Gedankenexperimente

Zehn Überraschungen des Jahres 2015


Zehn Überraschungen des Jahres 2015 Comment

Auch bei Überraschungen gibt es Überraschungen. Vor zehn Jahren habe ich zum ersten Mal die "Zehn Überraschungen des kommenden Jahres" geschrieben. Seitdem gab es jedes Mal ein oder zwei Punkte, die dann tatsächlich eingetreten sind. Im letzten Jahr erschienen mir alle Punkte so unwahrscheinlich, dass ich mich darauf einstellte, keinen "Treffer" zu landen. Es kam aber anders. 2014 gab es sogar mehr Entwicklungen, mit denen so kaum jemand gerechnet hatte: Die starke Abschwächung der Konjunktur in Deutschland, der Absturz des Ölpreises und die Einführung von negativen Zinsen. Alles waren Punkte in meinen Überraschungen des Jahres 2014.

Ich sehe das nicht als Ergebnis hellseherischer Kräfte. Denn was ich hier schreibe, sind keine Prognosen. Es zeigt aber, dass es vielleicht doch nicht ganz unnütz ist, sich Gedanken darüber zu machen, was alles anders als gedacht kommen könnte. Auch die folgenden Punkte sind wie immer keine Prognosen. Es sind Beispiele für Gedankenexperimente, um den Horizont zu erweitern. Sie sollen wie jedes Mal kein in sich konsistentes Bild ergeben.

Erstens: Statt Aufschwung gibt es Rezession in der Welt. Die Arbeitslosigkeit steigt an. Die Preise sinken. Verbraucher reduzieren ihre Nachfrage, weil sie auf noch niedrigere Preise hoffen. Es kommt zu einer sich selbst verstärkenden Abwärtsbewegung. Die Zentralbanken müssen machtlos zusehen, da sie ihr Pulver schon verschossen haben. Schließlich kommt Saudi-Arabien zu Hilfe, indem es die Ölförderung kürzt. Die Ölpreise steigen. Die Deflation ist zu Ende.

Zweitens: Die Wachstumslokomotive USA gerät ins Stocken. Es zeigt sich, dass selbst ein so großes und starkes Land wie die Vereinigten Staaten nicht in der Lage ist, die Weltwirtschaft insgesamt zu ziehen. Das amerikanische Wirtschaftswachstum fällt zuerst auf zwei Prozent zurück, dann auf ein Prozent. Die Zentralbank verschiebt die geplante Zinserhöhung. Sie beginnt wieder Wertpapiere zu kaufen. Auf den Devisenmärkten schwächt sich der Dollar ab. Ende 2015 liegt er bei 1,50 Dollar je Euro.

Drittens: In Frankreich setzt Präsident Hollande dank seiner präsidentiellen Befugnisse ein weitreichendes Reformprogramm durch. Seine Popularität geht noch mehr in den Keller. Schließlich tritt er zurück. Aber dem Land geht es überraschend schnell besser. Das Bild Hollandes in der Öffentlichkeit wandelt sich. Er geht in die Geschichte ein, als einer der besten und mutigsten Präsidenten.

Viertens: In Europa wird eine zweite Währung eingeführt. England tritt aus der EU aus. Es schließt sich mit Norwegen, Schweden und Dänemark zu einer neuen Gemeinschaft zusammen. Die Länder gründen auch eine eigene Währung. Die baltischen Staaten finden das so attraktiv, dass sie sich anschließen. Die übrigen Euroländer sind geschockt. Andererseits entsteht ein Wettbewerb der zwei Währungen in Europa. Italien und Frankreich verstärken ihre Reformanstrengungen, damit "ihr" Euro nicht zurückfällt.

Fünftens: Weihnachten wird verschoben. Eine Gruppe von Arbeitnehmern stellt fest, dass 2015 wegen der ungünstigen Lagen der Feiertag an mehr Tagen gearbeitet werden muss. Sie halten das für unzumutbar. Sie klagen beim Bundesverfassungsgericht. Dieses gibt ihnen Recht und fordert die Regierung auf, den Tag der Deutschen Einheit auf den 4. Oktober (einen Montag) zu verlegen und Heiligabend einen Tag vorzuziehen.

Sechstens: Generalstreik in Deutschland. Angeregt durch die Aktionen der Lokführer und der Piloten besinnen sich die Gewerkschaften auf ihre politische Macht. Sie fordern nicht höhere Löhne, weil sie wissen, dass das der Beschäftigung schadet. Sie treten vielmehr dafür ein, dass Kohlekraftwerke nicht stillgelegt werden, dass den Unternehmen die Beschäftigung von Arbeit-nehmern über 63 Jahre untersagt wird und dass es eine Sonntagsruhe für den öffentlichen Nahverkehr gibt.  

Siebtens: Die Zinsen werden dank der expansiven Geldpolitik auch bei längeren Laufzeiten negativ. Womit niemand gerechnet hat: Die Sparer reagieren darauf, indem sie weniger auf die hohe Kante legen. Die Geldzuflüsse bei den Banken werden geringer. Es fehlt an den notwenigen Ersparnissen, um Investitionen und Wachstum zu finanzieren. Die Regierung überlegt, wie sie die Defizite bei der Altersvorsorge schließen kann.

Achtens: Die Russen ziehen ihre Truppen aus den Grenzregionen zur NATO zurück und verkünden lauthals, dass der Verteidigungsetat gekürzt wird. Der Westen jubelt und denkt, dass die Zeit der Entspannungspolitik zurückkehrt – bis er merkt, dass mit einem Mal die Cyber-Attacken auf Regierungsstellen und Unternehmen im Westen steigen. Der Krieg wird vom Militär auf Hacker verlagert.

Neuntens: Bei den Bremer Bürgerschaftswahlen im Sommer 2015 verliert die SPD ihre traditionelle Mehrheit. Mehr und mehr SPD-Mitglieder zweifeln, dass sich ihre Partei in der großen Koalition ausreichend profilieren kann. Die Regierungsarbeit in Berlin wird noch mühsamer. Arbeitsministerin Nahles tritt zurück, um sich auf künftige Aufgaben vorzubereiten.

Zehntens: Nach sechs Jahren kontinuierlicher Aufwärtsentwicklung am deutschen Aktienmarkt stürzen die Kurse ab. Die Gründe dafür sind nicht ganz klar. Weder ist die Konjunktur so schlecht, noch geht die Liquidität zurück, noch sind die Weltbörsen so schwach. Die Regierung fürchtet, dass sich die Entwicklung negativ auf ihre Popularität auswirken könnte. Sie bittet die Bundesbank, am Aktienmarkt zu intervenieren.

Autor: 

Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.

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Kommentare zu diesem Beitrag

Steen Jakobsen, Chefökonom, Saxo Bank /18.12.2014 13:50
+++ Zehn provokante Thesen für 2015 +++

2015 wird ein hartes Jahr, doch möglicherweise auch ein denkwürdiges Jahr mit historischen Tiefständen in allen Bereichen sein. Die Inflation ist auf den niedrigsten Stand seit Jahrzehnten gefallen. Infolgedessen sind auch die Zinssätze und Energiepreise stark gesunken. Aufgrund der mangelnden Volatilität der Daten und Anlagemärkte wiegen sich Investoren in falscher Sicherheit, was 2015 zum größten Schock führen könnte. Eine Chaoswoche im Oktober 2014 war vielleicht schon ein Vorgeschmack auf zukünftige spektakuläre Ereignisse. Zehn Thesen sollen relativ kontroverse, voneinander unabhängige Szenarien skizzieren, die die Investmentbranche auf den Kopf stellen könnten.

1. Zusammenbruch des britischen Immobilienmarkts
Studien zufolge wird die Dynamik auf dem britischen Immobilienmarkt, vor allem in London, schnell nachlassen. Durch die bevorstehende Zinserhöhung der Bank of England wird Großbritannien 2015 einen Immobilien-Crash und einen Preisrückgang von sage und schreibe 25 Prozent erleben.

2. Inflation in Japan erreicht 5-Prozent-Marke
Das Vertrauen in den Yen ist durch die aggressive Geldpolitik der japanischen Notenbank erschüttert, deren Chef feststellen muss, dass seine Inflationspolitik einen zu großen "Erfolg" gezeitigt hat. Es ist ein Symptom dafür, dass Japan die Kontrolle über seine Währung verloren hat.

3. China wertet Yuan um 20 Prozent ab
China wird nach Möglichkeiten Ausschau halten, den enormen Deflationsdruck – die Kehrseite des Kreditbooms – zu verringern. Im Zuge der lauernden Deflationsgefahren schneidet sich China eine Scheibe von der Bank of Japan ab, beschließt eine Entwertung des Yuan um 20 Prozent und folgt so dem Beispiel Japans bei seinen Anstrengungen, Inflation und Nachfrage zu erhöhen.

4. Draghi legt Amt bei der EZB nieder
Um die Deutschen vom QE-Programm der Europäischen Zentralbank zu überzeugen, tritt Mario Draghi von seinem Amt zurück, damit die EZB ihre Politik der quantitativen Lockerung unter einem neuen Präsidenten, Jens Weidmann von der Bundesbank, fortsetzen kann. Draghi sieht größere Chancen für seine Qualitäten in Italien, wo er von Präsident Napolitano als sein Amtsnachfolger vorgeschlagen wird.

5. Russland wieder in der Schuldenkrise
Aufgrund stark fallender Ölpreise und einer kalten Finanzschulter von Russlands geopolitischen Widersachern, werden russische Großkonzerne oder die Regierung selbst Bestandteil einer immer stärkeren Auslandsverschuldung. Zusammen mit einer diplomatischen Lösung der Ukraine-Frage ist eine Schuldenkrise wie 1998 notwendig, um die Zukunft des Landes zu sichern.

6. Internet-Hacker zerschlagen den E-Commerce
2015 werden die größten E-Commerce-Player Opfer von noch umfangreicheren und schärferen Angriffen sein, die wahre Schockwellen bei Internet- und Cloud-Dienstleistern auslösen. Aufgrund der starken negativen Auswirkungen auf die E-Commerce-Branche und auch seiner Überbewertung erleidet Amazon.com, der größte Internethändler und führender Anbieter von webbasierten Dienstleistungen, einen Rückgang von 50 Prozent.

7. Vulkanausbruch macht Sommer in Europa zunichte
Wie der Vulkan Laki im Jahre 1783, bricht der bereits aktive isländische Vulkan Bardarbunga 2015 aus und setzt enorme Mengen an giftigem Schwefeldioxid und anderen Gasen frei, die den Himmel über Europa verdunkeln. Der Ausbruch führt zu einer Veränderung der Wetterbedingungen und schürt Ängste vor Ernteausfällen in ganz Europa. Die Getreidepreise verdoppeln sich, obwohl sich die Auswirkungen des Vulkanausbruchs als weitaus moderater erweisen, als ursprünglich befürchtet.

8. Kakao-Futures erreichen Rekordmarke von 5.000 USD pro Tonne
Weltweit steigt die Nachfrage nach Kakao, da der westliche Gaumen dunklere Schokolade bevorzugt und immer mehr Asiaten ihre Liebe zu Schokolade entdecken. Aufgrund des sinkenden Kakaoangebots infolge der Sorge vor dem Ebola-Virus sowie der zu geringen Investitionen in wichtigen westafrikanischen Erzeugerregionen, liegt der weltweite Verbrauch von Kakao deutlich über seiner Produktion. Diese Tatsache wird sich 2015 in einem Rekordpreis für Kakao von über 5.000 USD pro Tonne niederschlagen.

9. Großbritannien nach erdrutschartigem Wahlsieg der UKIP vor möglichem Ausstieg aus der EU (Brexit)
Bei den britischen Unterhauswahlen am 7. Mai 2015 erringt die UK Independence Party 25 Prozent der abgegebenen Stimmen und zieht dadurch sensationell als drittgrößte Partei ins Parlament ein. Die UKIP bildet eine Koalitionsregierung mit der konservativen Partei von David Cameron und ruft 2017 zum geplanten Referendum über die Mitgliedschaft Großbritanniens in der EU auf. Die britische Staatsverschuldung nimmt deutlich zu.

10. Spreads bei hochverzinslichen Unternehmensanleihen verdoppeln sich
Nach einer deutlichen Veränderung bei hochverzinslichen Anleihen sind Anleger, die 2015 nach Ausstiegsmöglichkeiten suchen, mit geringer Liquidität und starken Preisrückgängen konfrontiert. Mit dem massiven Abverkauf hochverzinslicher Kredite erschüttern neue Schockwellen wieder die schwache europäische Wirtschaft in ihren Grundfesten. Der Markit iTraxx Europe Crossover-Index verdoppelt sich 2015 auf 700 Basispunkte.

Autor: Steen Jakobsen ist Chefökonom bei der Saxo Bank.
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