Own Risk and Solvency Assessment

Unternehmenseigene Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung


Unternehmenseigene Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung News

Mit Einführung von Solvency II müssen Versicherungsunternehmen eine unternehmenseigene Risiko und Solvabilitätsbeurteilung (ORSA) durchführen. ORSA wird damit zu einem bedeutenden Instrument für das Risikomanagementsystem eines Versicherers. Es verknüpft das Risikound Kapitalmanagement miteinander und erfordert die aktive Beteiligung des Topmanagements.

Beurteilt werden sollen die Aspekte: 1.der Gesamtkapitalbedarf mit Blick auf das eigene Risikoprofil; Grundlage bilden die Geschäftsstrategie und interne Anforderungen, zum Beispiel in Bezug auf die eigene Risikotoleranz oder das Erreichen einer bestimmten Rating-Einstufung; 2.die Einhaltung der Kapitalanforderungen und der Vorschriften für versicherungstechnische Rückstellungen;3. die angemessenen Methoden zur Abbildung der Risikoprofils bei der Bestimmung des Solvenzkapitals (SCR); diese Anforderung gilt für Anwender der Standardformel sowie (partieller) interner Modelle gleichermaßen.

Die Solvency-II-Richtlinie, die allgemeine Prinzipien umfasst, wird ergänzt durch zusätzliche Leitlinien und Empfehlungen. Anfang November 2011 hat die Europäische Versicherungsaufsichtsbehörde EIOPA die öffentliche Konsultation zum Entwurf der Level-3-Leitlinie "Own Risk and Solvency Assessment ORSA" gestartet.

Sie umfasste 46 Seiten mit insgesamt 24 Leitlinien und Empfehlungen. Im Vordergrund stand die Frage, was mit dem internen Bewertungsprozess ORSA erreicht werden soll. Mit Blick auf die geplante Umsetzung von Solvency II zum 1. Januar 2014 hat EIOPA die Ergebnisse der Konsultation am 9. Juli 2012 bekannt gegeben. Auch wenn die Leitlinien und Empfehlungen noch nicht endgültig verabschiedet sind, liegen nun 21 Leitlinien vor, welche den Unternehmen als Grundlage für ihre Vorbereitungen dienen können.

Die Beurteilung, die als Teil des Governance-Systems zu sehen ist, verfolgt mehrere Ziele. Insbesondere sind hier zu nennen:

  • Verbesserung des Risikomanagements,
  • Förderung des Verständnisses für den Gesamtkapitalbedarf und die Kapitalallokation,
  • Harmonisierung von Risikound Kapitalmanagement.


EIOPA hat über 700 Kommentare erhalten und in ihrem Abschlussbericht veröffentlicht. Das allgemeine Vorgehen von EIOPA sah die Mehrheit der Industrie als wichtigen Punkt an: nicht die Frage "Wie können die Ziele erreicht werden?", sondern "Was soll durch ORSA erreicht werden?" in den Vordergrund zu stellen.  Dennoch herrschten im Detail oft kontroverse Ansichten. Die Wünsche nach mehr oder weniger in Einzelheiten gehende Leitlinien variieren stark. Weniger detaillierte Vorschriften erwartet sich die Industrie etwa in Bezug auf die vorgesehenen Dokumentationspflichten. Genauere Vorschriften hingehen wünscht sie über die Erwartungen der Aufseher bei der Umsetzung der ORSA-Anforderungen. Ebenso wurde grundsätzlich betont, dass ORSA als Managementinstrument gesehen wird, aber nicht dazu eingesetzt werden soll, um die Kapitalanforderung zu bestimmen. EIOPA erwartet vom Verwaltungs-, Management- und Aufsichtsorgan über die erforderliche Qualifikation zu verfügen, das ein solides und vorsichtiges Management des Geschäfts gewährleistet.

Ein Anliegen der Industrie ist die europaweit einheitliche Behandlung des Proportionalitätsprinzips. Zum einen wurden mehr Erklärungen gefordert, wo und wie die Prinzipien in der Praxis angewandt werden sollen. Zum anderen wurden Bedenken geäußert, ob Abweichungen des eigenen Risikoprofils von der SCR-Bewertung dazu führen könnten, dass die Aufseher die Entwicklung eines internen Modells verlangen. Starre Vorgaben wird es EIOPA zufolge nicht geben. Von der Erhöhung des Detaillierungsgrads wird ebenfalls abgesehen. Von den Unternehmen wird erwartet, dass sie über die notwendige Kompetenz und Expertise verfügen, um die für sie bestmögliche Lösung zu finden. Für EIOPA kann die Anwendung des Proportionalitätsprinzips von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich erfolgen.

Zum Thema Dokumentationspflicht gab es ebenfalls zahlreiche Rückmeldungen. Die Anforderung, ORSA so zu dokumentieren, dass der Prozess auch von einem Dritten nachvollzogen werden kann, ist für viele Versicherer eine zusätzliche Hürde. Bei einem eigens für ORSA anzufertigenden Bericht sehen diese insbesondere die Gefahr der Doppelarbeit. EIOPA stellt klar, dass die Dokumentationsanforderungen keinesfalls bedeuten, sämtliche Dokumente speziell für die ORSA-Dokumentation anfertigen zu müssen. Das Ziel besteht vielmehr darin, den ORSAProzess so zu protokollieren, dass auch ein kundiger Dritter den Prozess nachvollziehen kann. Bestehende Dokumentationen sind also verwendbar. Zudem wird explizit betont, dass die Unternehmen nicht dazu aufgefordert werden, bestehende Dokumente umzuschreiben, damit sie 100 Prozent benutzerfreundlich sind. Vielmehr sollen die Unternehmen sicherstellen, dass der Prozess und das Vorgehen unmissverständlich und vollständig dokumentiert sind. EIOPA gibt in ihrem Entwurf keine allgemein anzuwendende Dokumentationsstruktur vor, was die Industrie sehr positiv aufgenommen hat. Seitens der Industrie besteht jedoch der Wunsch, nichtverbindliche Mindestinhalte beispielhaft als Empfehlung anzugeben.

ORSA soll sich nicht nur auf den Zeitraum eines Jahres erstrecken, sondern auch zukünftige Perioden mit einbeziehen. EIOPA ist von ihrer ursprünglichen Forderung abgerückt, dass die Unternehmen den Gesamtkapitalbedarf für jedes einzelne Jahr der ORSA-Projektionsperiode ermitteln müssen. Die Unternehmen sollen stattdessen das Kapitalerfordernis über die gesamte Geschäftsplanungsperiode hinweg bestimmen. EIOPA ist sich jedoch im Klaren, dass die Mehrjahresprojektion möglicherweise nicht mit derselben Methodik durchgeführt werden kann wie die Einjahresbetrachtung. Die Projektion soll mögliche Veränderungen im Risikoprofil und in der Geschäftsstrategie über den gesamten Projektionszeitraum hinweg beinhalten.

EIOPA sieht davon ab, Ausnahmeregelungen für einzelne Versicherungsgruppen zu treffen, etwa für Captives, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, Monoliner oder für spezifische Versicherungsgruppen. EIOPA sieht nicht notwendigerweise Ähnlichkeiten zwischen diesen Gruppen, weshalb individuelle Regelungen erforderlich wären. Stattdessen verweist EIOPA auf die Anwendung des Proportionalitätsprinzips, nach dem die Unternehmen die Beurteilung entsprechend Art, Umfang und Komplexität der Risiken durchzuführen haben.

Die Industrie hat EIOPA zurückgemeldet, dass die Quantifizierung von Risiken nicht immer möglich ist. Teile der Industrie fordern sogar, dass es auch möglich sein sollte, eine rein qualitative Beurteilung vorzunehmen. EIOPA ist jedoch davon überzeugt, dass Risiken quantifiziert werden müssen, auch wenn es nicht immer einfach ist, den erforderlichen Kapitalbedarf genau zu erfassen. Risikomanagement bedeutet letztlich, Risiken zu verstehen und deren Auswirkungen zu kennen, selbst wenn eine genaue Quantifizierung nicht möglich ist. Schätzungen oder eine Angabe von Bandbreiten können dieses Problem lösen.

Den Zeitpunkt der Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung können die Unternehmen selbst bestimmen. Den Zeitpunkt, zu dem der ORSA-Bericht der Aufsicht vorzulegen ist, legen die Level-2-Durchführungsbestimmungen fest. Da die Unternehmen die Abweichung zwischen dem Risikoprofil und dem SCR bestimmen müssen, geht EIOPA davon aus, dass die Bewertungen zeitlich nahe aufeinander folgen werden.Resultiert aus ORSA eine Abweichung des Gesamtkapitalbedarfs zum SCR, muss das Unternehmen die Gründe dafür erklären und die Auswirkungen auf die Berechnung des SCR aufzeigen. Den Leitlinien zufolge muss das Unternehmen der Aufsicht darlegen können, ob die Abweichung signifikant ist.

Die Solvency-II-Richtlinie schränkt die ORSA-Anforderungen auf Versicherungsgruppen innerhalb der EU ein, weshalb EIOPA keine Notwendigkeit sieht, weitere Leitlinien für Gruppen mit Sitz in einem Drittlandstaat zu veröffentlichen.  

Das Konsultationspapier enthält keine Informationen darüber, wie die Aufsichtsbehörden mit den Informationen des ORSA-Berichts umgehen. Es wird lediglich darauf abgehoben, in welcher Amtssprache der Bericht zu erfolgen hat. Erwartet wird, dass der Gruppen-ORSA-Bericht in derselben Amtssprache vorzulegen ist wie die gruppenweite planmäßige Berichterstattung an den Aufseher (Regular Supervisory Reporting).

Eine Zusammenfassung der überarbeiteten Leitlinien und Empfehlungen bietet die nachfolgende Tabelle:

Leitlinie 1ProportionalitätsprinzipJeder Versicherer soll – unter Beachtung von Art, Umfang und Komplexität seiner Risiken – eigene Prozesse für ORSA entwickeln, die auf die Struktur des jeweiligen Risikomanagementsystems zugeschnitten sind.
Leitlinie 2Management- und Verwaltungsorgan Das Management- und Verwaltungsorgan soll eine aktive Rolle im ORSA-Prozess einnehmen.
Leitlinie 3Dokumentation Die Versicherer sollen mindestens folgende Dokumente erstellen:
– ORSA-Grundsätze (ORSA policy),
– Aufzeichnung jeder Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung (record of each ORSA),
– interner ORSA-Bericht (internal report on ORSA),
– ORSA-Bericht für die Aufsicht (ORSA supervisory report).
Leitlinie 4ORSA-Grundsätze Die ORSA-Grundsätze sollen zumindest beinhalten:
– Beschreibung bestehender Prozesse und Abläufe, um ORSA durchführen zu können, wobei auch darzulegen ist, wie die langfristige Perspektive berücksichtigt wird;
– Verbindung zwischen Risikoprofil, genehmigten Risikotoleranzgrenzen und Gesamtkapitalbedarf;
– Informationen etwa über Stresstests, Sensitivitätsanalysen, Anforderungen an die Datenqualität, Häufigkeit und Zeitpunkt von ORSA oder Informationen, unter welchen Umständen eine außerplanmäßige Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung durchzuführen ist.
Leitlinie 5Allgemeine Regeln  Der ORSA-Prozess und dessen Ergebnisse sollten hinreichend klar und intern dokumentiert sein.
Leitlinie 6Interner ORSA-Bericht Sobald der ORSA-Prozess und die Ergebnisse durch das Verwaltungs- und Managementorgan genehmigt sind, sollten das Ergebnis und mögliche Schlussfolgerungen an die Mitarbeiter kommuniziert werden, für welche diese Ergebnisse relevant sind.
Leitlinie 7Bewertung und Erfassung  Die Unternehmen müssen ihre Entscheidungen begründen und Auswirkungen darlegen können.
Leitlinie 8Bewertung des Gesamtkapitalbedarfs Versicherer sollen eine quantitative und qualitative Einschätzung des Gesamtkapitalbedarfs vornehmen. Hierfür sollten Stresstests und/oder Szenarioanalysen eingesetzt werden.
Leitlinie 9Langfristige Perspektive Die Bewertung des Gesamtkapitalbedarfs soll zukunftsgerichtet sein und den Planungszeitraum umfassen.
Leitlinie 10Regulatorische Kapitalanforderungen  Unternehmen müssen die Einhaltung der regulatorischen Kapitalanforderung sicherstellen. Hierfür sind mindestens folgende Bewertungen vorzunehmen:
– Bewertung möglicher Änderungen des künftigen Risikoprofils und der Wirtschaftslage,
– Bewertung der Eigenmittel (Quantität und Qualität) über die gesamte Geschäftsplanungsperiode,
– Eigenmittelklassifizierung gemäß der Qualität der Eigenmittelbestandteile ("tiering") und Bewertung möglicher Veränderungen. 
Leitlinie 11Versicherungstechnische Rückstellungen  Die aktuarielle Funktion muss Informationen zur Bewertung der versicherungstechnischen Rückstellungen und der damit verbundenen Risiken bereitstellen.
Leitlinie 12Abweichungen zur SCR-Bewertung  Die Versicherer müssen die Abweichung des tatsächlichen Risikoprofils vom SCR qualitativ ermitteln.
Leitlinie 13Verbindung zum strategischen Managementprozess und Rahmen der Entscheidungsfindung Versicherer müssen die im ORSA-Prozess gewonnenen Erkenntnisse bei der mittelfristigen Gestaltung der Geschäftsstrategie berücksichtigen. 
Leitlinie 14Häufigkeit der ORSA  ORSA soll unter Berücksichtigung des Risikoprofils und der Volatilität des Solvenzkapitalbedarfs regelmäßig und mindestens jährlich durchgeführt werden.
Der Zeitpunkt der Durchführung ist so zu wählen, dass die SCR-Berechnung und ORSA auf der Grundlage eines vergleichbaren Risikoprofils erfolgen.
Leitlinie 15Umfang der Gruppen-ORSA Die Gruppe muss den Umfang der Gruppen-ORSA festlegen und dabei die Konzernstruktur und das Risikoprofil angemessen berücksichtigen. 
Leitlinie 16Berichterstattung an die Aufsicht  Grundsätzlich ist der Gruppen-ORSA-Bericht an den Gruppenaufseher in derselben Amtssprache zu verfassen wie die gruppenweite planmäßige Berichterstattung.
Leitlinie 17Bewertung des Gesamtkapitalbedarfs  Im Rahmen des Gruppen-ORSA-Prozesses ist sicherzustellen, dass alle Risiken sowie die Abhängigkeiten, denen die Gruppe ausgesetzt ist, angemessen zu identifizieren, zu messen, zu überwachen und zu managen sind und darüber Bericht erstattet wird.
Leitlinie 18Allgemeine Regeln des Gruppen-ORSA-Prozesses Der Dokumentationsprozess von Versicherungsgruppen soll unter anderem enthalten:
– Identifizierung von Quellen freier Eigenmittel innerhalb der Gruppe, wenn zusätzliche Eigenmittel notwendig sind,
– Beurteilung der Verfügbarkeit, Übertragbarkeit und Fungibilität der Eigenmittel,
– Verweis auf geplante Eigenmitteltransfers innerhalb der Gruppe und deren Folgen,
– Vergleich einzelner Strategien mit der Konzernstrategie,
– Risiken, denen der Konzern ausgesetzt sein könnte.
Leitlinie 19Besondere Regelungen für ein einzelnes ORSA-Dokument in Bezug auf eine Beteiligung, einen Rückversicherer oder eine Holding und eine Tochter der Gruppe  Es soll dargelegt werden, wie Tochterunternehmen zu berücksichtigen sind und wie das Management- und Verwaltungsorgan in den Bewertungs- und Genehmigungsprozess einbezogen werden sollen. 
Leitlinie 20Nutzer interner Modelle  Die Gruppe soll die Tochterunternehmen nennen, die kein internes Modell zur SCR-Bewertung verwenden. Aus dem ORSA-Bericht soll eine Begründung für diese Entscheidung hervorgehen.
Leitlinie 21Berücksichtigung von Risiken von Tochterunternehmen in Drittlandstaaten Eine Versicherungsgruppe soll Risiken in Drittlandstaaten auf die gleiche Weise beurteilen wie Geschäft, das im Europäischen Währungsraum abgeschlossen wird.

 


Fazit

ORSA wird für Versicherungsunternehmen ein wichtiger Bestandteil des Risikomanagementsystems und damit der Unternehmenssteuerung. ORSA fördert die Entwicklung und den Erhalt einer adäquaten Risikokultur. Versicherer legen in ihrer Risikostrategie fest, in welchem Ausmaß sie Risiken eingehen können und wollen. Das Management muss entscheiden, ob Risikominderungstechniken infrage kommen, etwa Risikotransfer durch Rückversicherung, oder ob eine Diversifizierung von Risiken möglich ist. ORSA kann dadurch auch als Bindeglied zwischen dem Risiko- und Kapitalmanagement gesehen werden.

Munich Re unterstützt ihre Kunden mit einer breiten Portfoliodiversifikation und attraktiven Rückversicherungslösungen für ein effizientes Risikomanagement. Solvency Consulting ist erfahren im Umgang mit der Standardformel, dem Entwickeln und Anwenden (partieller) interner Risikomodelle und dem Verknüpfen mit einer wertorientierten Portfoliosteuerung. Darüber hinaus wirkt Munich Re in zentralen Aufsichts- und Fachgremien aktiv mit und stellt so den Wissenstransfer und die Ableitung von Handlungsempfehlungen in das operative Geschäft sicher. Bei der Vorbereitung auf Solvency II bieten wir damit unseren Kunden konkrete und nachhaltige Hilfestellung.

 

 

[Bildquelle oben: © Sergej Khackimullin - Fotolia.com / Die Redaktion dank der Munich Re für die Genehmigung den Text auf dem Kompetenzportal RiskNET zu veröffentlichen]

 

 

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