Die Satteltaschen voller Lügen flüchtet die Bande quer durchs Land, verfolgt vom Sheriff und seinen Helfern. Was wie ein Italo-Western anmutet, könnte in der Realität dem bizarren Szenario des Volkswagenkonzerns und seinen Bossen entstammen. Böse Buben und ihre fiesen Machenschaften, denen die Justiz auf die Pelle rückt. Denn die Manager bewegen sich seit Monaten mit viel Schwindel und einer Salamitaktik in der Öffentlichkeit. Immer um wenig Reibung bemüht, nur das nötigste zugebend, auf der Flucht vor der ganzen Wahrheit.
Getreu dem Motto: "I shot the sheriff. But I did not shoot the deputy”, was in der VW-Sprache übersetzt bedeuten könnte: "Wir haben die Wahrheit erschossen, aber nicht die Reputation.” Von wegen. Längst hat sich die Causa VW zu einem Schaden immensen Ausmaßes entwickelt – finanziell und in puncto Reputation. Zuerst manipulierte Dieselfahrzeuge in den USA, dann in Deutschland. Es gesellten sich alsbald Benziner hinzu, das Umrüsten wurde gefordert und vom VW-Konzern versprochen. Politiker rufen nach Steuernachzahlungen und so weiter. Der Betrachter kommt bei der Aufdeckung des ganzen Schwindels nicht hinterher. Das Thema hat eine gewisse Eigendynamik entwickelt. Und die Führungsmannschaft? Schlingert, tritt zurück, verwickelt sich in Wiedersprüche. Top-Manager müssen sich mittlerweile sogar vor dem US-Kongress unangenehme Frage gefallen lassen, wie beispielsweise Michael Horn, US-Chef von Volkswagen. Dieser entschuldigte sich zwar für die Betrügereien, von bewusster Manipulation wollte Horn nichts gewusst haben.
Kurzum: Das Handeln der VW-Oberen ist eine einzige Katastrophe. Seit Wochen kommen immer neue Details zu den Manipulationen ans Tageslicht. Der Konzern mauert. Die stolze Autobauerstadt Wolfsburg hat vorsorglich bereits einen Haushaltsstopp erlassen. Das dritte Quartal schlägt bereits mit 3,5 Milliarden Euro Verlust vor Zinsen und Steuern zu Buche. VW kündigt Einsparungen an und tausende Mitarbeiter des VW-Konzerns fürchten in diesem Zuge um ihre Arbeitsplätze.
Sperrige Kommunikation und Standard-Aussagen
"Volkswagen setzt alles daran, nach Absprache mit den zuständigen Behörden, schnellstmöglich eine Klärung der weiteren Vorgehensweise sowie die korrekte Einstufung und Darstellung der CO2-Werte und der Verbrauchswerte der betroffenen Fahrzeuge vorzunehmen." So steht es auf den Konzernseiten (23. November 2015, Anmerkung der Redaktion). Das ist dünn, klingt sperrig, wie die ganze Kommunikation der VW-Verantwortlichen. Überhaupt scheint eine volle Aufklärung nicht zwingend im Mittelpunkt zu stehen.
Dabei sollten sich die Führungskader von VW ernsthaft Sorgen machen, um den Konzern und ihre eigenen Verfehlungen. Denn wie heißt es so schön auf den VW-Seiten zu "Compliance & Risikomanagement": "Der Vorstand des Volkswagen Konzerns sorgt – dem Deutschen Corporate Governance Kodex entsprechend – dafür, dass die gesetzlichen Vorgaben und die unternehmensinternen Richtlinien eingehalten und konzernweit beachtet werden." Und weiter: "Volkswagen fühlt sich seit jeher nicht nur an gesetzliche und interne Bestimmungen gebunden; auch freiwillig eingegangene Verpflichtungen und ethische Grundsätze sind integrale Bestandteile unserer Unternehmenskultur und zugleich Richtschnur bei Entscheidungen. Unsere Compliance-Aktivitäten basieren auf einer konzernweiten Strategie, die einen präventiven Ansatz verfolgt."
Schöne Worte, die das digitale Papier nicht wert sind auf dem sie stehen. Im Umkehrschluss könnte man die Frage stellen: Was bringen solche Standard-Aussagen? Nichts, müsste die Antwort lauten.
Von DRS 20 und Allgemeinplätzen
Die Wirtschaftsberatung KPMG nimmt bereits 2012 im Dokument "Accounting Insights" zu "DRS 20 – Konzernlagebericht" Stellung zu den zu konkretisierenden Begriffen "Angabe, Darstellung, Analyse, Erläuterung und Beurteilung. "Die Begriffe Angabe und Darstellung zielen auf eine bloße Nennung von Fakten beziehungsweise der Beschreibung von Sachverhalten ab".
Und weiter heißt es: "Der Begriff Erläuterung geht über die reine Darstellung hinaus (…) Bei einer Beurteilung sind auch Wertungen und Kommentierungen von Sachverhalten eingeschlossen." Im Umkehrschluss heißt das, die Konzernlageberichte müsse klarer formuliert werden.
Dies sieht auch Dr. Josef Scherer, Professor für Unternehmensrecht, Risiko- und Krisenmanagement, Gründer und Leiter des Internationalen Instituts für Governance, Management, Risk und Compliance der Technischen Hochschule Deggendorf. Er kritisiert: "Die Lageberichte vieler Unternehmen sind auch nach in Kraft treten von DRS 20 mit seinen vielfältigen Anforderungen nicht unbedingt verlässlicher geworden." Und Scherer ergänzt: "Neuerdings wird ja auch tatsächlich über DRS 20 gefordert, dass Allgemeinplätze in den Aussagen zurücktreten und vielmehr relevante und griffige Aussagen getätigt werden sollten."
Bezeichnend ist hierbei eine aktuelle Umfrage von RiskNET zur Frage: Wie bewerten Sie die Lage-, Risiko- und Compliance-Berichterstattung? Von über 160 Teilnehmern der Befragung gaben 65 Prozent an, dass es sich hierbei im Wesentlichen um Allgemeinplätze handele und 27 Prozent der Befragten gaben an, dass sie die Berichterstattungen eher missverständlich und intransparent finden.
Mangelnde Überwachung, Machtkonzentration und zweifelhafte Politik
Vorstand und Aufsichtsräte zeichnen verantwortlich für ein ordnungsgemäßes Risikomanagement. In diesem Zuge gilt es neben dem Etablieren geeigneter Prozesse auch darum, die Wirksamkeit des Gesamtrisikomanagements inklusive Compliance sicherzustellen. An dieser Stelle muss man kein Experte sein, um zu verstehen: Hier klafft eine gewaltige Lücke zwischen dem Schein und Sein. Sprich, VW und sein Top-Management hat ein Überwachungs- und damit juristisches Problem. Die Folgen der Vergehen werden auch am ehemaligen VW-Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn und weiteren Führungsmitgliedern der Geschäftsleitung nicht spurlos verbeiziehen – spätestens wenn der Fall juristisch aufgerollt wird. Hinzu kommen "Wolfsburger Anomalien", wie die Süddeutsche Zeitung Mitte Oktober 2015 schrieb und meint: "Die konzerntypische Konzentration von Posten in den Händen weniger war schon vor der Diesel-Affäre fragwürdig. Inzwischen aber ist sie endgültig nicht mehr mit den Regeln guter Unternehmensführung vereinbar." Und Lobby Control kritisiert in einem Beitrag auf "Deutschlandradio Kultur", die "schützende Hand der Politik über der Autoindustrie". Timo Lange von Lobby Control konstatiert: "Die Politik scheint hier aber in Deutschland doch eher eine schützende Hand über die Autoindustrie zu legen."
In diesem Kontext ist VW aus einem anderen Blickwinkel interessant. Kein anderer Autokonzern in Deutschland ist wohl so mit der Politik verwoben, wie der VW-Konzern. Anders formuliert, die Nähe von VW zur Politik wirft Fragen auf. Die FAZ kommt zu dem Schluss: "VW war für die deutsche Politik immer etwas besonders" und spricht von der Kanzler-Beziehung. "Also haben der VW-Chef und der Kanzler eine besondere Beziehung. Piëch schätzte Schröder. Und umgekehrt. Über Merkel und Winterkorn wird das auch berichtet. Häufige Kontakte. Enges Vertrauen. Häufige Kontakte." Hinzu kommen nach Aussagen der Süddeutschen Zeitung Vorrechte des Landes Niedersachsen, das dem Bundesland im VW-Konzern eine Reihe von Vorrechten erlaube. Das alles trägt nicht zu mehr Transparenz innerhalb des VW-Konzerns bei.
Reputation: ein Fall für VW und die komplette Autobranche
Hinzu kommen Machtspiele, wie von Ferdinand Piëch gegen Martin Winterkorn, öffentlich ausgetragen. Übernahmeschlachten, Porsche versus VW, oder die juristische Auseinandersetzung des ehemaligen Porsche-Chefs Wendelin Wiedeking um Marktmanipulationen. Das alles lief nicht geräuschlos ab, sondern wurde mit viel Tam-Tam begleitet. Die Folge: Reputationsschäden für den VW-Konzern und die Beteiligten. Wer darüber hinaus nun glaubt, der Abgasskandal um VW wird ein Einzelfall sein, dem sei Vorsicht angeraten. Vielleicht war VW auch nur die "Spitze des Eisbergs", wie es der Tagesspiegel formuliert.
So habe nach Aussagen der Zeitung der ökologische Verkehrsclub (VCD) den Verdacht, "dass die Abgaswerte bei offiziellen Tests viel niedriger sind als im realen Verkehr, schon 2013 geäußert und in den Folgejahren immer wieder Nachprüfungen gefordert". Es sei anzunehmen, "dass neben Volkswagen auch andere Konzerne die Abgaswerte manipulieren und das nicht nur in den USA".
Den Schaden wird die komplette Automobilbranche zu spüren bekommen. Im Grunde gerät damit eine ganze Branche in Misskredit. Die Folgen sind neben immensen Kosten vor allem verlorenes Vertrauen bei den Kunden inklusive eines massiven Imageschadens. Und verlorenes Vertrauen und Image wird im Zweifel schwieriger wieder aufzubauen als die Milliardensummen, die VW nun zahlen muss. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang ein Interview von Stefan Bratzel, Professor für Automobilwirtschaft, auf "tagesschau.de". "Der Imageschaden ist enorm. Den kann man im Moment noch gar nicht beziffern (…) Das diskreditiert natürlich neben Volkswagen auch die deutsche Autoindustrie." Ergo wird es Zeit zum Umdenken. Es braucht nun eine klare, transparente und aufklärungswillige Firmenpolitik. Ohne faule Kompromisse und Lügen. Und am besten der klaren Trennung von Autolobby und Politik. Denn der lange Schatten von VW fällt auf eine komplette Branche. Im Klartext heißt das: VW hat die Wahrheit erschossen und die Reputation.
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Nach den harschen Kursverlusten der Volkswagen-Aktie im Zuge des Abgasskandals sind hohe Vertreter des Wolfsburger Autobauers nach Katar zu Gesprächen mit dem dortigen Großaktionär gereist. Neben VW-Chef Matthias Müller trifft auch Aufsichtsratsvorsitzender Hans Dieter Pötsch mit dem Staatsfonds des Emirats, der Qatar Investment Authority, zusammen, wie ein Volkswagen-Sprecher sagte. Es handele sich um einen normalen Antrittsbesuch, nachdem beide Spitzenmanager ihre Posten erst im Herbst angetreten hatten.
Ein Informant berichtet unterdessen, dass auch Wolfgang Porsche und Hans Michel Piech als Vertreter der Familien, die Volkswagen kontrollieren, ebenfalls nach Katar gereist sind.
Separat teilte der Autobauer mit, sich bei 13 Banken einen unbesicherten, revolvierenden Kreditrahmen im Umfang von 20 Milliarden Euro gesichert zu haben. Arrangiert worden sei der Kredit mit einem Bankenkonsortium unter Führung von Citibank Global Markets und UniCredit. Ein Informant sagte, damit wolle der Autohersteller sicherstellen, Zugang zu Geldmitteln zu haben. Konkrete Pläne, den Kredit tatsächlich zu nutzen, gebe es derzeit nicht.
Die Bild am Sonntag hatte berichtet, Katar dränge darauf, den Einfluss der Arbeitnehmervertreter im Kontrollgremium von Volkswagen und im Tagesgeschäft des Autobauers zurückzudrängen. Das Emirat ist selbst mit zwei Sitzen im Aufsichtsrat vertreten, die von Akbar Al Baker, Chef der Fluglinie Qatar Airways, und Hussain Ali Al-Abdulla, Vize-Chairman der Qatar Holding LLC, eingenommen werden.
Die Bild hatte ebenfalls geschrieben, Katar fordere Volkswagen dazu auf, dem Rückgang der Nachfrage nach Diesel-Autos mit einer größeren Initiative zum Verkauf von Elektrofahrzeugen in den USA zu begegnen.
Der Kurseinbruch der Volkswagen-Aktie nach Bekanntwerden des Abgasskandals Mitte September kostet die Großaktionäre Buchverluste in Milliardenhöhe. Katar hält rund 17 Prozent der Stammaktien von Volkswagen.
Beim Staatfonds des Emirats war zunächst keine Stellungnahme zu dem Bericht zu erhalten. Der Volkswagen-Sprecher sagte, weder die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer noch die Rolle des Betriebsrates bei Volkswagen stünden auf der Agenda der Gespräche mit Katar. Der Betriebsrat des Autobauers reagierte nicht auf eine Bitte nach einer Stellungnahme.
US-Behörden hatten im September aufgedeckt, dass Volkswagen in bestimmten Dieselmotoren eine Software installiert hat, um damit die Ergebnisse von Abgastests zu schönen. Der Autobauer musste später zugeben, dass fast 11 Millionen Fahrzeuge diese Software an Bord haben. Die Aufklärung des Skandals geht nach Wahrnehmung mancher Investoren nur langsam voran, und Vermögensverwalter wie Union Investment und Nordea haben kritisiert, dass ausgerechnet langjährige Volkswagen-Veteranen wie Müller und Pötsch die Unternehmenskultur beim Autobauer ändern sollen, um Skandale in der Zukunft zu verhindern. Müller war bis September Chef der VW-Tochter Porsche AG. Pötsch hat enge Verbindungen zu den Familien Porsche und Piech und war seit 2002 Finanzvorstand bei Volkswagen.