Jenseits des Informationszeitalters

Wie schlechte Kommunikation Unternehmen zerstört


Wie schlechte Kommunikation Unternehmen zerstört Interview

Der Hamburger Psychologe Friedemann Schulz von Thun bezeichnet in einer aktuellen Buchveröffentlichung Kommunikation als Lebenskunst. Insbesondere auch im Risiko- und Krisenmanagement spielt eine angemessene Kommunikation eine große Rolle. In der jüngeren Vergangenheit gab es einmal mehr Belege dafür, dass Krisenkommunikation ein äußerst wichtiger Bestandteil der Krisenbewältigung ist. Katastrophen und Krisen waren und sind immer eine Quelle für Nachrichten. Eine zunehmende Tendenz zu immer spektakuläreren  Meldungen verstärkt diese Dynamik. Eine nicht präventiv vorbereitete oder unprofessionelle Krisenkommunikation kann eine krisenhafte Situation unkontrolliert eskalieren lassen.

Nach der Krise ist vor der Krise und die Krise als Chance zu verstehen. Dieser Satz ist so abgedroschen wie richtig. Krisenmanagement verlangt klare Strukturen und eine vorbereitete Strategie. Wichtig ist ein Masterplan zur Kommunikation für zukünftige Krisen. Und die wird kommen. Im exklusiven RiskNET-Interview diskutieren wir mit Lorenz Steinke das Krisenpotenzial, das Shitstorms und Medien-Empörung über den Moment hinaus haben. Der Kommunikationsprofi zeigt auf, warum sie Unternehmen langfristig vernichten können.

Wir reden heute viel über Industrie 4.0 und Supply-Chain-Management. Welche Rolle spielt die Öffentliche Meinung als Produktionsfaktor? Wird sie dank besserer Kommunikationswerkzeuge zunehmend planbar?

Lorenz Steinke: Ja und Nein. Die technischen Möglichkeiten, die nicht nur unsere Produktionsketten, sondern auch unsere Kommunikationsmöglichkeiten dramatisch verändert haben, haben dafür gesorgt, dass Unternehmen heute mehr mit der Öffentlichkeit und ihren Kunden sprechen als jemals zuvor. Die Preise für Werbemaßnahmen sind – gerechnet in der harten Branchenwährung des Tausend-Kontakte-Preises – seit Jahren im freien Fall. Daneben sind viele neue Kanäle der Kundenansprache entstanden. Vom eigenen Promotion-Mitarbeiter am Point of Sale im Einzelhandel, bis hin zur automatisierten und durchgeplanten Win-Back-Kampagne nach einer Preiserhöhung: Wir überfluten unsere Kunden mit Informationen. Wir leben heute längst nicht mehr im Informationszeitalter. Wir leben im Kommunikationszeitalter. Wobei der größte Teil unserer Kommunikation nicht individuell ist, sondern von Algorithmen erdacht und gesteuert.

Anders ist die große Informationsflut doch gar nicht zu handhaben. Niemand kann im Massengeschäft einen persönlichen Kontakt zu allen Kunden aufbauen.

Lorenz Steinke: Richtig, aber diese Automatisierung nimmt uns die Kontrolle über das, was die Öffentlichkeit, die Medien oder unsere Kunden über uns denken. Heute schreibt jeder, bevor er nachdenkt. Wir informieren uns nicht mehr, wir kommunizieren erst mal. Die Meinungsbildung steht heute am Anfang der Informationskette und nicht mehr an deren Ende. Das zeigt sich, wenn in den Social Media plötzlich ein Shitstorm über die Produktqualität bei einem Hersteller losgetreten wird, ohne dass das Unternehmen die Möglichkeit hat, hierzu erklärend Stellung zu nehmen.
Oft tragen Unternehmen auch selbst zur Eskalation bei. Wie etwa der Sauna-Wellnesspark "Kristall" aus dem thüringischen Bad Klosterlausnitz, der 2013 seine Gäste ausgerechnet für einen 9. November zu einer "romantischen Kristall-Nacht" mit heißen Aufgüssen einlud. Früher hätte das allenfalls die Lokalzeitung interessiert. Aber via Social Media sprangen schnell Spiegel Online, Stern.de und andere Medien auf das Thema an und ein Shitstorm der Empörung brach noch am selben Tag los. So geraten Unternehmen heute schneller in eine öffentliche Defensive, als sie ihren Markennamen aussprechen können. Und hier kommen auch die Werkzeuge der klassischen Kundenansprache schnell an ihre Grenzen, wenn plötzlich Millionen über einen lachen. Das einzige was dann oft noch bleibt, ist der öffentliche Kotau und das schnelle Eingeständnis des eigenen Fehlers. Der Schaden aber hält länger an.

Wird die Bedeutung solcher Krisen und Shitstorms nicht überschätzt? Nachdem ich ein paar Tage öffentlicher Empörung überstanden und mich entschuldigt habe, steht doch längst das nächste Thema auf der Agenda und niemand interessiert sich mehr für mein Problem, weil bereits ein anderes Unternehmen an den Pranger gestellt wird. Die Meute zieht weiter...

Lorenz Steinke: Am Beispiel des ADAC sehen wir sehr deutlich, welche großen Schäden eine Vertrauenskrise anrichten kann. Der Spiegel schreibt, dass der Verkehrsclub im ersten halben Jahr nach Bekanntwerden der manipulierten Abstimmung über den "Gelben Engel" rund 320.000 Mitglieder verloren hat. Die in der gleichen Zeit gewonnenen Neumitglieder sollten nicht darüber hinwegtäuschen, wie viele langjährige Unterstützer dem Club den Rücken gekehrt haben. Wer schon einmal in der Kundenrückgewinnung tätig war, kennt die hohen Kosten, die durch solche Produkt- und Markenenttäuschung entstehen. Wenn jedes frustrierte Mitglied nur zehn Personen aus seinem Freundeskreis über seinen Austritt informiert hat, kommen wir auf gigantische Zahlen. Und das zeigt nur eine Dimension des Schadens.

Das heißt, der wahre Schaden liegt eher beim langfristigen Reputationsverlust des ADAC?

Lorenz Steinke: Oft ist es nicht die erste von mehreren Krisen, die ein Unternehmen zu Fall bringt. Aber wenn die Öffentlichkeit erst einmal darüber spricht, dass Sie Ihre Mitarbeiter heimlich überwachen oder wegen Cent-Beträgen fristlos kündigen, dann ist die Öffentlichkeit auch schnell bereit zu glauben, dass Sie Ihre Waren aus zweifelhaften Quellen beziehen, Hygiene-Standards verletzen oder Produkte mit geplanter Obsoleszenz, also künstlich verkürzter Lebensdauer verkaufen. In der Psychologie nennen wird dies den "Halo"-Effekt. Schlechte Erfahrungen in einem Bereich bestimmen die Erwartungshaltung von Kunden und Öffentlichkeit auch in anderen Themenfeldern. Und diese Erwartung kippt irgendwann ins Negative. Im Einzelhandel, wo die Margen klein und die Märkte umkämpft sind, sind schon Unternehmen wegen kleinerer Skandale untergegangen.

Auch die Medien werden nach einem ersten Skandal gezielt nach weiteren Themen suchen, wenn eine Organisation erst einmal zum Abschuss freigegeben ist. Das haben wir in der ADAC-Krise sehr deutlich gesehen, als zeitweise jeden Tag über ein neues ADAC-Skandalthema berichtet wurde. Von den missbräuchlichen Einsätzen von Rettungsflugzeugen über die Dienstvillen der Funktionäre bis hin zu den möglicherweise grundlos an liegengebliebene Autofahrer verkauften Ersatz-Batterien. Und jedes dieser Skandalthemen hat die Reputation des ADAC weiter beschädigt.

Aber auf lange Sicht hat der Club die Krise überstanden und wird das Jahr 2014 rückblickend als kleine Wachstumsdelle in seiner langjährigen Erfolgsgeschichte abtun.

Lorenz Steinke: Nein. Ein "Weiter wie bisher" kann es für den ADAC nicht geben. Die Krise hat den Club bis ins Mark getroffen und noch immer sucht er nach einer Neuausrichtung. Was viele nicht sehen: Als politisches Sprachrohr von Autofahrer-Interessen ist er zum Leichtgewicht geworden und tritt heute gegenüber der Politik ganz anders auf als noch vor wenigen Jahren.
Übertragen Sie dies einmal auf Ihre eigene Branche: Nach einem Skandal haben Sie keinerlei Möglichkeit mehr, berechtigte Branchenthemen politisch oder in der Öffentlichkeit anzubringen, etwa wenn es um neue Gesetze oder EU-Verordnungen geht, die ihr Geschäftsmodell gefährden könnten. Wenn Sie in einer solchen Situation auf das Problem hinweisen, wird jeder zu Ihnen sagen: "Löse erstmal Deine internen Probleme, bevor wir mit Dir über externe Faktoren reden."

Durch eine Imagekampagne lässt sich sicherlich ein Teil des verlorenen Vertrauens zurückgewinnen.

Lorenz Steinke: Solche Maßnahmen haben ihre natürlichen Grenzen. Wir sehen das beispielsweise bei den großen Energieversorgern und Netzbetreibern in Deutschland, bei der Pharmaindustrie oder seit 2008 auch bei den Banken. Deren Ansehen in der Öffentlichkeit ist so gering wie seit langer Zeit nicht mehr. Kein Politiker würde sich deshalb heute noch öffentlich für ihre Interessen einsetzen. Und selbst die Gewerkschaften gehen kaum noch auf die Straße für Arbeitsplätze etwa bei den Energieversorgern, weil sie die öffentliche Meinung fürchten.

Diese Branchen haben längst resigniert und betreiben nur noch reine Stakeholder-Kommunikation. Den Dialog mit der Öffentlichkeit haben sie eingestellt. In ihrer Situation könnten Image-Kampagnen sogar negativ umschlagen, weil eine extrem kritische Öffentlichkeit jede ihrer Botschaften ins Negative verkehren würde. Das musste etwa die US-Bank J.P. Morgan 2013 erleben: Als das Geldinstitut Studenten zur Fragestunde via Twitter einlud, schrieben wütende Teilnehmer des Chats "How come you guys aren’t in jail?" und "How much blood do your executives consume on a monthly basis?" Darüber berichteten wiederum Zeitungen wie die New York Times, die Neue Zürcher Zeitung oder die ZEIT, deren Berichterstattung entsprechend negativ ausfiel. Die Recruiting-Maßnahme wurde so zum öffentlichen Fiasko. Hinzu kommt: Heute sind selbst sorgfältig konzipierte Markenauftritte dank Photoshop und Co. schnell in virale Spottbilder umgestrickt und finden virale Verbreitung über Social Media. Darüber berichten dann wiederum die klassischen Medien, die solche Vorlagen dankbar übernehmen. Viele Umwelt- und Verbraucherorganisationen greifen diese Vorlagen gezielt auf und nutzen sie für ihre eigene Öffentlichkeitsarbeit oder initiieren sie sogar.  

Ganze Branchen sind so in einer Image-Falle gefangen, die ihre Handlungsmöglichkeiten einschränkt. Die Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann hat in den 1970er-Jahren den Begriff der Schweigespirale geprägt: Wenn ein Thema oder das Image einer Organisation – in ihrem Beispiel ging es um politische Parteien – negativ besetzt ist, dann traut sich irgendwann niemand mehr, hierfür Stellung zu beziehen, selbst wenn er es insgeheim gut findet. Zuletzt hat die FDP erfahren, welche Macht diese Schweigespirale hat. Das sollte mahnendes Beispiel genug sein, um rechtzeitig über seine eigene Kommunikation und Reputation nachzudenken.

Dr. Lorenz Steinke ist Journalist, Kommunikationsberater und Inhaber der PR-Agentur Kommunikation360. Von 2010 bis 2013 war er Pressesprecher bei der Deutschen Telekom, davor fast zehn Jahre Leitender Redakteur bei Axel Springer. Seine Schwerpunkte sind die Krisen-, Technik- und Wissenschaftskommunikation. Zuletzt erschien bei Springer Gabler sein Ratgeber "Kommunizieren in der Krise". Steinke ist Mitglied im Hamburger Presseclub, im Journalistennetzwerk Jonet sowie bei Mensa in Deutschland.

Dr. Lorenz Steinke ist Journalist, Kommunikationsberater und Inhaber der PR-Agentur Kommunikation360. Von 2010 bis 2013 war er Pressesprecher bei der Deutschen Telekom, davor fast zehn Jahre Leitender Redakteur bei Axel Springer. Seine Schwerpunkte sind die Krisen-, Technik- und Wissenschaftskommunikation. Zuletzt erschien bei Springer Gabler sein Ratgeber "Kommunizieren in der Krise". Steinke ist Mitglied im Hamburger Presseclub, im Journalistennetzwerk Jonet sowie bei Mensa in Deutschland.

RiskAcademyRiskNET Intensiv-Seminar "Krisenkommunikation in der Praxis"

Termin: 23.-24.04.2015

Ort: Schloss Hohenkammer bei München

Kommunikations- und Reputationsrisiken gewinnen im Informations- und Internetzeitalter immer stärker an Bedeutung. Schon ein einziger schlecht gemanagter Unternehmens-Skandal kann sich auf Jahre in der Bilanz niederschlagen. Spätestens nach dem zweiten Krisenereignis sind viele Unternehmen bereits insolvent. Eine gute Vorbereitung auf mögliche Krisenszenarien ist daher essentieller Bestandteil guter Unternehmensführung. Das Seminar vermittelt Werkzeuge für die präventive und akute Krisenkommunikation. Wie bereiten sich Unternehmen und Organisationen richtig darauf vor? Wie erfolgt in der Krise die Ansprache von Medien und weiteren Stakeholdern? Anhand zahlreicher Praxisbeispiele erläutert das Seminar die besonderen Herausforderungen der Krisenkommunikation und schärft den Blick für scheinbar unwichtige Details, die in einer Krise oft über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.

Referenten:Dr. Lorenz Steinke, Frank Romeike

 

[ Source of cover photo: © wellphoto - Fotolia.com ]
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