"Logistik im Werk Wolfsburg: Teileanlieferung optimiert – Prozesssicherheit vergrößert" titelte Volkswagen im Mai in einer Pressemitteilung. Bei einem Blick auf die aktuellen Schlagzeilen wirkt dieser Text wie eine Farce. Denn der VW-Konzern kommt nicht aus den Schlagzeilen. Erst der Abgasskandal mit hohen Kosten und einem immensen Imageschaden für die Wolfsburger Autobauer. Nun das Hickhack mit einem Teilezulieferer, weshalb VW sogar die Golfproduktion vorübergehend einstellen muss.
Die Stuttgarter Zeitung schreibt in ihrer heutigen Ausgabe: "Streit mit Lieferanten legt VW lahm". "Der Streit mit einem Lieferanten wächst sich für Volkswagen zu einem Desaster aus", so die Zeitung weiter. Der Grund sei nach Angaben von Spiegel Online ein "Streit zwischen VW und der Prevent-Gruppe über ein künftiges Entwicklungs- und Lieferprojekt (…)". Und weiter heißt es: "Beide Seiten halten sich mit Aussagen zu dem Thema zurück, da dies auch Gegenstand einer aktuellen gerichtlichen Auseinandersetzung vor dem Landgericht Braunschweig ist." Die Stuttgarter Zeitung in diesem Zusammenhang: "Es werden Ansprüche geltend gemacht, die aus einer anderen, letztlich nicht zustande gekommenen Geschichte hergeleitet werden." Bekannt ist indes, dass die Firma ES Automobilguss (ein Tochterunternehmen der Prevent-Gruppe) "die Lieferung von Gussteilen für Getriebe an VW einstellte", so die Stuttgarter Zeitung. Auf den Konzernseiten von Volkswagen war bis dato (Freitag, 19. August 2016) nichts zu lesen. Nach Informationen von Spiegel Online sei Kurzarbeit ein "denkbares Mittel, um auf den Lieferengpass zu reagieren". Klar ist indes, dass der Konzern nach Medienberichten für mehr als 20.000 Mitarbeiter in Deutschland Kurzarbeit anmelden könnte. Nach Angaben des Nachrichtensenders n-tv, der Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies zitiert, werde Kurzarbeit "für Teile der Produktion in den Werken Wolfsburg, Braunschweig, Kassel und Zwickau" geprüft. Und weiter heißt es von n-tv: "Die Kurzarbeit sei zunächst für fünf Tage geplant." Alleine am Stammwerk Wolfsburg könnten rund 10.000 Beschäftigte von der Kurzarbeit betroffen sein.
Schlankere Logistikketten
Nun trifft der neuerliche Skandal bei VW den Konzern an seiner empfindlichsten Stelle. Das heißt, komplexe Zuliefererketten führen gleichzeitig zu steigenden Risiken. Parallel dazu nehmen die Anforderungen an logistische Leistungen hinsichtlich Kosten, Zeit und Qualität zu. Diese Ansprüche an höhere Effizienzniveaus führen zu schlankeren Logistikketten, indem jede mögliche Verschwendung, beispielsweise aufgrund von Redundanzen wie Zwischenlager, vermieden wird. Ein Thema, das eigentlich keine Unbekannte sein dürfte. So kommt der "Supply Chain Resilience Report" bereits im Jahr 2012 zu dem Ergebnis, dass über 70 Prozent der befragten Unternehmen von mindestens einer Störung in der Supply Chain betroffen waren. Der Haupteffekt von Störungen in Lieferketten war eine verminderte Produktivität (60 Prozent). Bei 20 Prozent der Unternehmen überstiegen die Kosten der Störung eine Million Euro. Zudem verfügten 25 Prozent der Unternehmen über keinerlei Prozesse oder Methoden zum Management von Risiken in der Logistik. Das manager magazin benennt Ausfälle in der Lieferkette von Automobilherstellern schon unter normalen Umständen als ein großes Problem und skizziert: "Teile werde nach dem sogenannten "Just in Sequence"-Prinzip geliefert: Das bedeutet, die Bauteile kommen nicht nur pünktlich zur Montage in die Fertigung, sondern auch in der richtigen Reihenfolge ("Sequence") der produzierten Fahrzeuge." Und weiter heißt es: "Fehlen Teile, stockt sofort die gesamte Produktion. Noch schlimmer ist es, wenn es kurzfristig keinen Ersatz gibt, weil ein Hersteller sich etwa nur auf einen Lieferanten verlässt."
Mangelndes Risikomanagement und Risikobuchhaltung
Im Falle Volkswagen ist dies umso erstaunlicher, als der Konzern auf seinen eigenen Seiten unter dem Punkt Risikomanagement und dem Geschäftsbericht 2015 schreibt: "Der sorgsame Umgang mit potenziellen Risiken für das Unternehmen ist in unserer täglichen Arbeit besonders wichtig. Das Risikomanagementsystem des Volkswagen Konzerns ist darauf ausgerichtet, Risiken frühzeitig zu identifizieren, zu bewerten, zu kommunizieren und zu steuern." Und bereits im Geschäftsbericht 2014 heißt es: "Das RMS/IKS des Volkswagen Konzerns zielt darauf ab, potenzielle Risiken frühzeitig zu erkennen, um mit geeigneten gegensteuernden Maßnahmen drohenden Schaden für das Unternehmen abwenden und eine Bestandsgefährdung ausschließen zu können." Nun ist es aktuell mit dem Abwenden von drohenden Schäden für VW nicht weit her. Im Grunde handelt es sich in solchen Fällen um zahnlose Tiger. Denn einerseits werden zwar rechtliche Rahmenbedingungen zum Aufbau und zur Anwendung eines Risikomanagements geschaffen. Diese gesetzlichen Anforderungen werden auch weitgehend erfüllt. Andererseits wird das Risikomanagement allein aufgrund derartiger extrinsischer Anreize betrieben. Das Ergebnis ist eine "rückspiegelorientierte" Risikobuchhaltung ohne jeglichen ökonomischen Mehrwert. Und diese Buchhaltermethode holt VW nun wiederholt ein. Denn es fehlt an Substanz in puncto Methodik sowie einer gelebten Risikokultur (wie sich beispielhaft am Abgasskandal zeigte). Im Grunde braucht es ein proaktives und präventives Risikomanagement, um die Verwundbarkeit von Wertschöpfungsketten zu reduzieren. Und das darf als Prozess nicht nur auf dem Papier stehen.