vielen Fällen weitreichende Handlungsbedarfe zu, die stets auch mit Blick auf betriebswirtschaftliche Chancen sowie Möglichkeiten zur Gestaltung der Außenwahrnehmung betrachtet werden sollten. In Bezug auf den Anwendungszeitpunkt des EZB-Leitfadens und der darin formulierten aufsichtlichen Erwartungshaltung sollten diese umgehend adressiert werden, um auf den folgenden aufsichtlichen Dialog und Prüfungen der JST angemessen vorbereitet zu sein.
Dabei betreffen die neuen Vorgaben aufgrund des umfassenden Charakters von Klima- und Umweltrisiken im Grundsatz nahezu sämtliche Bereiche und Steuerungsaspekte der Institute. Insbesondere können folgende Handlungsbedarfe entstehen:
- Unternehmensspezifische Definition und Abgrenzung von Klima- und Umweltrisiken, auch mit Blick auf Soziales und Unternehmensführung
- Ergänzung bestehender Strategie- und Planungsprozess um Klima- und Umweltaspekte und starke Operationalisierung in objektivierbare Vorgaben
- Kritische Überprüfung des Produkt- und Kundenportfolios und ggf. Anpassung des Prozesses für neue Kunden und neue Märkte
- Zukünftige Zugrundelegung der Taxonomie bei der Bewertung des Produktportfolios und ggf. dem Neuen Produkte-Prozess und Identifikation der schon heute stark exponierten Teile des Geschäftsportfolios
- Sensibilisierung aller Mitarbeiter, um das Thema in der Unternehmens- und Risikokultur zu verankern
- Anpassung der Prozesslandschaft und Methoden der Datenverarbeitung, inklusive Definition der benötigten Daten für Zwecke der Säule II und III
- Festlegung klarer Strukturen und Verantwortlichkeiten im Sinne des 3 LoD-Modells
- Sicherstellung einer angemessenen Ressourcenausstattung mit entsprechendem Expertenwissen
- Berücksichtigung von Klima- und Umweltrisiken im Rahmen der Geschäftsanbahnung und Portfoliosteuerung
- Festlegung zielgerichteter Kennziffern und (Früh-) Warnindikatoren auch hinsichtlich der Überwachung der finanziellen Performance von Investitionen und Projekten
- Überarbeitung der bestehenden Risikomodelllandschaft und Integration von Klima- und Umweltrisiken in den ICAAP nebst Formulierung eines Anspruchs an eine (zukünftige) Quantifizierung
- Aufbau geeigneter Methoden und Verfahren zur Abbildung langfristiger Szenarien und Durchführung von Stresstests
- Erweiterte Aufnahme von Klima- und Umweltrisiken in die interne Berichterstattung
- Entscheidung über explizite Offenlegung von Informationen und Definition relevanter Informationen und Prozesse
- Festlegung von internen Risikominderungsmaßnahmen und Handlungsalternativen im Rahmen aller Geschäftsbeziehungen
- Sicherstellung einer konsistenten Anwendung von Gruppenvorgaben in Tochterunternehmen
Aufgrund der Vielfältigkeit und zunehmenden Bedeutung des Themas werden alle von der EZB beaufsichtigten Institute nicht umhinkommen, ihre internen Prozesse, Strukturen, Leitlinien und Vertragsdokumente zu überprüfen und anzupassen. Der Analyse- und Implementierungsaufwand sollte dabei wegen der weitreichenden und umfassenden Tragweite des Themas nicht unterschätzt werden. Er erfordert das Zusammenwirken unterschiedlichster Marktbereiche (z.B. Kredit, Anlage, Treasury etc.) mit nachgelagerten Bereichen wie Organisation/IT, Risikocontrolling, Finanzen, Compliance, Interne Revision und Recht. Es empfiehlt sich, bereits jetzt zumindest ein Zielbild mit einem entsprechenden Fahrplan zur Operationalisierung zu entwickeln. Nur so können rechtzeitig die notwendigen internen Strukturen geschaffen, die Akzeptanz bei allen Interessengruppen aufgebaut und gegenüber der EZB etwaige Lücken zur aufsichtlichen Erwartungshaltung argumentiert werden.
Ausblick
Die Konsultationsfrist 25. September 2020 lässt ausreichend Raum für einen Dialog zwischen EZB und der Kreditwirtschaft. Als Teil des Konsultationsprozesses hat die EZB am 17. Juni 2020 ein Webinar zur Diskussion des Entwurfs organisiert. Gleichzeitig stehen weitere Mandate der EBA an, die ebenfalls die weitere Ausgestaltung des aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozesses in Säule II erwarten lassen. Dies gilt vor allem für ein noch in 2020 zu erwartendes Diskussionspapier der EBA zur Integration von ESG-Risiken in den SREP, basierend auf einem Mandat aus der CRD V. Kritisch könnte angemerkt werden, dass die EZB mit ihrem Leitfaden mit sehr detaillierten Vorgaben dem eigentlichen Standardsetzer und "Mandatsträger" für die Säulen II (und auch III) zeitlich und inhaltlich vorgreift. Es bleibt abzuwarten, wie sich die beiden Vorgaben aufeinander abstimmen lassen.
Auf nationaler Ebene und eher für weniger bedeutende Institute unter BaFin-Beaufsichtigung wichtig ist die Klärung einer möglichen Ausstrahlungswirkung der EZB-Empfehlungen auf nationale Prüfungshandlungen sowie die etwaige Integration von Nachhaltigkeitsrisiken in die 6. MaRisk-Novelle, deren Konsultationsprozess bereits im Juli 2020 starten und in eine final bis Anfang 2021 zu veröffentlichende Fassung münden könnte. Hier ist zu erwarten, dass spätestens ab 2021 die Aufmerksamkeit der Aufsichtsbehörden auf eine geeignete Befassung mit einem ganzheitlichen Risikomanagement-Ansatz deutlich ansteigt.
Aufgrund des bereits Ende 2020 erwarteten Dialogs zwischen JSTs und bedeutenden Institute scheint hier eine kurzfristige und umfassende Bewertung des Statusquo sowie etwaiger Handlungsfelder aus Sicht jedes einzelnen Instituts unumgänglich. Die zeitliche Zielvorgabe lässt vermuten, dass nach Abschluss der Konsultationsfrist im Herbst 2020 nicht mehr viel Zeit bis zur Veröffentlichung der finalen Fassung des EZB-Leitfadens vergeht. Auch wenn die EZB anerkennt, dass sich die Verfahren und Methoden zum Risikomanagement und der Offenlegung von Klima- bzw. Umweltrisiken in einem frühen Stadium der Entwicklung befinden, stellen die heute bereits formulierten Erwartungen die meisten großen Häuser vor deutliche Herausforderungen. Und dies in einer COVID-19-geprägten Phase, die ohnehin die Ressourcen in der Banksteuerung stark bindet.
Autoren:
Thilo Kasprowicz, Partner, Financial Services
Dr. Pia Kempis, Manager, Financial Services
Markus Quick, Partner, Financial Services
Dr. Sebastian Rick, Senior Manager, Financial Services
Dr. Holger Spielberg, Partner, Financial Services