"Iran beschleunigt Urananreicherung", "Es ist an der Zeit, einen Weg aus dem Euro zu suchen", "Gerät die Nordkorea-Lage außer Kontrolle?", "Was ist bloß an der Börse los?". Vier Schlagzeilen von gestern, dem 4. November, aus vier unterschiedlichen Medien mit einer Botschaft: Die Geopolitik und Geoökonomie steht in vielen Redaktionen ganz oben bei der Themensetzung. Und das zurecht, bei einem Blick auf die globale Risikolandkarte mit geopolitischen Verwerfungen und den vielen ungeklärten Finanzmarktfragen in Europa und weltweit.
"In diesem Geflecht aus Unsicherheiten wird unser Bild von der Zukunft immer verschwommener", erklärt Frank Romeike, Geschäftsführer von RiskNET und Initiator des RiskNET Summit 2019, zur Einführung. Und Romeike führt an: "Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihm nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen." Im Umkehrschluss heißt das: Unternehmen brauchen einen unverstellten Blick nach vorne. Mehr noch müssen Topmanager die richtigen Entscheidungen in einer "Welt in Unordnung" treffen. Gut beraten ist, wer auf ein funktionierendes und zukunftsgewandtes Risikomanagement setzt. Frank Romeike formuliert es mit einer Sicht auf den antiken Seefahrer Odysseus so: "Risikomanagement muss gelebt werden und Odysseus Abenteuer präsentieren uns ein Chancen- und Risikomanagement par excellence."
Frank Romeike, Initiator des RiskNET Summit, bei der Einführung [Bildquelle: Stefan Heigl / RiskNET GmbH]
Wie das in der Realität aussehen kann, davon konnten sich die rund 100 Teilnehmer des diesjährigen RiskNET Summit überzeugen. Einer zweitägigen Veranstaltung unter dem Motto: "Excellence in Risk Management & Compliance". Doch der Reihe nach, sprich schlagen wir zunächst die große Risikolandkarte der Geopolitik und des Finanzmarktes auf.
Erosion der liberalen Nachkriegsordnung
Prof. em. Dr. Günther Schmid, Experte für internationale Sicherheitspolitik, nahm zu Beginn der Veranstaltung mit seinen Ausführungen Bezug zu den geopolitischen und geoökonomischen Risiken in einer Welt in Unordnung. Schmid: "Geopolitik und Geoökonomie sind die zentralen Elemente in den Machtstrategien der Großmächte." Als Beispiel nennt er unter anderem die USA unter Donald Trump. Der betreibe nach Schmids Ansicht eine Politik des Protektionismus, der Abkehr von multilateralen Beziehungen und den Rückbau der US-amerikanischen Vormachtrolle. Und das unter dem Motto: "Leading from behind". Gleichzeitig führt die USA einen Wirtschaftskrieg gegen Europa und gegen China.
Sieht die geopolitische Welt in Unordnung, Günther Schmid [Bildquelle: Stefan Heigl / RiskNET GmbH]
Apropos China. Das Land wird seine geopolitische Macht auch militärisch durchsetzen, so unter anderem im Südchinesischen Meer. Aber auch geoökonomisch, wie es das chinesische Seidenstraßenprojekt verdeutlicht. China verfolgt eine aggressive Wirtschaftspolitik, um eine globale Technologieführerschaft in zehn Schlüsselbereichen durchzusetzen. Im Grunde geht es um einen starken Staat – nach Außen und nach Innen. Bei letzterem steht die Überwachung der Gesellschaft mit Gesichtserkennung, Kameras und einem gesellschaftlichen Score-System im Mittelpunkt.
Schmid führt fort, dass sich die internationale Politik in einer historischen Zeitenwende befindet. Dies zeige sich an einer Erosion der stabilen regelbasierten liberalen Nachkriegsordnung. Schmid nennt es eine "Achsenverschiebung mit einer "geopolitischen Unübersichtlichkeit". Und er ergänzt: "Wir erleben die Auseinandersetzung um die geostrategische, technologische und machtpolitische Vorherrschaft im 21. Jahrhundert zwischen China und den USA."
Er erklärt: "Ich nenne nur das Stichwort eines neuen bipolaren Zeitalters." Gegenüber RiskNET sprach Schmid jüngst in einem exklusiven Interview davon: "Die Machtkonkurrenz zwischen den USA, China und Russland wird in Form von geopolitischen Konflikten um Einfluss und Kontrolle in strategisch wichtigen Räumen ausgetragen, wie dem Südchinesischen Meer, in Zentralasien, dem Nah-Mittelost, dem Persischen Golf und in der Arktis." Aussagen, die der Experte für internationale Sicherheitspolitik im Rahmen des RiskNET Summit unterstreicht und erweitert: "Es herrscht ein Wettkampf der Systeme, zwischen Freiheit und autoritären Systemen." Im Grunde gehe es nach Schmids Worten darum, mit Partnern auf bestimmten Feldern eng zu kooperieren, aber sich gleichzeitig abzugrenzen. Ein Beispiel ist der autoritäre Staat China mit seiner erfolgreichen Wirtschaftspolitik. Grundsätzlich befindet sich die Weltpolitik in einer Übergangsphase. Doch wohin geht die Reise? Schmid sieht mehrere Szenarien – von der bipolaren Welt über die "Asiatisierung" der Welt bis zu verstärkt regionalen Hegemonien, wie Brasilien oder dem Iran. Und er schließt mit dem geopolitischen Ausblick: "Das Rennen ist offen."
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Effekte, Zombie-Banken und Finanzkrise
Den Blick auf "Makroökonomische Risiken" lenkte Dr. Jochen Felsenheimer, Geschäftsführer und Portfoliomanager, XAIA Investment. Seine Einstiegsfrage: Was hat die Niedrigzinspolitik der letzten zehn Jahre angerichtet? "Einige Effekte", erklärt Felsenheimer. So ist das Niedrigzinsumfeld seiner Ansicht nach wahrlich kein Grund, um zu gratulieren. Denn nach Felsenheimer reichen die Effekte von einem exzessiven "risk taking", bei denen Investoren gezwungen werden, in riskantere Assets zu investieren, bis zu Zombie-Banken. Hinzu kommen eine schiefe Vermögens- und Einkommensverteilung sowie eine Risikokonzentration auf EFTs. Gerade ETFs konzentrieren Risiken, haben diese doch eine enorme Dominanz am Kapitalmarkt. Mehr noch: "ETFs haben sehr systemische Bewegungen, die Preisbewegungen am Markt verstärken können", so Felsenheimer.
Felsenheimer zeichnete ein eher pessimistisches Bild bei systemischen Risiken [Bildquelle: Stefan Heigl / RiskNET GmbH]
Der fatalste Effekt zeigt sich nach Felsenheimers Worten in den Schulden. So führe die Niedrigzinsphase systematisch zu höheren absoluten Schuldenständen, in allen Segmenten der Volkswirtschaft. Ein Beispiel sind die exzessiven Verschuldungen von Unternehmen. Felsenheimer: "Viele Unternehmen können jahreslang über ihre Verhältnisse leben, weil die Finanzierung gesichert ist." Doch damit steigt das Risiko von Unternehmensausfällen. Hinzu kommt seiner Meinung nach, dass viele Unternehmen ein unattraktives Geschäftsmodell besitzen. Doch vielmehr Sorgen bereiten Felsenheimer die Zombie-Banken, da diese Systemrelevanz besitzen: "Viele dieser Banken werden einzig und allein durch die Subventionen der EZB am Leben gehalten anstatt sie abzuwickeln." Das sei nach Felsenheimers Sicht ökonomisch betrachtet extrem ineffizient.
Im weiteren Verlauf legte Felsenheimer sein Augenmerk unter anderem auf die eingangs beschriebene Vermögensverteilung. Diese Vermögensverteilung sei schief und seiner Ansicht nach für eine Volkswirtschaft nicht gut. Und das auch unter dem Aspekt radikaler Strömungen, die sich hierzulande breit machen. Damit besteht wiederum das Risiko, dass es zu einer weiteren Destabilisierung demokratischer und gesamtgesellschaftlicher Prozesse kommen kann. Felsenheimer ging unter anderem auf die aktuell viel diskutierte Vermögenssteuer ein. Eine solche Einführung hält er für keine "clevere Idee". Demgegenüber könnte eine Erbschaftssteuer ein möglicher Weg beziehungsweise ein Denkansatz sein. Im Umkehrschluss heißt das: Es braucht neue Wege, um zu einer besseren Vermögensverteilung in Deutschland zu gelangen. Felsenheimer: "Wir müssen uns mit solchen Dingen auseinandersetzen."
Und auch mit systemischen Risiken. Bei diesen zeichnete Felsenheimer ein eher pessimistisches Bild. In einem Interview mit RiskNET im Rahmen des RiskNET Summit äußerte er sich skeptisch auf die Frage, wie systemische Risiken im globalen Finanzsystem gebändigt werden könnten: "Ich sehe nicht die Chance, diese Risiken durch einen langfristigen Risikoabbau zu reduzieren." Er resümiert, dass es in absehbarer Zeit zu einer Finanzkrise komme, in deren Folge ein natürlicher Risikoabbau erfolge.
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