Sucht der interessierte Leser in älteren Wirtschaftslexika nach dem Begriff Corporate Governance, so wird er nicht fündig. Erst seit etwa Mitte der 90er Jahre ist der aus dem angelsächsischen Sprachraum stammende Begriff auch in Deutschland einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Dieser Umstand ist dadurch zu erklären, dass sich Unternehmen in der Vergangenheit verantwortungsvoller verhalten haben. Das Wohl des Unternehmens, eine verantwortliche und auf Wertschöpfung ausgerichtete Leitung und Kontrolle des Unternehmens, war wichtiger als das persönliche Wohl oder Gewinnstreben. Um ein einfaches Beispiel anhand einer Aktiengesellschaft zu nennen: Vorstände erlauben sich üppige Gehälter oder teure Firmenwagen, von denen sie zwar selbst profitieren, die jedoch damit die Dividende oder den Aktienkurs der Gesellschaft belasten. Es ist nicht verwunderlich, dass in den USA schon lange nach Wegen gesucht wird, um den Konflikt zwischen Principal (Eigentümer) und Agent (angestellter Manager) besser in Einklang zu bringen.
Vor allem in den vergangenen Jahren wurde das Vertrauen von Anleger in die Kapitalmärkte nachhaltig beeinträchtigt. Enron oder Flowtex seien hier nur stellvertretend als zwei Beispiele genannt. Andererseits hat die Intensität des internationalen Wettbewerbs zugenommen. Investoren sind nicht mehr bereit, ihr Kapital in Unternehmen zu investieren, in denen Unternehmenskennzahlen aus ihrer Sicht ungenügend publiziert werden. Weiterer wichtiger Maßstab für eine positive Investitionsentscheidung ist das Vorfinden einer guten Unternehmensführung und -überwachung. So ist nicht überraschend, dass auch in Deutschland Bestimmungen eingeführt wurden um das Ziel der besseren Unternehmensführung und -transparenz zu erreichen.
Das vorliegende Buch veranschaulicht prägnant die Entwicklung und rechtliche Ausgestaltung des Deutschen Corporate Governance Kodex. Der Autor fokussiert sich bei der Betrachtung auf einen Vergleich zwischen dem angelsächsischen Modell am Beispiel Großbritannien und demgegenüber dem deutschen Modell. Ein wesentlicher Unterschied in den zwei Modellen ist durch die unterschiedliche Unternehmenskonstitution gegeben. Auf der einen Seite das "Board", welches sich im Regelfall aus den "executive directors" und den "non-executive directors" zusammensetzt, wobei letztgenannte die Aufgaben der "executive directors" überwachen soll. An der Spitze der "executive directors" steht der CEO (Chief Executive Officer), das Board wird von einem Chairman geleitet. Zudem steht an der Spitze des Boards der CEO, der wiederum vom Board kontrolliert wird. In der Praxis wurde die Rolle des CEO und des Chairman von ein und derselben Person ausgeübt, was Ausgangspunkt späterer Debatten werden sollte. Viele rechtliche Bestimmungen sind eher vage und fußen auf Richterrecht oder Einzelfallentscheidungen. Ist das angelsächsische Modell eher monoistisch konstruiert, so entspricht die Struktur der Aktiengesellschaft in Deutschland eher dem dualistischen Prinzip. Hier der Vorstand und dem Vorhandensein eines Aufsichtsrats, der die Unternehmensführung kontrollieren soll. Als weiteres Element und zum Interesse der Arbeitnehmer die Mitbestimmung. Ferner sind aus Sicht des Autors viele Aspekte der Unternehmensführung und -kontrolle in Deutschland rechtlich bereits präziser formuliert als das eher interpretationsoffene britische Recht. Nur sind die deutschen Bestimmungen in unterschiedliche Regelwerke verankert, was das Verständnis nicht vereinfacht.
Der Autor verdeutlicht, dass die bestehende deutsche Unternehmensverfassung viele Regelungen der Corporate Governance enthält und bereits enthalten hat. Ob der Kodex, der mittlerweile mehreren Überarbeitungen unterzogen wurde, die gesetzten Ziele tatsächlich erfüllen vermag, ist Gegenstand der Untersuchung dieser Arbeit.
Aus Sicht des Autors besteht ein Kommunikationsproblem, die bereits vorhandenen nationalen Regelungen den ausländischen Kapitalmärkten zu vermitteln. Dem lässt sich entgegnen, dass das deutsche Gesellschafts- und Unternehmensrecht vielen ausländischen Investoren zu kompliziert und nicht vermittelbar ist. Weitere Differenzen sind in kulturellen Gegebenheiten zu finden sowie der mikroökonomische Interessensverlagerung hin zum "Shareholder Value" und weniger zum "Stakeholder Value".
Wer eine fundierte Darstellung über die Entwicklung des Corporate Governance Kodex, deren rechtliche Ausgestaltung sowie einen Vergleich mit dem angelsächsischen Modell sucht, wird in dieser empfehlenswerten Publikation fündig.
Autor der Rezension: Christoph Tigges