Analyse

Supply-Chain-Risiken in der Automobilindustrie 


Analyse: Supply-Chain-Risiken in der Automobilindustrie  Study

Supply-Chain-Risiken in der Automobilindustrie 

Der europäische Automobilsektor befindet sich derzeit in einer herausfordernden Marktsituation und nimmt nur schleppend an Fahrt auf. Wie die Creditreform Rating AG in ihrem neuen Report "Entwicklungen auf dem europäischen Automobilmarkt und Emissionstätigkeit bei Auto-ABS“ berichtet, konnte sich der Sektor zu Beginn des Jahres 2021 zwar zunächst von den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie zunehmend erholen, doch haben Versorgungsengpässe und das Aufkommen neuer Covid-Varianten den Fahrzeugmarkt in der zweiten Jahreshälfte stark negativ beeinflusst. Der Krieg in der Ukraine dürfte einen Aufschwung der Branche weiter behindern, da er für zusätzliche Engpässe und Störungen auf der Angebots- wie auch Nachfrageseite führen und somit die Produktion auch in diesem Jahr beeinträchtigen wird. 

Krieg in der Ukraine erschwert die Probleme in den Lieferketten weiter

"Insbesondere zwei der bisher aus der Ukraine und Russland in großem Umfang bezogenen Komponenten sind als besonders wichtig für die europäische Automobilindustrie einzustufen. Die Ukraine gehört zu den wichtigsten Herstellern von Kabelbäumen – auf sie entfallen etwa sieben Prozent der EU-Einfuhren dieses Produktes. Russland ist mit einem Anteil von rund einem Drittel einer der wichtigsten Lieferanten für Palladium am Weltmarkt. Zudem rechnen wir damit, dass sich Rohstoffe wie Nickel und Neongas ebenfalls weiter verknappen werden“, sagt Benjamin Mohr, Head of Sovereign Ratings and Economic Research der Creditreform Rating AG. Infolge des Konfliktes rechnet die Ratingagentur mit einem empfindlichen Rückgang der europäischen Automobilproduktion, wobei die deutschen Unternehmen wahrscheinlich am stärksten betroffen sein werden. So hatte der Vorstandsvorsitzende von Volkswagen bereits Mitte März 2022 vor einer möglichen Änderung der Prognosen gewarnt, falls sich die Lieferung von Kabelbäumen um mehr als drei bis vier Wochen verzögern sollte. OEMs (Original Equipment Manufacturer) wie Volkswagen, BMW und Porsche haben die Produktion in einigen ihrer Werke in Deutschland zeitweise eingestellt. Darüber hinaus haben diese Unternehmen ihre Aktivitäten teilweise verlagert, beispielsweise nach Nordafrika. Die stark steigenden Energiepreise stellen eine zusätzliche Belastung dar und erhöhen die Unsicherheit hinsichtlich der Aussichten für die Automobilproduktion.

Auch die Beschaffung von Mikrochips und Halbleitern dürfte in diesem Jahr schwierig bleiben und die Automobilbranche weiter beschäftigen. So rechnen die Automobilhersteller Umfragen zufolge damit, dass die Chip-Knappheit möglicherweise bis weit in das Jahr 2023 hinein andauern wird. "Um diesbezügliche Abhängigkeiten zu verringern, hat die Europäische Kommission bereits umfassende Maßnahmen vorgeschlagen, wie beispielsweise den European Chips Act. Auch die angekündigten Milliarden-Investitionen von Bosch und Intel in die Chip-Produktion in Deutschland werden zukünftig zu einer deutlichen Verbesserung der Situation führen. Jedoch wird dies akut keinen Effekt haben und die kurzfristigen Herausforderungen werden somit bestehen bleiben“, erklärt Mohr. 

Neuzulassungen auf Tiefstand – Elektrofahrzeuge holen auf

Das Marktjahr 2021 war, insbesondere in der zweiten Jahreshälfte, stark von den Unterbrechungen in den Lieferketten beeinflusst. Dass diese wieder zunehmen, dämpft die Aussichten auf eine Erholung der globalen und europäischen Automobilindustrie — auch wenn die Verbrauchernachfrage weiter robust geblieben ist. Nach Angaben des Europäischen Verbands der Automobilhersteller (ACEA) gingen die Zulassungen in der zweiten Jahreshälfte 2021 im Jahresvergleich um 20 % zurück – gegenüber einem Wachstum von 26 % im ersten Halbjahr 2021. Insgesamt sank die Zahl der Neuzulassungen in Europa um 1,9 % und erreichte ein langjähriges Tief von 11,35 Mio. Einheiten. Allein auf dem deutschen PKW-Markt war mit nur knapp 2,6 Mio. Neuzulassungen ein Rückgang von 10,1 % zu beobachten – der Wert liegt sogar gut ein Drittel unter dem Niveau von 2019. Dabei zeichnet sich jedoch eine grundlegende Trendwende ab: Erstmals überhaupt lag in der Europäischen Union der Anteil der neu zugelassenen Elektroautos (einschl. Hybridelektrofahrzeugen) über dem der Fahrzeuge mit klassischem Dieselantrieb. Der Anteil der BEV (Battery Electric Vehicle) und PHEV (Plug-in-Hybrid) an den Gesamtzulassungen verdoppelte sich 2021 gegenüber dem Vorjahr nahezu auf 18 %. Darüber hinaus erreichten Hybridelektrofahrzeuge (HEV) einen Anteil von einem Fünftel und lagen somit nahezu gleichauf mit den Dieselfahrzeugen. Der Anteil der Dieselfahrzeuge ging zuletzt rasch zurück, wobei das Vereinigte Königreich mit minus 8 % den stärksten Rückgang unter den fünf wichtigsten Märkten verzeichnete. In Deutschland wurden 2021 insgesamt 681.900 Elektrofahrzeuge zugelassenen. Dies entspricht einem Anstieg von 73 % und einem Anteil von 26 % an den gesamten Neuverkäufen, was bedeutet, dass jedes vierte zugelassene Auto mit einem Elektroantrieb ausgestattet war. 

"Es zeigt sich, dass die solide Vorarbeit der europäischen Regierungen und ihre konzertierten Bemühungen um die Elektrifizierung von Fahrzeugen zu erhöhen erfolgreich waren. Obwohl die europäischen Automärkte im Jahr 2021 mit noch nie dagewesenen Herausforderungen konfrontiert waren, konnten sie somit ein gewisses Maß an Dynamik beibehalten“, erklärt Benjamin Mohr und ergänzt: "Der Anteil der Elektroautos hat sich seit der Zeit vor der Pandemie mehr als verdreifacht. Die fünf großen europäischen Märkte, die rund 70 % des Gesamtmarktes ausmachen, konnten ein durchschnittliches Wachstum von 74 % bei Elektroautos verzeichnen. Dies stellt den bislang größten Anstieg dar.“

Trotz der Zunahme bei den Elektrofahrzeugen ging die Zahl der Neuzulassungen in Europa 2021 im Vergleich zu 2019 um knapp 4 Mio. Fahrzeuge zurück, was einem Rückgang um rund 26 % entspricht. Gebrauchtwagen zeigten sich demgegenüber deutlich widerstandsfähiger und waren weit weniger von den Rückgängen betroffen. Dabei haben Gebrauchtwagen aus der Sicht der Preisrealisierung in den letzten zwei Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung gezeigt und in der zweiten Jahreshälfte 2021 aufgrund der zunehmenden Angebotsengpässe bei Neuwagen einen erheblichen Aufschwung erfahren. Laut Creditreform Rating dürfte die Situation in nächster Zeit anhalten, zumal der Russland-Ukraine-Konflikt die Erholung der Lieferketten zu gefährden droht und auch die anhaltende rasche Ausmusterung von Verbrennungsmotoren den Gebrauchtwagenbestand weiter reduziert. 

Auto-ABS als gute Investitionsmöglichkeit in unsicheren Zeiten

Durch den Angebotsrückgang und die sinkende Zahl der Neuzulassungen wurde aber auch der europäische Markt für Auto-ABS-Emissionen (Asset-Backed-Security, forderungsbesicherte Wertpapiere) stark getroffen. So lag das Emissionsvolumen 2021 bei 21,6 Mrd. Euro und somit mehr als ein Drittel unter dem Niveau des Vorjahres – was zugleich dem niedrigsten Wert seit 2011 entspricht. Was die Herkunft der europäischen Auto-ABS-Emissionen angeht, zeigten sich Captives (an die Automobilhersteller gebundene Banken) in Krisenzeiten weiterhin widerstandsfähiger als Non-Captives. Zwar führten die schwierigen Marktbedingungen auch bei den von Captives gewährten Emissionen zu einem Rückgang um mehr als ein Viertel, dennoch konnte ihr Marktanteil an den Gesamtemissionen mit 69,5 % geringfügig ansteigen (+1,1 Prozentpunkte ggü. 2020). Unter den führenden Emittenten blieb der französische Automobilhersteller Renault an der Spitze und nahm bis 2021 7,6 Mrd. Euro auf, womit er im vergangenen Jahr mit 35 % den höchsten Marktanteil erreichte. Verglichen hierzu beliefen sich die Emissionen von Volkswagen auf 2,9 Mrd. Euro, was einem Marktanteil von 14 % entspricht. Demgegenüber lagen die Emissionen aller Non-Captives 2021 lediglich bei 6,6 Mrd. Euro – ein Drittel weniger als in dem Jahr zuvor.

"Angesichts der aktuellen Herausforderungen für die europäische Automobilindustrie und den Entwicklungen am Markt, gehen wir derzeit davon aus, dass die Preise sowohl für Neuwagen als auch für Gebrauchtwagen weiter steigen, was dem Markt für Auto-ABS-Sicherheiten generell zugutekommt. Zudem könnte es vor dem Hintergrund der perspektivisch weniger expansiven Geldpolitik im Euroraum zu Vorzieheffekten bei Autokäufen und -finanzierungen kommen. Entsprechend dürften die Captive-Finanzierungsgesellschaften sowohl das Volumen der Neuwagenkredite wie auch die Finanzierung von Gebrauchtwagen moderat steigern können “, sagt Benjamin Mohr und ergänzt: "Daher scheint das derzeitige Umfeld für Captives günstig zu sein, um das Emissions- und Verbriefungsvolumen zu erhöhen. Grade in unsicheren Zeiten können Auto-ABS eine relativ gute Alternative für Investitionen im Bereich der festverzinslichen Wertpapiere darstellen.“

[ Source of cover photo: Adobe Stock.com / Gorodenkoff ]
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