Eigentlich ist alles bestens. Den Stresstest der Europäischen Zentralbank haben vor wenigen Monaten alle 25 deutschen Banken ohne große Blessuren überstanden. Unabhängige Studien zeigen ein etwas anderes Bild: Nur sechs Prozent der deutschen Institute verdienten ihre Eigenkapitalkosten, mithin lebten 94 Prozent von der Substanz. Vor wenigen Wochen wies Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret darauf hin, dass zum Glück einer Bank nicht nur Stabilität gehört, sondern auch Profitabilität. Ähnlich klingt die Kritik des Internationalen Währungsfonds (IWF). (Noch-)BaFin-Chefin Elke König ergänzte: "Kapital allein löst noch keine Probleme". Banken werden daher verstärkt dazu aufgefordert, ihre Geschäftsmodelle zu überdenken und auf das Ziel nachhaltiger Ertragsstärke auszurichten.
Einfacher gesagt als getan, oder? Was müssen die Banken tun, damit auch Kapital aufgebaut werden kann und die Risikotragfähigkeit erhöht wird?
Thomas Hartmann-Wendels: Das Grundproblem der deutschen Kreditwirtschaft ist in der Tat ihre mangelnde Profitabilität. Hierfür sind mehrere Faktoren verantwortlich: das niedrige Zinsniveau, das die Zinsüberschüsse dahinschmelzen lässt, die verstärkte Konkurrenz durch die sog. FinTechs, die die Banken in ihren angestammten Geschäftsfeldern Zahlungsverkehr und Kreditgeschäft angreifen, eine erhebliche Kostensteigerung durch umfangreichere Regulierungsvorschriften und schließlich mögliche Forderungen von Kunden in Milliarden-Höhe aufgrund einer verschärften Rechtsprechung zum Verbraucherschutz. Ohne eine ausreichende Profitabilität wiederum wird es schwer sein, die gestiegenen Kapitalanforderungen zu erfüllen, da die intern generierten Überschüsse dazu nicht ausreichen und Investoren kaum bereit sein werden, Kapital zur Verfügung zu stellen, wenn die Renditeaussichten eher bescheiden sind. Aus dieser Situation gibt es keinen einfachen Ausweg. Um die gestiegene Kostenbelastung aufgrund der umfangreicheren Regulierung abzufedern, wird es zu einer weiteren Konsolidierung im Bankensektor kommen, gegen die Konkurrenz der FinTechs kann man nur bestehen, wenn man sich an die Spitze der digitalen Entwicklung stellt und nicht hinterherhinkt, und gegen die Folgen einer niedrigen Zinsmarge kann man nur ankämpfen, indem man das Beratungsangebot ausbaut, um den Kunden attraktivere Anlagemöglichkeiten als die Spareinlage aufzuzeigen. Über all dem steht aber, dass es Banken gelingen muss, verloren gegangenes Vertrauen wieder aufzubauen.
Liegt die Krux nicht auch darin, dass es vor allem dann schwierig wird, eine angemessene Eigenkapitalrendite zu erwirtschaften, wenn die regulatorischen Eigenkapitalquoten hoch sind? Oder in anderen Worten: Erschwert das aktuelle Regulierungskorsett eine höhere Ertragsstärke?
Thomas Hartmann-Wendels: Die Höhe der Eigenkapitalrendite, die erzielt werden muss, ist nicht fix, sondern hängt von dem damit verbundenen Risiko ab. Dieses wiederum wird durch den Verschuldungsgrad mit beeinflusst. Anders ausgedrückt: Wenn eine Bank mehr Eigenkapital einsetzt, sinkt das Risiko pro Einheit eingesetztem Eigenkapital, damit sinken auch die Eigenkapitalkosten. Im Idealfall gilt das Theorem von Modigliani und Miller, dass die durchschnittlichen Kapitalkosten letztlich unabhängig von der Eigenkapitalquote sind. Das Theorem vom Modigliani und Miller kann man sicherlich nicht eins zu eins auf Banken übertragen, aber einen gewissen dämpfenden Effekt auf die Eigenkapitalkosten hat eine höhere Eigenkapitalquote schon. Daher müssen wir runterkommen von überzogenen Zielsetzungen bezüglich der angestrebten Eigenkapitalrendite.
Ist der Weg richtig und konsequent, dass die Aufsicht zukünftig auch Geschäftsmodelle prüft und ggf. auch ein zusätzliches Kapital zur Unterlegung einfordert?
Thomas Hartmann-Wendels: Die Ursache von Schieflagen im Bankensektor liegt meist darin, dass kein tragfähiges Geschäftsmodell vorhanden war. Dies verleitet dann nicht selten dazu, dass man sein Heil in spekulativen und hochriskanten Geschäften sucht, die irgendwann schiefgehen. Insofern ist der Ansatz, Geschäftsmodelle zu prüfen, durchaus richtig. Allerdings stellt sich die Frage, wie man die Tragfähigkeit eines Geschäftsmodells vorausschauend beurteilen will, und wer die Entscheidung treffen soll, ob ein Geschäftsmodell tragfähig ist oder nicht. So richtig die Grundidee ist, so sehr sehe ich doch die Gefahr, dass dieses aufsichtliche Instrument zu einem zahnlosen Tiger wird und der Schuss dann nach hinten losgeht: Jeder vertraut darauf, dass die Bankenaufsicht die Tragfähigkeit des Geschäftsmodells geprüft hat, also braucht man sich selbst keine Gedanken mehr zu machen. Hier muss man ganz klar auch die Grenzen einer Bankenaufsicht sehen. Darüber hinaus gilt: Höhere Kapitalanforderungen können ein fehlendes Geschäftsmodell nicht ersetzen, sie können aber Geschäftsaktivitäten unattraktiver machen.
Wissenschaftler weisen darauf hin, dass eine Durchführung des EZB-Stresstests nach den Regeln von Basel III dazu geführt hätte, dass etliche deutsche Banken durchgefallen wären. So beziehen sich etwa die Zahlen für die Kernkapitalquote nur auf die sogenannten "risikogewichteten" Anlagen. Bezogen auf die Gesamtanlagen liegt die EK-Quote beispielsweise der Deutschen Bank plötzlich bei nur noch 2,4 Prozent (statt der berechneten 8,8 Prozent). Sind die Banken also doch nicht so robust für eine Krise gerüstet? In den USA geht die Diskussion in die Richtung, den Banken deutlich mehr Eigenkapital vorzuschreiben. Auch die Vorschläge von Admati und Hellwig (2013) in ihrem vielbeachteten Buch "The Banker´s New Clothes" gehen in diese Richtung. Sie stellen die mit internen Berechnungsverfahren verbundenen Modellrisiken heraus und fordern eine deutlich höhere, nicht-risikosensitive Eigenkapitalquote von 20 bis 30 Prozent. Die Zentralbank dort schreibt den Banken eine EK-Quote von fünf Prozent der gesamten Vermögenswerte vor und bei großen Banken sogar sechs Prozent. Das ist rund doppelt so viel wie Basel III vorsieht. Wäre das der richtige Weg zu einem resilienteren Finanzsystem?
Thomas Hartmann-Wendels: Insbesondere seit der Finanzmarktkrise ist die Idee einer risikogewichteten Eigenkapitalanforderung verstärkt in die Kritik geraten, vor allem richtet sich die Kritik auf die aufsichtliche Anerkennung eigener Risikomodelle. Es ist sicherlich richtig, dass man die Leistungsfähigkeit eigener Risikomodelle überschätzt hat und dass diese Überschätzung dem einen oder anderen Bankmanager auch nicht ganz ungelegen kam. Wer aber jetzt die Rückkehr zu einfachen, risikoinsensitiven Kapitalanforderungen propagiert, übersieht, welche Faktoren zu der Entwicklung komplexer, risikosensitiver Kapitalanforderungen geführt haben. Dies war zum einen das Aufkommen von Finanzprodukten mit komplexem Risikoprofil – wie beispielsweise Derivate – und zum anderen die Erfahrung, dass irgendwann immer eine Bank auftaucht, die Lücken in der aufsichtlichen Risikoerfassung ausnutzt und Risiken eingeht, die nicht mehr getragen werden können. In einer Welt, in der es – wie bis Anfang der siebziger Jahre – außer Ausfallrisiken, die mit Krediten und Wertpapieren verbunden sind, praktisch keine anderen Risikoarten gab, kam man mit einer einfachen risikoinsensitiven Kapitalanforderung aus. Aber in dem Moment, in dem Marktpreisrisiken relevant wurden und das Handelsvolumen mit Derivaten explodierte, waren risikoinsensitive Kapitalanforderungen nicht mehr in der Lage, die Risikoposition einer Bank auch nur annähernd zu erfassen. Im Übrigen wundert es mich, dass man Basel II dafür verantwortlich macht, dass die Finanzmarktkrise nicht verhindert wurde. Die Ursachen für die Finanzmarktkrise reichen doch in eine Zeit zurück, als Basel II noch gar nicht in Kraft war.
Auch mit einer 25-prozentigen Eigenkapitalquote hätte Lehman nicht überlebt. Aber die Masse der Regionalbanken wäre hiermit wohl eher überkapitalisiert. Sind Vorgaben für Eigenkapitalquoten überhaupt sinnvoll? Sind nicht ein proaktives Risikomanagement und eine gelebte Risikokultur der beste Krisenschutz?
Thomas Hartmann-Wendels: Die Vorgabe von Eigenkapitalquoten ist durchaus ein sinnvolles Aufsichtsinstrument, auf das wir nicht verzichten sollten. Eine angemessene Eigenkapitalquote reduziert das Insolvenzrisiko und damit auch das Ausfallrisiko für die Gläubiger und dämpft zudem auch die Gefahr von Moral Hazard. Aber klar ist auch, dass die besten Regulierungsmaßnahmen ein gutes Risikomanagement und eine gelebte Risikokultur nicht ersetzen können. Aber insbesondere die gelebte Risikokultur kann man nicht verbindlich vorschreiben, und man braucht letztlich immer Vorschriften für die wenigen Akteure, die einen verantwortungsvollen Umgang mit Risiken nicht aus eigenem Antrieb pflegen.
Im Markt kann eine zunehmend kritische Sicht hinsichtlich Komplexität und Vergleichbarkeit bankinterner Modelle beobachtet werden. Es stellt sich in diesem Kontext die Frage, wie verlässlich die Basis für die Ermittlung der risikogewichteten Aktiva in Säule I ist. Wie könnte eine solche Vereinfachung aussehen?
Thomas Hartmann-Wendels: Eine kritische Sichtweise hinsichtlich der Zuverlässigkeit eigener Risikomodelle ist sicherlich angebracht. Wenn Risikomodelle bei Verwendung ein und desselben Testportfolios unterschiedliche Ergebnisse erbringen, kann das mehrere Ursachen haben. Eine Ursache ist in unterschiedlichen regulatorischen Anforderungen zu sehen, eine weitere in der Verwendung unterschiedlicher Datenhistorien und eine dritte in der Modellierung der Risikozusammenhänge. Wenn wir interne Modelle für Marktpreisrisiken betrachten, lassen sich die ersten beiden Ursachen vermeiden, wenn man hier einheitliche Vorgaben macht und strengere Anforderungen an die Datenhistorie stellt. Bei Kreditausfallrisiken sieht es schon wieder anders aus. Hier hat jede Bank ihre eigene Datenhistorie und daraus resultierend ein anderes Ratingsystem, mit dem die Ausfallwahrscheinlichkeiten geschätzt werden. Eine Vereinheitlichung ist hier nur schwer möglich. Modellierungsfreiheiten, insbesondere eine zu großzügige Berücksichtigung von Diversifikationsvorteilen, kann man durch aufsichtliche Vorgaben einschränken. Damit kann man die Variabilität in den Ergebnissen eigener Risikomodelle reduzieren. Es sei aber an dieser Stelle vor einem übertriebenen Drang nach Vereinheitlichung gewarnt: Risiken kann man nicht so eindeutig vermessen, wie Längen oder Gewichte. Wer meint, ein Risikomaß sei nur dann gut, wenn alle aufgrund rigider Vorgaben dasselbe Ergebnis ausweisen, schafft eine Scheingenauigkeit, die mehr schadet als das sie nützt.
Eine besondere Aufmerksamkeit haben die Baseler Vorschläge für eine "Annäherung von Risikosensitivität, Einfachheit und Vergleichbarkeit" erlangt. Das Papier skizziert potenzielle Weichen für Basel IV. Wie bewerten Sie die Vorschläge hinsichtlich einer erweiterten Offenlegung in Säule III, einer Verknüpfung von ökonomischen und regulatorischen Modellen, einer Verfeinerung und Stärkung der Leverage Ratio sowie einem kritischeren Umfang mit internen Risikomodellen?
Thomas Hartmann-Wendels: Eine Bankenregulierung, die auf risikosensitiven, dennoch aber einfachen und zugleich transparenten Kennzahlen basiert, gibt es nicht. Auch der Hinweis auf den Hund, der die Frisbee-Scheibe sicher fängt, ohne dabei die komplexen physikalischen Zusammenhänge, die die Flugbahn der Scheibe beeinflussen, zu kennen, trägt nicht. Banken verhalten sich nicht nach Naturgesetzen, sondern sind rationale Gegenspieler der Bankenaufsicht, d.h. es wird immer Akteure geben, die Regulierungslücken ausnutzen werden. Insofern brauchen wir komplexe Regeln, eine Kennziffer, wie die Leverage Ratio, die auch nur scheinbar einfach ist, hilft nicht weiter. Vergleichbarkeit ist kein Selbstzweck, vor allem hilft sie nichts, wenn sie regulatorisch erzwungen wird. Denn wer garantiert, dass das von der Bankenaufsicht oktroyierte Modell das richtige ist? Unterschiedlichkeit in den Ergebnissen ist auch eine Chance, um herauszufinden, auf welche Parameter und Modellierungsvarianten interne Modelle stark sensitiv reagieren. Auf diese Dinge muss man dann besonders achten und entsprechend konservative Vorgaben machen.
Welche Konsequenzen könnte eine höhere Leverage Ratio für Banken haben?
Thomas Hartmann-Wendels: Eine höhere Leverage Ratio ist vor allem für solche Banken ein Problem, die bislang in hohem Maße Aktiva mit niedrigem Risikogewicht halten. Das sind neben Hypothekenbanken und Bausparkassen auch einige passivlastige Sparkassen und Kreditgenossenschaften. Diese Banken werden durch die Leverage Ratio dazu motiviert, verstärkt in riskantere Assets zu investieren, um eine ausreichende Eigenkapitalrendite zu erwirtschaften. Ich kann nicht erkennen, dass hierdurch die Stabilität des Bankensektors erhöht wird.
Die Offenlegung weist bereits heute (insbesondere auch im Vergleich zu anderen Branchen) einen beträchtlichen Umfang auf. So umfasst der externe Risikobericht der Deutschen Bank rund 200 Seiten. Muss es nicht weniger um die Masse an Informationen, sondern eher um eine Bewertung und das richtige Verständnis der enthaltenen Daten und Erläuterungen gehen? Unabhängige Studien zeigen recht deutlich, dass vor allem die Qualität der Offenlegung in Europa und im globalen Kontext sehr heterogen ist. Was sind aus Ihrer Sicht die Herausforderungen im Kontext Offenlegung? Was wären die richtigen "cornerstones" für Basel IV?
Thomas Hartmann-Wendels: Die Offenlegungsberichte sind in den letzten zehn Jahren deutlich umfangreicher und detaillierter geworden. Dies liegt natürlich vor allem an den gestiegenen gesetzlichen Anforderungen. Letztlich ist es unmöglich, hier ein geeignetes Maß zu finden. Derjenige, der sich ein genaues Bild von der Risikolage einer Bank machen will, vermisst immer noch wichtige Details, derjenige, der prägnant zusammengefasst ein Gesamturteil haben möchte, sieht vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr. Aus diesem Dilemma sehe ich keinen Ausweg. Im Zweifel bin ich aber für mehr Offenlegung, damit die präsentierten Daten nachvollziehbar werden.
[Die Fragen stellte Frank Romeike, Chefredakteur RiskNET sowie verantwortlicher Chefredakteur der Zeitschrift RISIKO MANAGER]
Professor Dr. Thomas Hartmann-Wendels wurde 1957 in Düsseldorf geboren. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre in Köln war er Mitarbeiter von Professor Dr. Herbert Hax am Seminar für Finanzierungslehre an der Universität zu Köln.
Der Promotion 1985 über "Dividendenpolitik bei asymmetrischer Informationsverteilung" folgte 1990 die Habilitation an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln. Das Thema der Habilitationsschrift lautete "Rechnungslegung der Unternehmen und Kapitalmarkt aus informationsökonomischer Sicht". Noch im gleichen Jahr wurde er auf einen Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Betriebliche Finanzwirtschaft an die RWTH Aachen berufen und lehrte dort das Fach "Finanzierung und Banken".
Im Jahr 1997 wurde er zum Prorektor für Haushaltsplanung und Finanzen der RWTH Aachen gewählt. Zum Wintersemester 1998/99 folgte er einem Ruf auf den Finanzierungslehrstuhl der Universität zu Köln, von dort wechselte er zum Wintersemester 1999/2000 auf den Bankenlehrstuhl an der gleichen Fakultät.
Die Hauptarbeitsgebiete von Thomas Hartmann-Wendels sind die Neue Institutionenökonomie, die Theorie der Regulierung sowie das Risikomanagement bei Banken, insbesondere das Management von Kreditrisiken.