Risiko liegt meist in den dunklen Seitengängen einer unbekannten Zukunft verborgen. Es ist weder das Halbdunkel des Orakels noch das Spiegelbild der Vergangenheit! Der zukünftigen Ungewissheit des Lebens standen die Menschen in der Antike vollkommen hilflos und schicksalsergeben gegenüber.
Wenn etwa in der Antike die Griechen eine Vorhersage über potenzielle Ereignisse von morgen suchten, berieten sie sich nicht mit ihrem Risikomanager, sondern wandten sich an ihr Orakel.
Woher kommt das Risiko?
Der Risikobegriff und die Methodik eines Risikomanagements konnten erst entstehen, als die Menschen erkannten, dass die Zukunft nicht bloß den Launen der Götter entsprang und sie auch nicht ein Spiegelbild der Vergangenheit ist. Erst als man sich bewusst war, dass man sein Schicksal auch selbst mitbestimmt, konnten die Grundlagen der Wahrscheinlichkeitstheorie und des Risikomanagements entstehen. Etymologisch kann daher Risiko sowohl auf das frühitalienische "risco" (für "die Klippe") zurückverfolgt werden als auch auf das griechische "rhíza" für "Wurzel".
Sowohl eine zu umschiffende "Klippe" als auch eine aus dem Boden herausragende "Wurzel" kann zu einer "Planabweichung" führen, das heißt ein Risiko darstellen. Der heutige Begriff "Risiko" tauchte im 14. Jahrhundert das erste Mal in den norditalienischen Stadtstaaten auf. Der aufblühende Seehandel führte zur gleichen Zeit zur Entstehung des Seeversicherungswesens. Etymologisch können daher sowohl die Entstehung des Risikobegriffs als auch die Entwicklung der ersten Versicherungsverträge nicht voneinander getrennt werden. Risiko bezeichnet die damals wie heute existierende Gefahr, dass ein Schiff sinken könnte, etwa weil es an einer Klippe zerschellt oder von Piraten gekapert wird. Das "Risiko" quantifiziert das Ausmaß einer Unsicherheit und ermöglicht den kontrollierten Umgang damit.
Risikomanagement ist unabdingbar
Auch heute umfasst das Risikomanagement alle Aktivitäten eines Unternehmens im Umgang mit der nicht sicher vorhersehbaren Zukunft. Die Fähigkeit, Chancen und Gefahren (Risiken) adäquat abzuwägen, ist ein zentraler Faktor des unternehmerischen Erfolgs. Der Erfolg eines Unternehmens hängt nämlich wesentlich von der Qualität der Entscheidungen der Unternehmensführung ab – und bei einer nicht sicher vorhersehbaren Zukunft erfordert die fundierte Vorbereitung unternehmerischer Entscheidungen ein Abwägen erwarteter Erträge mit Risiken. Aus ökonomischer Perspektive werden Risiken – als Überbegriff zu Chancen und Gefahren – als Möglichkeit der Abweichung von Planwerten aufgefasst. Die Aufgabe des Risikomanagements besteht dabei zunächst in einer adäquaten Risikoanalyse und Risikoaggregation als notwendige Voraussetzung für eine Optimierung der Risikobewältigung und die Bereitstellung adäquater Informationen für risikogerechte Entscheidungen der Unternehmensführung. Für Unternehmen ist ein sicherer und zugleich professioneller Umgang mit dem Faktor Risiko (und damit auch der Chance) aus existenziellen Gründen unumgänglich. Ohne Risiken gäbe es aber auch keinerlei Chancen und der verantwortungsvolle Umgang mit Risiken stellt in Wirklichkeit einen wesentlichen Werttreiber für das Unternehmen und damit auch für alle Stakeholder dar.
Chancen und Wagnisse sind die zwei Seiten ein und derselben Medaille. Um Werte für ein Unternehmen zu schaffen, müssen Risiken eingegangen werden. Der Erfolg eines Unternehmens ist jedoch maßgeblich dadurch bestimmt, dass die "richtigen" Risiken ("Upside Risks") eingegangen werden. Risiken zu managen heißt auch, die richtigen Strategien zu entwickeln und entsprechend effektive und effiziente Geschäftsprozesse zu definieren.
Auf alles vorbereitet sein
Völlig unabhängig von den regulatorischen Veränderungen zählt das präventive Management von Chancen und Risiken schon immer zu den originären Leitungsaufgaben eines Vorstands bzw. Geschäftsführers. Insbesondere die "Business Judgement Rule" regelt im deutschen Gesellschaftsrecht als Teil der Organhaftung, nach welchen Verstößen der Vorstand oder Aufsichtsrat für begangene schuldhafte Pflichtverletzungen persönlich haftet und den entstandenen Schaden ersetzen muss. So muss der Geschäftsführer oder Vorstand beispielsweise im Einzelfall nachweisen, dass er seine Entscheidung auf der Grundlage angemessener Informationen getroffen hat – und daher auch Wetterwarnungen auf dem Radar hatte. Hierzu gehört insbesondere, dass die zukünftigen Chancen ("Upside Risks") und Risiken ("Downside Risks") bewertet und abgewogen werden und deren Implikationen für das zukünftige Rating beachtet werden. Zwar darf ein Geschäftsführer auch risikoreiche Geschäfte eingehen oder verlustbringende Maßnahmen ergreifen, jedoch niemals das erlaubte Risiko überschreiten und auch nie sein unternehmerisches Ermessen fehlerhaft ausüben. Dies ist beispielsweise dann anzunehmen, wenn aus Ex-ante-Perspektive das Handeln des Geschäftsführers mit dem Wohl der Gesellschaft unvertretbar erscheint.
"Risiken sind die Bugwelle des Erfolgs", sagt der deutsche Schriftsteller Carl Amery. Wer seine Chancen erkennen und nutzen will, muss unabdingbar auch seine Risiken managen. Das ist sicherlich mit Abstand die wertvollste Erkenntnis der jüngsten Turbulenzen in den Märkten und Staatshaushalten. Jeder Kapitän weiß, dass Schiffe für die Tage gebaut werden, an denen Stürme toben und riesige Wellen das Schiff wie ein Spielzeug hin und her schleudern.
Fazit
Klare Strategie muss also sein: Sie sollen jeden nur denkbaren Sturm überleben. Gleichzeitig ist es jedoch auch notwendig sich damit auseinanderzusetzen, wie die Steuerung (Geschäftsprozesse) des Schiffes auch in stürmischen Zeiten organisiert sein muss, damit das Schiff funktionsfähig bleibt!
Viele Risikomanager und Entscheider hingegen konstruieren ihr Risikomanagement so, als gäbe es nur Sonnentage und keinerlei Schlechtwetterwarnungen
Quelle und Buchtipp:
Prof. Dr. Werner Gleißner und Frank Romeike: Praxishandbuch Risikomanagement, Erich Schmidt Verlag, Berlin 2014, 974 Seiten, Euro 118,00, ISBN 978-3-503-15797-6 (eBook: 978-3-503-15798-3)
[Der Text basiert auf dem Vorwort der Autoren im Praxishandbuch Risikomanagement und ist parallel in der Zeitschrift schweitzerforum, Ausgabe 02|15, erschienen]