Risikomanagement-Konferenz von Union Investment

Warum Modelle und Staaten scheitern


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Das Niedrigzinsumfeld bleibt strukturell erhalten. Die globale Konjunkturerholung nimmt nur schleppend Fahrt auf, und die geopolitischen Risiken nehmen zu. Risikomanagement ist damit wichtiger denn je. Hierüber referierten Experten aus Praxis und Wissenschaft am 5. November 2014 vor rund 300 institutionellen Investoren auf der diesjährigen Risikomanagement-Konferenz von Union Investment in der Rheingoldhalle in Mainz.

Prof. Daron Acemoglu ist Professor für angewandte Ökonomik am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und gehört derzeit zu den zehn meistzitierten Wirtschaftswissenschaftlern weltweit. Acemoglu untersuchte die Bedeutung von Institutionen und deren Einfluss auf den Wohlstand der Nationen. Dies erlaubt Prognosen zu aktuellen geopolitischen Krisenherden und wirtschaftlichen Entwicklungen: Wie nachhaltig ist das chinesische Wachstum? Wie ist die wirtschaftliche Zukunft Russlands zu beurteilen?

Prof. Emanuel Derman, von Hause aus Physiker und ehemals Leiter "Quantitative Strategy" bei Goldman Sachs, ist heute Professor für Financial Engineering an der Columbia University in New York. Derman warnt vor einem unkritischen Umgang mit finanzmathematischen Modellen und führte auf der Konferenz aus, welche Lehren Investoren aus diesen Erkenntnissen ziehen sollten.

Welche neuen Renditequellen können institutionelle Investoren derzeit möglichst unkorreliert zu den klassischen Asset-Klassen erschließen? Prof. Dr. Arnd Wiedemann (Universität Siegen) untersuchte in der aktuellen Risikomanagementstudie von Union Investment die Möglichkeiten des Einsatzes alternativer Risikoprämien in der Kapitalanlage.

Dr. Thorsten Neumann, Managing Director Quant & Risk Management Union Investment, stellte Trendfolgestrategien als Alternative für die Kapitalanlage für institutionelle Investoren vor.
Welche Chancen sich institutionellen Investoren an den Märkten derzeit bieten und welche Anlagekonzepte im aktuellen Umfeld zielführend sind, hat Jens Wilhelm, Mitglied des Vorstands von Union Investment, aufgezeigt.

Und in drei Praxisberichten stellten Dr. Stefan Beiner, Leiter Asset Management & Stv. Direktor der Pensionskasse des Bundes Publica, Dr. Wolfram Gerdes, Vorstand für Kapitalanlagen und Finanzen der Kirchlichen Versorgungskassen KZVK und VKPB, und Stefan Scholz, Leiter Finanzen & Treasury der Continental AG, ihre Ansätze in der Asset Allocation vor.

Herausforderung Niedrigzinsumfeld

Investoren müssen sich auf eine lange Zeit niedriger Zinsen einstellen, so Alexander Schindler, Gastgeber der Konferenz und im Vorstand von Union Investment zuständig für das Geschäft mit institutionellen Kunden. Eine Einschätzung, die auch von vielen Teilnehmern der Risikomanagement-Konferenz geteilt wurde. In der elektronischen Saal-Umfrage bekundeten 41 Prozent der anwesenden Vertreter von Versicherungen, Banken, Pensionskassen und Unternehmen, dass die Niedrigzinsphase wohl auch noch die nächsten fünf Jahre andauern werde.

Angesichts einer bescheidenen Rendite von derzeit etwa 0,8 Prozent für vermeintlich sichere zehnjährige Bundesanleihen muss ein Investor mittlerweile 72 Jahre warten, bis sich das eingesetzte Kapital verdoppelt hat, brachte Schindler das Dilemma der Branche auf den Punkt. Mit risikolosen Papieren lassen sich die Renditeanforderungen der institutionellen Anleger, die mehrheitlich um die vier Prozent Rendite benötigen, schon lange nicht mehr erfüllen.

Der Renditehunger der Anleger ist vor diesem Hintergrund dramatisch gestiegen. Das belegt auch die traditionelle Investorenbefragung für die Risikomanagementstudie von Union Investment. Demnach gaben 19 Prozent der Befragten an, dass für sie die Rendite der wichtigste Aspekt bei ihrer Anlageentscheidung ist. Im vergangenen Jahr rangierte die Rendite als zentrales Anlagekriterium hingegen nur bei acht Prozent der Umfrageteilnehmer an erster Stelle. Gleichwohl bleibt das Sicherheitsmotiv auch weiterhin für die große Mehrheit der institutionellen Investoren (64 Prozent) das dominierende Anlagekriterium. Vor einem Jahr galt dies allerdings noch für 79 Prozent der Befragten.

Investmentumfeld und Wege aus dem Zinstal

Die Zinsen in Europa bleiben bis auf Weiteres niedrig. Jens Wilhelm, Mitglied des Vorstands von Union Investment: "Das ist nichts Zyklisches, sondern etwas Strukturelles". Das Zinsdilemma für die Anleger bleibt damit bestehen. Allerdings werden die EZB und die Fed in der Geldpolitik künftig getrennte Wege gehen. Während die Frankfurter Währungshüter wohl frühestens am Ende dieser Dekade an der Zinsschraube drehen werden, dürfte in den Vereinigten Staaten dieser Schritt bereits im 2. Halbjahr 2015 bevorstehen. Grund: die Unterschiede beim Wirtschaftswachstum in beiden Regionen. Während in der EU das wirtschaftliche Comeback auf sich warten lässt, zeigen sich die Konsumenten in den USA in guter Kauflaune, was sich auf das BIP-Wachstum deutlich positiv auswirken wird. So könnte dieses in Amerika im kommenden Jahr auf immerhin 2,7 Prozent steigen, was klar über dem Niveau in der Euro-Zone liegt, die nur ein Wachstum von 1,3 Prozent verzeichnen dürfte. Da mit den Zinserhöhungen festverzinsliche Anlagen in den USA an Attraktivität gegenüber Euro-Anleihen gewinnen, bestehen für eine weitere Aufwertung des US-Dollar gegenüber dem Euro relativ gute Chancen.

Zwischenfazit: Mit Blick auf die Zinsentwicklung und das Wachstum haben wir es künftig mit einer Welt der zwei Geschwindigkeiten zu tun. Wilhelms Botschaft an die Investoren: Weg vom Home Bias und hin zu Internationalisierung der Kapitalanlage.

Chancen sieht Wilhelm hier vor allem bei Aktien, die auch in den kommenden Monaten Zuflüsse verzeichnen sollten. Dies liegt unter anderem daran, dass viele Investoren planen, mehr in diese Assetklasse zu investieren. Niedrige Zinsen und negative Realrenditen bei Staatsanleihen dürften die globalen Aktienmärkte künftig unterstützen. Zudem ist die Dividendenrendite höher als das Zinsniveau bei Staatsanleihen. Da die Unternehmensgewinne zuletzt vor allem in den USA eher positiv überraschten, dürften die Ausschüttungen sogar noch steigen, was den Spread zum Zinsniveau bei Staatstiteln erhöhen würde.  Die Bedeutung der Zinswende in den USA wurde zuletzt eher überschätzt, da die Fed tendenziell eine immer noch lockere Geldpolitik betreiben werde. Bei kleinen Zinsschritten ist die Gefahr, dass die US-Wirtschaft und der dortige Arbeitsmarkt nennenswert an Dynamik verlieren, recht gering.

Neben der Internationalisierung der Kapitalanlage plädierte Wilhelm für eine stärkere Nutzung alternativer Risikoprämien sowie für eine breitere Diversifikation und mehr Flexibilität in der Kapitalanlage. Zwar seien die Investoren auf diesem Weg bereits ein gutes Stück vorangekommen, dennoch gebe es hier weiterhin einiges zu tun.

Mit Trendfolgestrategien Verluste begrenzen

Breit diversifizieren, richtig diversifizieren, aktiv steuern und Verluste rechtzeitig begrenzen. Dies war die Botschaft von Dr. Thorsten Neumann, Managing Director Quant & Risk Management bei Union Investment. Dass Investoren bei der Diversifikation nicht ausschließlich auf alternative und neue Assetklassen setzen müssen, darauf wies Dr. Thorsten Neumann hin. "Aktien gehören als Renditetreiber in ein gut diversifiziertes Portfolio", sagte der Managing Director Quant und Risk Management bei Union Investment. Der Herausforderung erhöhter Volatilität könne unter anderem mithilfe von Trendfolgestrategien begegnet werden. Entsprechende regelbasierte Ansätze, die sich der technischen Analyse bedienen und versuchen, Trendbrüche an den Märkten zu identifizieren, benötigen keine Prognosen, sondern bleiben solange investiert, bis der Trend dreht. "Die Empirie hat gezeigt, dass Trendfolgestrategien in der Lage sind, die Markterträge zu stabilisieren", erklärte Neumann in seinem Vortrag. Sie seien ein guter Weg, Verluste durch aktives Eingreifen nach festen Regeln zu begrenzen. Dies gelte im Übrigen nicht nur für die Aktienmärkte. Auch im Rentenbereich schaffen Trendfolgestrategien einem Mehrwert – vor allem mit Blick auf Unternehmens- und Hochzinsanleihen, so Neumann.

Weltweit investieren

Was tun Lenker großer Pensionsvermögen, um trotz Niedrigzinsen ausreichend Rendite zu erzielen? Sie stecken mehr Kapital in weniger liquide Anlagen, kontrollieren Aktienrisiken stärker und legen das Vermögen internationaler an.

Stärker auf Schwellenländer setzt Dr. Wolfram Gerdes, Finanzvorstand der kirchlichen Versorgungskassen, Dortmund. 25 bis 30 Prozent des Pensionsvermögens für die evangelischen Kirchenangestellten legt er in Aktien und Anleihen aufstrebender Länder an – das entspreche in etwa deren Anteil an der Weltkapitalisierung, begründet der Pensionschef. Für zunehmend wichtig hält Gerdes Beteiligungen fernab der Börsen. Dort könne man eine zusätzliche Illiquiditätsprämie gegenüber Aktien vereinnahmen. Der Renditeaufschlag beträgt seiner Erfahrung nach etwa zwei Prozentpunkte. Ansonsten mischt er breit internationale Anlagen ins Pensionsportfolio. Bei Aktien etwa gefallen ihm kleinere Firmen, günstige und wenig schwankende Titel. Dagegen verzichtet er auf Hedgefonds, die ihm "zu teuer" sind.

Das Pensionsvermögen beim Reifenhersteller und Autozulieferer Continental in Höhe von mehr als 2,6 Milliarden Euro steuert Stefan Scholz, Leiter des Bereichs Finanzen, unterschiedlich in den einzelnen Ländern, in denen das Unternehmen Pensionszusagen macht. So liegt das Vermögen für deutsche Continental-Angestellte zu gut drei Vierteln in Anleihen, den Rest hat er in Immobilien und Mischfonds investiert. Für mehr als die Hälfte des Vermögens für die US-Kollegen hat Scholz dagegen Aktien gekauft. "Wir berücksichtigen lokale Anforderungen", kommentiert Scholz. Zuletzt habe er stärker in Firmen- und Wandelanleihen und Absolute-Return-Produkte investiert.

Zu diversifizieren ist auch Stefan Beiner wichtig, jedenfalls heute. Während die Schweizer Pensionseinrichtung Publica, die unter anderem für den Bund ein Vermögen von rund 36 Milliarden Schweizer Franken managt, 1999 vorrangig in Schweizer Staatsanleihen anlegte, setzt der Vermögensverwaltungschef heute weltweit auf 15 verschiedene Anlageklassen aus dem Anleihe-, Aktien-, Rohstoff- und Immobilienbereich. Angesichts eines sich "abflachenden Konjunkturzyklus, aktiver Zentralbanken und einer hohen Verschuldung der Industriestaaten" hat er das Aktienrisiko reduziert. Konkret fährt er die Aktienquote auf 29 Prozent des Vermögens zugunsten inflationsgeschützter Staatsanleihen etwas zurück. Zudem tauscht Beiner Schweizer Staatsanleihen zugunsten von europäischen und US-Staatspapieren und reduziert Rohstoffe zugunsten von Immobilien. Mit dieser Strategie will der Pensionschef in den nächsten Jahren rund 2,5 Prozent Rendite pro Jahr erzielen.

Warum Modelle und Staaten scheitern

Mit den US-Star-Ökonomen Prof. Daron Acemoglu und Prof. Emanuel Derman sprachen auf der neunten Risikomanagement-Konferenz erneut zwei renommierte Gastredner. Während Acemoglu der Frage nachging, warum Staaten nicht selten daran scheitern, Wachstum und Wohlstand für ihre Bevölkerung zu schaffen und zu mehren, warnte Derman vor einem übertriebenen Glauben an finanzmathematische Modelle.

Um zu verdeutlichen, dass sich die Erkenntnisse der Physik und Mathematik nur sehr begrenzt auf die sich schnell verändernden Bedingungen der Ökonomie und der Kapitalmärkte übertragen lassen, entführte Derman seine Zuhörer in die Welt der Sterne und Planeten. Als schöpferische Quelle der Theorien und Modelle der großen Physiker und Astronomen, wie Johannes Kepler, Isaac Newton und Albert Einstein, machte Derman die menschliche Intuition aus, ohne die alle Daten und wissenschaftlichen Beobachtungen letztlich blutleer blieben. Derman warnte vor einem zu großen Zutrauen in die Fähigkeiten von finanzmathematischen Modellen. "Die Physik hat drei Gesetze, die 99 Prozent der Phänomene erklären, die Ökonomie hat 99 Gesetze, die allenfalls drei Prozent der Phänomene abdecken."

Statt auf die Kraft der Intuition schwört Acemoglu vielmehr auf starke Institutionen. Denn die Qualität von Institutionen sei der Grund, warum Staaten erfolgreich  oder zum Scheitern verurteilt sind. Dabei unterscheidet Acemoglu zwischen "inklusiven" und "extraktiven" Wirtschaftsinstitutionen. Um in einem Staat Wohlstand und Prosperität zu schaffen, bedarf es inklusiver Institutionen, die weite Teile der Bevölkerung aktiv am Wirtschaftsleben beteiligen, Eigentums- und Vertragsrechte garantieren sowie für freien Wettbewerb sorgen und Innovationen belohnen. Extraktive Gesellschaften sind hingegen dadurch gekennzeichnet, dass sich eine kleine Machtclique die wichtigsten Institutionen des Staates unter den Nagel reißt und die Mehrheit der Bevölkerung von der Teilhabe am Wirtschaftsleben weitgehend ausschließt. Eigentumsrechte und Verträge sind in solchen Gesellschaften allenfalls rudimentär geschützt. Die herrschende Elite lebt auf Kosten der übrigen Bevölkerung. Extraktive Staaten sind über kurz oder lang zum Scheitern verurteilt.

Beide Referenten wiesen eindringlich auf das Risiko der wachsenden Ungleichheit in den entwickelten Volkswirtschaften hin. Diese Entwicklung, so die Überzeugung der US-Ökonomen, berge die Gefahr der gesellschaftlichen Erosion sowie letztendlich auch der Destabilisierung der Anlagemärkte. Zwar partizipierten mehr Menschen als früher am Wohlstand, doch klaffe die Schere bei der Verteilung der Wohlstandsgewinne zunehmend zugunsten einiger weniger auseinander. Nach Ansicht von Acemoglu ist eine solche Entwicklung in der Geschichte stets der Anfang vom Ende erfolgreicher Nationen gewesen. Man könne dieser Gefahr jedoch entgegenwirken – mit einem funktionierendem Sozialstaat und der systematischen Qualifizierung von Arbeitslosen.

[ Source of cover photo: Union Investment ]

 
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