Bauch oder Kopf? Gute Frage! Intuition ist in vielen Situationen ein exzellenter Ratgeber. Insbesondere in Gefahrensituationen haben wir keine andere Wahl, als unser so genanntes Bauchgefühl zu fragen. Wir hätten weder Zeit noch Geduld eine strukturierte Szenarioanalyse durchzuführen, da wir schnell entscheiden müssen. Die schnelle Gehirnhälfte (in der Sprache des Psychologen und Nobelpreisträgers Daniel Kahneman) wird schnell aktiv und entscheidet. Wir gelangen zu einer Entscheidung, ohne diskursiven Gebrauch des Verstandes oder analytischer Methoden, also etwa ohne bewusste Schlussfolgerungen. Intuition hat daher einen engen Zusammenhang mit der "inneren" Logik der Gegebenheiten und mit früheren Erfahrungen.
Entscheidungen werden anhand von Faustregeln getroffen werden. Doch funktionieren derartige Heuristiken auch in komplexen Entscheidungssituationen? Insbesondere unternehmerische Entscheidungen unter Risiko sind in der Regel durch einen gewissen Komplexitätsgrad gekennzeichnet. Wir sollten uns hier nicht auf Heuristiken oder Intuition verlassen. Denn Intuition basiert auf der Fähigkeit der Mustererkennung im Gehirn, das heißt einer automatischen Abwägung von gelernten Wahrscheinlichkeiten. Doch helfen uns in komplexen (häufig neuartigen) Entscheidungen die gelernten Wahrscheinlichkeiten nicht wirklich weiter. Erfahrungswerte liegen häufig gar nicht vor. So führen Entscheidungen – basierend auf Intuitionen und Heuristiken, nicht selten zu Fehlern. Dies ist insbesondere immer dann der Fall, wenn sich das Umfeld verändert, was bei unternehmerischen Entscheidungen eher die Regel als die Ausnahme ist. Oder anders formuliert: Der Blick in den Rückspiegel führt zu einer fehlerhaften Heuristik.
Die RiskNET-Redaktion sprach mit Axel Esser (HGS Concept GmbH) über Risikointelligenz und aktuelle Erkenntnisse aus der Neuroökonomie.
Seit dem Buch "Schnelles Denken, langsames Denken" von Daniel Kahneman, der als Psychologe 2002 den Nobelpreis in Wirtschaftswissenschaften für seine Forschungen über das Verhalten im Rahmen ökonomischer Fragestellungen gewonnen hat, wächst das Interesse, auch von Unternehmen und deren Entscheidungsträgern, an der Neuroökonomie. Welchen Beitrag kann sie liefern?
Axel Esser: Ein wichtiger Bereich der Ökonomie beschäftigt sich mit Entscheidungen und wie diese zustande kommen, also der Auswahl von Handlungsoptionen. Die von Daniel Kahneman maßgeblich beeinflusste Verhaltensökonomie erklärt das Verhalten in – ökonomischen – Entscheidungssituationen im Gegensatz zu dem Postulat der rationalen Wahl der Wirtschaftswissenschaften auf einer neuen kognitionspsychologischen Basis, die auch das auf den ersten Blick irrationale Entscheidungsverhalten berücksichtigt. Die Neurowissenschaften führen diese Erkenntnisse weiter, machen die Zusammenhänge auf naturwissenschaftlicher Basis erklärbar und bieten neue Interventionsansätze zur Verbesserung der Architektur von Entscheidungsprozessen in Unternehmen; sowohl auf organisationaler als auch auf personaler Ebene.
In dem Zusammenhang taucht vermehrt der Begriff Risikointelligenz auf, der in unserer Alltagssprache kein geläufiger ist. Was muss man darunter verstehen?
Axel Esser: Intelligenz setzt Wissen voraus und so steht es auch mit dem Begriff Risikointelligenz. Die Basis ist das Wissen um das, was bei Entscheidungen unter Risiko im Gehirn passiert. Zunächst müssen wir die Verzerrungen in der Wahrnehmung und der Bewertung von Informationen, die unsere Entscheidungen beeinflussen, kennen. Das ist die Basis, um zu Strategien und Methoden für einem besseren Umgang mit der Informationsverarbeitung in den Entscheidungsprozessen unter Risiko zu kommen und damit zu einem risikointelligenten Entscheiden. Neurowissenschaftlich basiertes Wissen und die daraus abgeleiteten Methoden und Strategien zum Umgang mit Risikoentscheidungen sind die "Zutaten" für Risikointelligenz.
Lohnt es sich, sich mit Risikointelligenz in einem Unternehmen zu beschäftigen?
Axel Esser: Zunächst einmal muss man sich vor Augen führen, dass – wie Daniel Kahneman es in einem Artikel des McKinsey Quarterly im Mai 2006 ausgedrückt hat - man Unternehmen als "Entscheidungen produzierende Fabriken" ansehen kann, die natürlich auch andere Produkte und Dienstleistungen produzieren. Dabei immer aber auch Entscheidungen auf allen Ebenen. Daher ist es sinnvoll, sich mit der Qualität und dem Controlling der Entscheidungen näher auseinanderzusetzen, so wie auch die Qualität von Produkten und Dienstleistungen gemessen wird, um sie zu optimieren.
Den Nachweis der Wirksamkeit auf den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen haben Lovallo und Sibony in einer groß angelegten Studie von McKinsey nachgewiesen. Es zeigte sich, dass ein auf diese Weise geschultes Bewusstsein bei Entscheidungen den Unternehmen einen messbaren Mehrwert von sechs Prozent in der Performance gebracht hat [vgl. Lovallo/Sibony 2010].
Man kann also sagen: Risikointelligenz lohnt sich.
Wie kann Risikointelligenz verbessert bzw. trainiert werden?
Axel Esser: Zur Entwicklung der Risikointelligenz sind verschiedene Bausteine notwendig. Zunächst geht es um das Wissen über die Einflussfaktoren auf Entscheidungen und dabei um das Verhältnis von Emotionen und Ratio im Informationsverarbeitungs- und Entscheidungsprozess. Dieses Wissen und die sich daraus ableitenden Strategien für die Entscheidungsprozesse werden in unseren Seminaren vermittelt. Neben der Gestaltung von Entscheidungsprozessen geht es dabei auch um kognitive Techniken, die "innere Informationsverarbeitung" zu beeinflussen und mit den rationalen und emotionalen Anteilen bei Entscheidungen unter Risiko bewusst umzugehen. Ein weiterer Baustein zur Entwicklung von Risikointelligenz ist die Fähigkeit, Emotionen über Methoden der emotionalen Regulation zu steuern. Die Methoden dazu sind Achtsamkeit und Neurofeedback. Diese werden in unseren Seminaren eingeführt, müssen aber, um ihre Wirksamkeit zu entfalten, über einen längeren Zeitraum im Anschluss trainiert werden.
Axel Esser, Gesellschafter der HGS-Concept ist seit über 20 Jahren als Berater, Trainer und Coach in der Wirtschaft und im Leistungssport tätig. Er ist Gesellschafter der HGS Concept, die international in der Beratung großer Unternehmen tätig ist. Als Diplom-Kaufmann und Diplom-Psychologe entwickelt er seit fünf Jahren zusammen mit Forschern, Wissenschaftlern und anderen Fachexperten praxisorientierte Ansätze zur Anwendung der Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften für Unternehmen.
Intensiv-Workshop
Risikointelligent entscheiden: Erkenntnisse aus der Neuroökonomie
26. bis 27.09.2016, Brannenburg am Wendelstein
Ziel dieses Workshops ist es ein Bewusstsein zu schaffen für mögliche Fehlerquellen in individuellen Entscheidungsprozessen auf Grund von Annahmen und Denkgewohnheiten und damit die Qualität und Zuverlässigkeit von Entscheidungen zu verbessern.
- Welche Relevanz hat in diesem Kontext Neuro-Ökonomie? Klassische kognitive Verzerrungen auf Grund unbewusster mentaler Prozesse – Fehlerquellen wie Priming, Framing, Anchoring, Pattern Recognition.
- Einführung in die Theorien und Erkenntnisse der Neuro-Ökonomie in Bezug auf Entscheidungen – Wie Entscheiden im Gehirn abläuft.
- Wie kann ich in der Praxis bessere Entscheidungen treffen?
- Identifizierung persönlicher Heuristiken und kognitiver Verzerrungen.
- Denkgewohnheiten – Übertragung auf das Unternehmen oder die Branche: gibt es kollektive Fehlerquellen, die einen Einfluss haben?
- Entscheidungsprozesse unter Risiko aus neurowissenschaftlicher Perspektive – wie sich sowohl positive als auch negative Erregungszustände (states) auf Entscheidungen auswirken.
- Vorstellen eines Modells mit Vorhersagekraft für Risiko Affinität oder Risiko Aversion – Anticipatory Affect Model.
- Affektive Mechanismen – Emotion – Emotionale Regulation.
- Denken und damit Entscheiden läuft in unterschiedlichen Bahnen im Gehirn ab: Automatische und bewusste Denkprozesse und die Auswirkung auf die Qualität der Entscheidung.
- In einem Planspiel (RiskNET R&OM Simulation) sowie spezifisch entwickelten Fallstudien erfolgt eine vertiefende Betrachtungen und Diskussion zu automatischen und bewussten Prozessen.
- Praktische Werkzeuge/Methoden zur systematischen Steuerung mentaler Prozesse.
Diese Inhalte werden in einer Kombination von Theorie und Wissensvermittlung, persönlicher Erfahrung und Übertragung auf die praktische Unternehmenssituation vermittelt.