Jeder weiß, dass der Staat seine Schulden nicht zurückzahlt. Wenn die Kredite an die öffentliche Hand ein bestimmtes Niveau erreicht haben, dann verharren sie entweder auf dem erreichten Stand oder steigen weiter an. Verringern tun sie sich nach aller Lebenserfahrung nicht.
So lautet die allgemeine Meinung. So ganz richtig ist sie freilich nicht. Es ist vielmehr eine der typischen Geldfallen, die plausibel erscheinen, in Wirklichkeit aber so nicht richtig sind. Ich habe in meinem neuen Buch viele andere solcher Geldfallen beschrieben.
Richtig ist: Die einzelnen Schuldtitel – etwa Anleihen – werden unter normalen Bedingungen hinsichtlich Zins und Tilgungen jeweils ordentlich bedient. Der Staat nimmt dafür dann neue Kredite auf. Nur bei einem Staatsbankrott ist das nicht der Fall. Der kommt freilich öfter vor als man denkt.
Auch die Schuldenquote ist schon häufiger zurückgekommen. Die Schuldenquote ist die Relation der öffentlichen Schulden gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Die USA beispielsweise hatten nach dem Zweiten Weltkrieg einen Schuldenstand von 120 Prozent des BIP. Vierzig Jahre später betrug er nur noch 30 Prozent. In Großbritannien sind die Schulden gemessen am BIP in dieser Zeit ebenfalls deutlich herunter gekommen.
Das lag freilich weniger an einer sparsamen Haushaltspolitik. Entscheidend waren vielmehr, dass das Sozialprodukt kräftig zunahm, dass die Inflationsrate relativ hoch war und dass die Zinsen durch staatliche Eingriffe gedeckelt worden waren. Das waren alles Bedingungen, die heute nicht mehr so gelten.
Umso mehr war ich überrascht zu sehen, wie sich die Schuldenquote in den letzten Jahren in Deutschland verringert hat (siehe Grafik). Die gesamten Verbindlichkeiten der öffentlichen Hand waren in der Finanzkrise 2008 bis 2010 von 65 Prozent auf über 80 Prozent des BIP hochgeschnellt. Seitdem aber geht die Quote zurück. Nach den Schätzungen des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung wird sie in diesem Jahr nur noch 74,1 Prozent betragen, im nächsten Jahr nur noch 72 Prozent. Das ist ein deutlicher Schritt in Richtung auf das 60-Prozent-Kriterium des Maastricht-Vertrages, das viele in den letzten Jahren als nie mehr erreichbar ansahen.
Rückläufige Schuldenquoten? In % BIP, Gesamtstaat Deutschland [Quelle: Bundesbank, Sachverständigenrat]
Was steckt dahinter? Wirtschaftet der Staat doch besser als wir denken? Immerhin hat es die öffentliche Hand in Deutschland in den letzten Jahren geschafft, die Haushaltsdefizite, die sich 2010 auf EUR 105 Mrd. belaufen hatten, auf eine "Schwarze Null" zu reduzieren. Das ist eine Leistung, die nicht viele andere Staaten hinbekommen haben.
Zur Verringerung der Schuldenquote reicht dies freilich nicht aus. Dazu muss der Staat nicht nur keine Defizite mehr machen. Er muss Überschüsse erwirtschaften. Nur dann kann er die aufgenommenen Kredite zurückzahlen. Das liegt im Augenblick noch in weiter Ferne.
Dass die Schuldenquote von 2010 bis 2015 trotzdem zurückgeht, liegt an zwei Dingen. Zum einen hat sich das Bruttoinlandsprodukt um fast EUR 400 Mrd. erhöht. Damit wird der Nenner größer und die Schuldenquote verringert sich. Das war der wichtigste Effekt. Selbst wenn der Staat also keine Kredite zurückzahlt, geht die Schuldenquote allein durch das Wirtschaftswachstum zurück.
Zum anderen aber sind auch die Verbindlichkeiten des Staates kleiner geworden, und zwar um EUR 73 Mrd. Das ist zwar nicht so groß wie der Wachstumseffekt. Aber immerhin trägt auch dies zu rund einem Fünftel zur Verbesserung der Schuldenquote bei. Das ist überraschend. Die Verbindlichkeiten des Gesamtstaats gehen zurück, obwohl er in seinen laufenden Ausgaben und Einnahmen keinen nennenswerten Überschuss erwirtschaftet.
Der Grund liegt in den Spätfolgen der Finanzkrise. Nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers 2008 hatte der Staat faule Kredite einzelner Banken (unter anderem der Hypo Real Estate) in seine Bücher genommen. Dadurch sollten die Institute vor der Insolvenz gerettet werden. Diese Kredite wurden in "Bad Banks" ausgegliedert. Sie werden jetzt Stück für Stück abgewickelt. Dadurch verringern sich die Verbindlichkeiten des Staates.
Das ist aber kein Zeichen finanzpolitischer Solidität. Es ist lediglich Ausdruck, dass die Aufräumarbeiten nach der Finanzkrise vorankommen. Die Situation im Bankensektor hat sich gebessert. Der Staat zieht sich aus seiner Hilfsfunktion zurück. Der Prozess wird noch einige Jahre weitergehen. Die FMS Wertmanagement, in der sich die Portfolien der Hypo Real Estate befinden, hatte Ende letzten Jahres noch ein Portfolio von EUR 119 Mrd. In der Spitze waren es EUR 176 Mrd.
Autor:
Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.
Kommentare zu diesem Beitrag
Der Bundestag hat den Plan von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) für einen ausgeglichenen Haushalt im Jahr 2015 verabschiedet. Es wäre das erste Mal seit 1969, dass der Bund wieder eine "schwarze Null" in seinem Budget erreicht.
In der Sitzung des Parlaments stimmten 474 Abgeordnete für den Entwurf, 113 votierten dagegen, und ein Parlamentarier enthielt sich der Stimme, wie Bundestags-Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn nach der Abstimmung bekanntgab.
Schäuble bezeichnete den Plan bei der vorausgegangenen Schlussdebatte am Freitag als eine Selbstverpflichtung" für die Zukunft. "Der Erfolg, den wir heute erzielen, ist die Verpflichtung für morgen", sagte der Finanzminister. "Das ist ein Beitrag zur Generationengerechtigkeit."
Nach einer abschließenden Beratung im Bundesrat, der aber nicht zustimmen muss, soll der Bundeshaushalt Ende Dezember im Bundesgesetzblatt offiziell verkündet werden. Ob die schwarze Null tatsächlich Wirklichkeit wird, entscheidet sich dann aber erst im Haushaltsvollzug mit dem Ablauf des kommenden Jahres.
Die Ausgaben sollen nach der Planung, die die Haushaltspolitiker des Bundestages Ende vorletzter Woche noch einmal geändert hatten, bei 299,1 Milliarden Euro liegen. Sie sollen damit um 0,9 Prozent steigen - anstatt um 1 Prozent auf 299,5 Milliarden Euro, wie noch in Schäubles Entwurf vorgesehen. Bis zum Jahr 2018 sollen sie sich dann auf 329,3 Milliarden Euro erhöhen.
Im Vergleich zu Schäubles Budgetentwurf hatten die Abgeordneten noch mehrere Lücken ausgeglichen - unter anderem, weil die Steuerschätzer nun für das kommende Jahr um 500 Millionen Euro niedrigere Steuereinnahmen erwarten als noch im Mai. Belastungen in einer Größenordnung von gut 2 Milliarden Euro durch höhere Ausgaben für das Arbeitslosengeld II und das Elterngeld sowie aus dieser schwächeren Steuerschätzung wurden laut Budgetpolitikern vor allem durch niedrigere Zinsausgaben und weniger Ausgaben beim Betreuungs- und beim Wohngeld aufgefangen.
Damit 2016 von Schäuble angekündigte zusätzliche Investitionen von 10 Milliarden Euro in drei Jahren starten können, wurden außerdem bereits entsprechende Verpflichtungsermächtigungen für Ausgaben in den nachfolgenden Jahren eingestellt.
Die Große Koalition will mit dem Budgetausgleich die Wende hin zu einem dauerhaften Verzicht auf neue Schulden erreichen. In dem Haushaltsentwurf für 2015 und dem Finanzplan für die Jahre danach steht bei der Neuverschuldung eine schwarze Null nicht nur für 2015, sondern auch für die Folgejahre bis 2018.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat genau wie Schäuble im Verlauf der Sitzungswoche die Bedeutung des geplanten Haushaltsausgleichs betont, den die Große Koalition bereits in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt hat. Die Kanzlerin sprach von einem "Wendepunkt", Schäuble betonte die Notwendigkeit, auch in den kommenden Jahren am Budgetausgleich festzuhalten.
Andere Redner der Koalition sprachen am Freitag von einem "historischen Tag" für Deutschland. "Dieses Signal, das wir aussenden, kommt in Europa und kommt in der Welt an", sagte der Unions-Haushaltssprecher Norbert Barthle. "Wichtig ist, dass wir in den nächsten Jahren auch keine neuen Schulden machen, trotz der Risiken, die auch dieser Haushalt hat", warnte aber der SPD-Haushaltsexperte Johannes Kahrs.
Die Opposition kritisierte das Zahlenwerk hingegen und warf dem Finanzminister vor, die schwarze Null in Wahrheit nur über eine "Schattenverschuldung" zu schaffen, weil sie über Mittel finanziert werde, die bei der Rentenversicherung, den Krankenkassen und der Infrastruktur fehlten.
Deshalb warf die Grünen-Politikerin Anja Hajduk Schäuble am Freitag im Bundestag vor, "dass Sie milliardenschwere Kosten in die Zukunft verschieben". Die Linken-Budgetexpertin Gesine Lötzsch monierte, dieser Bundeshaushalt werde den großen Herausforderungen nicht gerecht, vor denen Deutschland stehe. "Er ist weder sozial noch ökologisch nachhaltig."