"Crisis? What Crisis?" – Während Krisenmeldungen seit Jahren die Schlagzeilen bestimmen, geht der Konjunkturzyklus weltweit wohl in die Verlängerung. Die Folge: Auch an den Kapitalmärkten dürfte die Party für risikobehaftete Assets weitergehen. "Es gibt keinen Grund, bearish zu sein." Mit dieser Botschaft ermunterte Jens Wilhelm, im Vorstand von Union Investment für das Portfoliomanagement zuständig, die Teilnehmer der 12. Risikomanagement-Konferenz seines Hauses in Mainz, auch 2018 verstärkt die Chancen an den Märkten zu nutzen. Insgesamt rund 350 Vertreter von Pensionskassen, Versicherungen, Banken und Großunternehmen hatten sich am 7. November in der Rheingoldhalle versammelt, um gemeinsam einen Blick auf das künftige Anlageumfeld, seine Chancen und Risiken zu werfen. Die Einschätzungen der Konferenzteilnehmer hierzu waren gemischt. Eine knappe Mehrheit von 51,5 Prozent erwartete für 2018 mehr Chancen als Risiken an den Märkten. 48,5 Prozent waren der gegenteiligen Meinung, so das Ergebnis einer Ted-Abstimmung vor Ort.
Seinen Optimismus begründete Wilhelm vor allem mit der robusten Entwicklung der globalen Wirtschaft. "Das weltweit synchrone Wachstum sollte die Kapitalmärkte 2018 weiterhin stützen." Auch die geldpolitische Haltung der Notenbanken in den USA und der Eurozone dürfte weiterhin für Rückenwind sorgen. Wilhelms Blick auf die unterschiedlichen Wirtschaftsregionen: Der sich bereits im neunten Jahr befindliche Konjunkturzyklus in den USA ist reif, aber robust. Für 2018 kann mit einem Wachstum von 2,4 Prozent gerechnet werden. Die Schwellenländer sind auf Kurs. Das Wachstum dort gewinnt an Breite. Die Sorgenkinder Russland und Brasilien haben die Rezession überwunden. In der Eurozone vollzieht sich eine wirtschaftliche Renaissance. Das Momentum ist hoch, und die Zuversicht von Verbrauchern und Industrie kehrt zurück. Auch Japan befindet sich nach einem verlorenen Jahrzehnt wieder im Aufwind.
Klares Plädoyer für die Aktie
Und wie sieht es an den Anlagemärkten aus? Dort kommen die Verhältnisse einem "Goldilocks-Szenario" gleich: robustes Wachstum, mäßige Inflation und geringe Volatilität. "In einem solchen Umfeld sollte sich Risiko auszahlen", so Wilhelm. Vor allem Aktien seien in spätzyklischen Phasen wichtige Renditequellen, betonte das Vorstandsmitglied. "Die Party an den Aktienmärkten dürfte weitergehen, weil die Rahmenbedingungen sowohl von den Notenbanken, von den Zinsen als auch vom globalen gesamtökonomischen Umfeld dafür sprechen." Investoren sollten dabei vor allem auf die Eurozone setzen.
Dort habe die Wirtschaft mehr Fahrt aufgenommen als erwartet und dafür gesorgt, dass die Konjunkturprognosen zuletzt immer wieder angehoben worden seien. Selbst mit Blick auf Katalonien, die Italien-Wahl und den Brexit vermochte Wilhelm aktuell keine ernsten Gefahren zu erkennen. Die Gefahr von Überbewertungen wies er als übertrieben zurück. Die Bewertungssituation in der Eurozone sei deutlich besser als in den USA. Solange die Gewinnerwartungen weiterhin positiv blieben, seien die aktuellen Kursstände nicht problematisch.
Bei den Teilnehmern der Konferenz fiel das Plädoyer für die Aktie größtenteils auf fruchtbaren Boden. 58,2 Prozent von ihnen äußerten die Erwartung, dass mit einer Korrektur an den Aktienmärkten frühestens ab 2019 zu rechnen sei. Das sah auch Wilhelm so, wies in diesem Zusammenhang jedoch auf eine bemerkenswerte Beobachtung hin. An den Börsen herrsche derzeit "der unbeliebteste Bullenmarkt der Geschichte". Keiner möge ihn, aber trotzdem gehe er weiter. Das größte Risiko, so Wilhelm, bestehe darin, nicht anzuerkennen, dass es gegenwärtig keinen guten Grund dafür gebe, bearish zu sein. Dass Wilhelm hier insgesamt aber noch Überzeugungsarbeit leisten muss, zeigt ein Blick auf die Aktienquote institutioneller Investoren, die vor allem gegenüber der Rentenquote seit Jahren signifikant zurückliegt. Auch die jüngste Risikomanagementstudie von Union Investment ist ein Beleg dafür, wie sehr gerade deutsche Investoren noch immer eine vornehmlich auf Risikovermeidung ausgerichtete Anlagepolitik verfolgen. 72 Prozent der Befragten hatten danach angegeben, dass die Sicherheit bei der Kapitalanlage für sie höchste Priorität habe. Die Rendite stand dagegen für lediglich 21 Prozent im Vordergrund. Noch im Vorjahr hatten sich die Anlagepräferenzen mit 66 Prozent bzw. 23 Prozent erkennbar anders dargestellt.
Risikokontrolliertes Chancenmanagement auch mit Derivatestrategien
Vor diesem Hintergrund erinnerte Alexander Schindler, im Vorstand von Union Investment für das Geschäft mit institutionellen Kunden verantwortlich, die Gäste der Konferenz erneut an die Notwendigkeit "traditionelle Anlagemuster aufzubrechen, um auch unter Inkaufnahme von Risiken die Chancen an den Märkten für den Erfolg zu nutzen." Konzentrierte Aktienportfolios oder Schwellenländeranleihen sowohl in lokaler als auch in Hartwährung können dabei nach Auffassung von Union Investment ebenso eine Alternative sein wie Hochzinsanleihen und Unternehmenskreditverbriefungen. "Ein unvoreingenommener Blick auf Verbriefungen lohnt sich", warb Schindler. Ihm sei bewusst, dass die Verbriefung minderwertiger Immobilienkredite vielen Investoren als Ursache der Finanzkrise im Gedächtnis geblieben sei. Allerdings, so warnte das Vorstandsmitglied, dürfe man nicht alle Verbriefungsarten über einen Kamm scheren. "Vor allem in Europa haben sich die meisten Verbriefungen durchaus als werthaltige Investments bei überschaubarem Risiko erwiesen".
Auch alternative Investmentstrategien seien für das Chancenmanagement gut geeignet. Im aktuellen Kapitalmarktumfeld könnten Investoren auf derartige Investmentkonzepte kaum verzichten. "Viele dieser Strategien benötigen zur Umsetzung allerdings Derivate wie etwa Optionen, Futures oder Swaps", so Schindler. Vor diesem Hintergrund hatte Union Investment Professor Alexander Szimayer von der Universität Hamburg beauftragt, den Nutzen des Derivateinsatzes in einer Studie genauer zu untersuchen.
In Mainz präsentierte der Finanzwissenschaftler die Ergebnisse. Ziel der Untersuchung war es, die Auswirkungen des Derivateeinsatzes auf das Risiko-Rendite-Profil von Portfolios institutioneller Anleger zu überprüfen. Die Studie beleuchtete die Fragestellung sowohl auf theoretischer als auch auf empirischer Ebene. Das Resultat: Der Einsatz von Derivaten kann tatsächlich zu einer Reduzierung des Risikos führen. Bei Investmentfonds konnte die risikoadjustierte Rendite um 0,42 Prozent gesteigert werden, bei gleichzeitiger Reduzierung des systematischen Risikos um 13 Prozent. "Grundsätzlich funktioniert die Risikominimierung mittels Derivaten in allen Marktphasen, selbst in Krisenzeiten", stellte Szimayer fest. Einen weiteren Schwerpunkt der Studie bildete die Frage, inwieweit das Korrelationsrisiko dazu genutzt werden kann, eine systematische Risikoprämie zu vereinnahmen. Auch hier kam Szimayer zu einem positiven Ergebnis: "Durch das Schreiben von Multi-Asset-Optionen kann das Korrelationsrisiko tatsächlich eine signifikante Risikoprämie erwirtschaften." Mittelfristig dürften Schindler zufolge daher auch Cross-Assetklassen-Korrelationen ein potenzieller Faktor für alternative Risikoprämien sein.
Hohe Zufriedenheit mit Derivaten
Darüber hinaus beschäftigte sich Szimayer in seiner Studie mit dem Derivateeinsatz institutioneller Investoren in der Praxis. Die dazu durchgeführte Umfrage unter mehr als 100 Investoren förderte zutage, dass inzwischen 60 Prozent der Großanleger in Deutschland auf Derivate zurückgreifen. Am häufigsten kommen dabei Swaps (80 Prozent) zum Einsatz, gefolgt von Optionen (62 Prozent), Futures (48 Prozent) und Forwards (46 Prozent). Die Anwendung von Derivaten im Risikomanagement zielt dabei vor allem auf die Absicherung von Marktrisiken ab. Insbesondere Zinsänderungs- und Währungsrisiken werden von mehr als der Hälfte der Derivatenutzer abgesichert. Mit Blick auf die Renditeoptimierung setzen sie vor allem auf die Vereinnahmung von Optionsprämien durch das Schreiben von Optionen (44 Prozent). Darüber hinaus nutzen sie Futures zur Kostenreduktion (39 Prozent).
Ein weiteres Ergebnis: Die Erfahrungen der Anleger, die Derivate im Rahmen ihrer Kapitalanlage nutzen, sind offenbar überwiegend positiv. Dies gilt sowohl mit Blick auf die Risikoabsicherung als auch hinsichtlich der Renditeoptimierung. Auf einer absteigenden Bewertungsskala von 1 bis 5 lag der Mittelwert bei der Erfahrung mit der Absicherung verschiedener Risiken zwischen 1,9 und 2,0. Lediglich die Erfahrungen bei der Absicherung des Inflationsrisikos fielen mit einem Mittelwert von 2,8 etwas schlechter aus. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Bewertung der Renditeoptimierung mittels Derivaten. Bis auf den Bereich der Währungen (2,6) lag der Mittelwert hier durchgängig bei 2,1.
Mancher Investor hat sich bereits neu orientiert
Dass die Abkehr von alten Anlagemustern in der Praxis bereits Anwendung findet, zeigte die Podiumsdiskussion mit drei Praktikern aus der Investmentbranche. Bei BASF gehört die Generierung von alternativen Faktorprämien jedenfalls bereits zum Investmentalltag. Gerhard Ebinger, beim Chemieriesen verantwortlich für die Verwaltung des Altersvorsorgevermögens, berichtete auf der Konferenz, wie entsprechende Smart-Beta-Strategien die Diversifikation eines Aktienportfolios verbessern und zur Risikosenkung beitragen können. Apropos Aktien: Auch hier dürfte die BASF mit einer Aktienquote von 28 Prozent im Vergleich mit anderen Investoren eine besondere Stellung einnehmen. Der Rentenanteil beträgt 53 Prozent. Weitere vier Prozent stecken in Immobilien und 15 Prozent in anderen Anlageklassen. Mit dieser Allokation erzielten die Vermögensverwalter der BASF im Zeitraum zwischen 1996 und 2016 eine durchschnittliche Jahresrendite von 8,5 Prozent.
Eine Lanze für alternative Assets brach Alexander Mayer, Sprecher der Geschäftsführung der W&W Asset Management. Zu diesem Segment zählen für ihn Immobilien genauso wie Private Equity, erneuerbare Energien, Infrastruktur und Private Debt. Insgesamt über zehn Prozent des Vermögens sind hier investiert. Aus Sicht von Mayer liefern diese Assets einen klaren Mehrwert. Bei einer guten Mischung ließen sich mit ihnen stabile und gut kalkulierbare Cash-Flows erzielen. Zudem hätten sie eine geringe Korrelation zu anderen Anlageklassen.
Über den Vorteil nachhaltiger Investmentstrategien berichtete Günther Herndlhofer von der österreichischen VBV Versorgungskasse. "Einen integrierten Nachhaltigkeitsansatz zu fahren bedeutet für uns das Einziehen einer zusätzlichen, qualitativ ausgerichteten Risikobewertungsebene", erläuterte der Praktiker. Bereits vor zwei Jahren hat die VBV, die sich zu den Principles for Responsible Investment (PRI) und dem Montreal Carbon Pledge bekennt, mit dem Divestment aus der Kohlebranche begonnen. Darüber hinaus hält sie sowohl in ihren Aktien- wie auch Rentenportfolios nur solche Unternehmen, die bestimmte Grenzwerte beim Ausstoß von Kohlendioxid nicht überschreiten.
Der Blick aufs große Ganze
Dafür waren in diesem Jahr Professor Francis Fukuyama, Politikwissenschaftler an der renommierten Stanford University, und Thomas Sargent, Ökonomieprofessor an der Universität von New York zuständig. Fukuyama, dessen These vom "Ende der Geschichte" in den 90er Jahren für Kontroversen gesorgt hatte, beschäftigte sich zuletzt mit dem Thema der politischen Ordnung und dem Zerfall der Politik. Professor Sargent erhielt im Jahr 2011 den Wirtschaftsnobelpreis für seine Arbeiten über die praktischen Auswirkungen wirtschaftspolitischer Entscheidungen.
In Mainz sprach Fukuyama über die Gefahren, die von Populismus und einem Erstarken autoritärer Systeme für eine auf Offenheit und Verständigung ausgelegte Weltordnung ausgehen. Ohne einen regen und möglichst unvoreingenommenen Meinungsaustausch sei kein Konsens möglich, und es entstünden unüberwindbare Fronten, die in Konfrontation münden würden. Insbesondere der aufkeimende Populismus in verschiedenen Regionen der Welt sei eine Herausforderung. Als Beispiel innerhalb Europas nannte der US-amerikanische Politikwissenschaftler die Entwicklung in Polen und Ungarn. Kritik übte Fukuyama in diesem Zusammenhang auch an der EU. So habe Brüssel anfangs viel zu passiv auf Ungarns Premier Victor Orban reagiert. Dies habe dem Populismus in Europa Tür und Tor geöffnet. Ob die neuen Gefahren sich realisieren oder die Weltordnung zukünftig doch liberal geprägt sein wird, machte Fukuyama auch vom Verlauf und der Dauer der Präsidentschaft Donald Trumps abhängig.
Auf den Unterschied zwischen Risiko und Ungewissheit ging Professor Sargent in seinem Vortrag ein. Während bei Risikoentscheidungen klar verstandene und definierbare Wahrscheinlichkeiten zum Tragen kämen, sei dies bei der Ungewissheit nicht der Fall. So gebe es beispielsweise für gewisse kapitalmarktrelevante politische Entwicklungen weder eindeutige Wahrscheinlichkeiten noch einen klaren Erwartungswert. Investoren sollten dies stets im Blick haben, da sich die politischen Risiken oft genug als Ungewissheiten entpuppen würden.
Der US-amerikanischer Politikwissenschaftler Yoshihiro Francis Fukuyama
Jens Wilhelm, Mitglied des Vorstands von Union Investment: "Es gibt keinen Grund, bearish zu sein."
Der US-amerikanische Ökonom Thomas Sargent wurde 2011 mit dem Preis für Wirtschaftswissenschaften der schwedischen Reichsbank im Gedenken an Alfred Nobel ausgezeichnet.
Professor Alexander Szimayer von der Universität Hamburg: "Grundsätzlich funktioniert die Risikominimierung mittels Derivaten in allen Marktphasen, selbst in Krisenzeiten."
Diskussionsrunde mit Gerhard Ebinger (BASF), Alexander Mayer (W&W Gruppe) und Günther Herndlhofer (VBV Vorsorgekasse)