Stand im Mittelalter die Gabe anstatt der Profit im Zentrum des ökonomischen Denkens, so hat sich dies im 18. und insbesondere ab dem 19. Jahrhundert mit der Industrialisierung geändert. Händler und Bankiers suchten zuerst ihr Seelenheil und an zweiter Stelle die Vermehrung ihres Reichtums. Auch waren die Kräfteverhältnisse zwischen dem Finanzierer (Gläubiger) und dem Schuldner, meistens der Monarchie als Staat, gespannt. So hatten doch die französischen Monarchen die Gewohnheit, wichtige inländische Gläubiger hinzurichten, um so ihre Schulden nicht zurückzahlen zu müssen. Bei den Beziehungen zwischen Gläubiger und Schuldnern handelte es sich primär um persönliche oder familiäre Beziehungen. Aber immer spielte die Machtfrage zwischen den Beteiligten eine Rolle.
Wissenschaftliche Entdeckungen und ökonomische Veränderungen – insbesondere im 19. und 20. Jahrhundert – beschleunigten die Entwicklung des Geldgewerbes zu einer Institutionalisierung des Geld- und Bankwesens. Innovationen in neue Industrien wie Automobile, Radio, Kunstseide, Elektrizität und Chemie, führten zu einem wachsenden Investitionsbedarf. Die privaten Geldmittel genügten nicht mehr die Investitionen eigenständig durchzuführen. Die Unternehmen waren unterkapitalisiert. Ein weiterer Effekt dieser Entwicklung war die Gründungswelle von Großbanken wie der Deutschen Bank, der Dresdner Bank sowie der Commerzbank. Zweck der Banken war es, den deutschen Außenhandel zu finanzieren bzw. die deutsche Industrie aus der Abhängigkeit von ausländischen Banken herauszulösen. Insofern war bereits hier der Keim für die intensiven Verflechtungen zwischen Unternehmen und Banken gelegt. So wurde Mannesmann 1890 durch die Deutsche Bank und Werner von Siemens (Mitglied im Aufsichtsrat der Deutschen Bank) reorganisiert. Siemens und die Deutsche Bank haben bis zum Ende des 2. Weltkrieges wechselseitig Aufsichtsräte entsendet. Der deutsch-jüdische Banker Jacob Goldschmidt vertrat in einer in England stattgefundenen Enquete über das Bankwesen die Auffassung, die Banken haben im neunzehnten Jahrhundert die Industrien groß gemacht.
Das vorliegende Buch mit dem Titel "Alle Macht den Banken“ untersucht die Verflechtungen deutscher Großunternehmen durch gemeinsame Aufsichtsräte vom ausgehenden Kaiserreich bis zum Fall der Weimarer Republik. Im Zentrum der Analyse stehen die Banken, aus deren Präsenz in den Aufsichtsräten lange auf eine einseitige Unternehmenskontrolle geschlossen wurde. Die Autorin bestätigt auf Basis ihrer Analyse die These so nicht. Neben einer systematischen Einführung in das Sachgebiet folgt in einem weiteren Kapitel eine aktuelle Darstellung von Netzwerktheorien. Welche Erklärung von Motiven für Vernetzung und ihren sozialen Wirkungen gibt es? Auf Basis ihrer Datengrundlage werden die Netzwerkstrukturen der größten Aktiengesellschaften im Querschnitt (Personalverflechtungen) als auch im Längsschnitt (Zeitraum) auf seine Netzwerkstruktur hin untersucht. Den Abschluss der Auswertungen bildet die Einzelfallanalyse der Großbanken. Die Autorin kommt hier auf Seite 245 zu der Auffassung, dass die "Bankenmachtthese nur bedingt und mit großen Einschränkungen durch die Daten gestützt“ werden.
Es sei aber die Frage erlaubt, wie Bankenmacht definiert wird. Oder anders formuliert, welche Interessen werden verfolgt? Wie die Erörterungen hier zeigen, ergibt sich die Einflussnahme aus der Verflechtung von Aufsichtsratssitzen. Aktienpakete waren fast durchweg bei den Banken. Diese Abstimmungsmacht beruht fast ausschließlich auf der Anwendung des Depotstimmrechts. Ziel war es, den Kunden bei Konsortialtransaktionen zu behalten. Im Fall Mannesmann ging der Einfluss zweifelsohne einseitig von der Deutschen Bank aus.
Leider sind die Verflechtungen zum Staat nicht Gegenstand der Erörterung. Somit fehlt meines Erachtens ein wichtiger Akteur. Industriepolitik war und ist auch immer Außenpolitik. Zudem ergeben sich daraus auch Abhängigkeiten. Die Unternehmensgröße und gegenseitigen Verflechtungen haben bereits in der großen Wirtschaftskrise dazu geführt, dass der Staat und somit der Steuerzahler, Banken stützen mussten. Parallelen zur Gegenwart sind unübersehbar oder frei nach dem Motto: Alles schon mal dagewesen.
Rezension von Christoph Tigges