In Österreich ist nun eingetreten, was in Deutschland wohl noch bevorsteht: Die Insolvenzen von Unternehmen haben deutlich zugenommen. Im ersten Halbjahr des laufenden Jahres kam es in der Alpenrepublik zu 2.429 Unternehmensinsolvenzen – gegenüber den ersten sechs Monaten des Jahres 2021 bedeutet dies ein Plus von 121 Prozent.
Dabei haben prozentual die mangels Masse abgewiesenen Insolvenzverfahren um 164 Prozent, aber auch die eröffneten Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung um 145 Prozent überdurchschnittlich zugelegt. Die höchste Steigerung im Vergleich der beiden Halbjahre 2021 und 2022 – und das ist damit ein Hinweis auf die Ursachen der markanten Zunahme bei den mangels Masse abgewiesen Verfahren – zeigen die freien Berufe. Hier hat sich die Anzahl der Betroffenen mehr als vervierfacht (plus 450 Prozent). Aber auch der Gewerbebetrieb legt bei seinem Anteil an der Gesamtzahl der Unternehmensinsolvenzen mit plus 224 Prozent deutlich zu. Diese Rechtsform ist unter der Gesamtheit der Pleiten von Betrieben in Österreich am stärksten vertreten: 1.134 Insolvenzen wurden hier gezählt – das ist fast die Hälfte aller Unternehmensinsolvenzen. Immerhin ein Lichtblick, dass auch die Zahl der Sanierungsverfahren deutlich zugenommen hat. Eine gute Entwicklung, wie sie sich auch in Deutschland mehr und mehr abzeichnet.
Einen weiteren Hinweis darauf, wie sich die aktuelle Krisensituation auf die Stabilität der Unternehmen auswirkt, gibt ein Blick auf die Branche. Dabei korrelieren die Zuwächse in den einzelnen Wirtschaftszweigen durchaus mit der beschriebenen Entwicklung in den Rechtsformen. Gerade Dienstleister sind stark von kleinen Unternehmen, etwa Freiberuflern oder Gewerbebetrieben, geprägt. Den stärksten Zuwachs gegenüber dem Vergleichszeitraum weist das Kredit- und Versicherungswesen auf. Die Zahl der Insolvenzen hat um 186 Prozent zugelegt. Aber auch der Transport- und Logistik-Sektor weist ein Plus von 128 Prozent auf. Es folgen der Gastronomiebereich sowie das Beherbergungs- und Gaststättenwesen mit einer Zunahme um 126 Prozent.
Unter dem Gesichtspunkt der relativen Insolvenzbetroffenheit (Anzahl der Insolvenzen im Verhältnis zur Zahl der existierenden Unternehmen) wurde der Bau als traditionell am stärksten gefährdeter Bereich vom Transportsektor abgelöst. Während die Insolvenzquote im Bauwesen bei 17,1 Betrieben je 10.000 Unternehmen liegt, beträgt sie in der Logistik fast 20 pro 10.000. In absoluten Zahlen liegen der Bau, der Handel und schließlich die unternehmensbezogenen Dienstleistungen etwa gleich auf: Alle drei Bereiche zählen mehr als 400 Insolvenzen und bestreiten so fast die Hälfte des gesamten Aufkommens.
Kein Ende der Krisen
Der Geschäftsführer von Creditreform Österreich, Gerhard M. Weinhofer, bringt die aktuelle Situation auf den Punkt: "Einerseits sind die staatlichen Hilfen ausgelaufen und öffentliche Gläubiger stellen vermehrt Insolvenzanträge, andererseits sind die heimischen Unternehmen nach den Lockdowns von diversen Krisen gleichzeitig betroffen, die auf die Konjunktur drücken. Steigende Preise bei Materialien und Vorprodukten bei gleichzeitiger Unmöglichkeit, die Preise eins zu eins an den Kunden weiterzugeben sowie steigende Löhne infolge des Arbeitskräftemangels, führen zu sinkenden oder gar negativen Margen. Dies bedeutet bei steigenden Zinsen dann das endgültige Aus für viele Firmen." Die Gläubiger müssen befürchten, dass alleine im ersten Halbjahr 2022 Forderungen in Höhe von rund 600 Millionen Euro gefährdet sind. Insgesamt handelt es sich um 17.300 Insolvenzgläubiger. Im Zusammenhang mit den finanziellen Schäden sind auch 7.000 Arbeitsplätze zu erwähnen, die drohen, verloren zu gehen. Dabei hat sich in der Misere, die sich beim aktuellen Insolvenzgeschehen in Österreich abzeichnet, vieles erst im Ansatz gezeigt. Weinhofer spricht von den Auswirkungen des Lieferstopps beim Gas und den weiteren Folgen des Krieges in der Ukraine. Hinzu kommt die EZB-Entscheidung vom Juli, die manches gefährdete Unternehmen durch die Erhöhung der Zinsen im Hinblick auf die Kreditaufnahme und die Refinanzierung vor große Probleme stellen wird.
Insolvenzen kommen nicht unerwartet
Die aktuelle Insolvenzwelle, die sich abzeichnet, kommt für Creditreform Österreich nicht unerwartet. In einer Studie, die zusammen mit Professor Walter Schwaiger, TU Wien, durchgeführt wurde, wurde aufgezeigt, dass bei den ausgebliebenen Unternehmensinsolvenzen in den Pandemie-Jahren 2020 und 2021 rund 5.700 Betriebe akut gefährdet sind. Wie in Deutschland auch, waren in Österreich zahlreiche Maßnahmen im Zusammenhang mit der Krise in Bewegung gesetzt worden, um Unternehmensinsolvenzen zu vermeiden.
Die Ausfallraten der Jahre 2020 und 2021 sind mit 0,76 und 0,81 Prozent auf historische Tiefststände gesunken. Entsprechend sind die Firmeninsolvenzen um rund 40 Prozent zurückgegangen. So wenige Insolvenzen gab es zuletzt vor 30 Jahren. Diese Tiefststände geben allerdings ein verzerrtes Bild des künftigen Ausfallrisikos, zumal in den folgenden Jahren derartige Stützungsmaßnahmen nicht mehr vorgesehen sind.
2020 und 2021 war eine Ausfallrate von 1,88 und 1,21 Prozent erwartet worden. Wird von diesen Raten die jeweils tatsächlich realisierte Ausfallrate von 0,76 bzw. 0,81 Prozent abgezogen, dann ergibt sich die durch außerordentliche Stützungsmaßnahmen entstandene "Covid-19-Blase" von 1,12 Prozent für 2020 und 0,40 Prozent für 2021.
Die starke Reduktion dieser Covid-19-Blase um 0,72 Prozentpunkte ergibt sich durch die weitgehende Fortführung von staatlichen Hilfspaketen bzw. der konjunkturellen Verbesserung im Jahr 2021, womit die realisierte Ausfallrate niedrig gehalten bzw. die erwartete Ausfallrate reduziert wurde.
Dabei hat die Studie mit ihren Zahlen die Probleme um die Covid-Lage nur thematisiert. Die Verschärfungen der Krise im Zeichen der Auswirkungen des Krieges in der Ukraine und der Probleme um die Geldwertstabilität sowie das Gegensteuern der EZB mit den Befürchtungen einer konjunkturellen Rezession lässt in naher Zukunft eine noch größere Zahl von Unternehmensinsolvenzen befürchten. Stützungsmaßnahmen können eine Zeitlang helfen, eine Lösung des Problems der Unternehmensinsolvenzen sind sie nicht.
[Quelle: Creditreform Österreich]