Die Anforderungen an den Aufsichtsrat sind vielfältig und anspruchsvoll und lassen sich doch relativ einfach in einer Formel zusammenfassen: "Sie/er muss überwachen können." Doch wie werde ich eigentlich professioneller Aufsichtsrat? Wie die Autoren in ihrem Vorwort korrekt ausführen, wachsen diese nicht auf den Bäumen. "Und Radfahren lernt man nur durch Radfahren und nicht durch das Bücherlesen über Radfahren. Was nutzen Managementerfahrung und die beste theoretische Ausbildung als Aufsichtsrat, wenn Unternehmen ihre (neuen) Aufsichtsräte nicht konsequent einarbeiten." Ein Aufsichtsrat braucht "unternehmerische Erfahrung", aber nicht um zu managen, sondern um ein Gespür dafür zu bekommen, wo in dem von ihm zu überwachenden (komplexen) Unternehmen die überwachungsrelevanten Informationen zu finden sind. Ein solches "Onboarding" für Aufsichtsräte ist international schon lange üblich und hat auch bei fortschrittlichen deutschen Unternehmen längst einen festen Platz auf der Agenda.
Der Aufsichtsrat ist ein nur in Ansätzen durch das Aktiengesetz staatlich regulierter Beruf, der – gleich dem freiberuflich tätigen Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Rechtsanwalt, Ingenieur oder Architekt – in unternehmerischer Eigenverantwortung ausgeübt wird. Die Zulassung zum Beruf erfolgt nicht durch staatliche Zulassungsbehörden, sondern durch die Eigentümer eines Unternehmens. Das bedeutet, jedes Unternehmen bekommt den Aufsichtsrat, den es verdient, weil seine Aktionäre sich diesen gewählt haben, so die Herausgeber in der Einleitung.
Wie auch bei anderen Berufsgruppen zeichnet sich auch ein Aufsichtsratsmitglied dadurch aus, dass sie sich bei ihrer Arbeit an bestimmten Grundsätzen und Selbstverständlichkeiten ausrichtet. Diese Grundsätze zu diskutieren und aufzuschreiben, hat sich der im Frühjahr 2012 gegründete deutsche Berufsverband der Aufsichtsräte, die Vereinigung der Aufsichtsräte in Deutschland e.V. (VARD), zur Aufgabe gemacht. Die VARD-Berufsgrundsätze sind ein in Europa bislang einmaliges Projekt, dem Profil des Aufsichtsrates und dessen Arbeit einen Rahmen in Form von Leitlinien zu geben – von Aufsichtsräten für Aufsichtsräte. "Wo Aufsichtsrat drauf steht, muss Aufsichtsrat drin sein." Dieser Satz gilt für alle Unternehmen mit einem Aufsichtsgremium – große, kleine, private, staatliche und kommunale; denn das Aktiengesetz kennt nur einen Typus Aufsichtsrat. Nur wann ist man Aufsichtsrat, wenn es kein entsprechendes Examen gibt? Als Antwort hört man – insbesondere in Deutschland – immer noch den Satz: "Ich bin als Aufsichtsrat gewählt, also werde ich das auch können; denn sonst hätte man mich sicher nicht gewählt. Warum soll ich mich also in Frage stellen? Aufgrund meiner Erfahrung weiß ich, worauf es ankommt."
Wen wundert es da, das deutsche Aufsichtsräte so gut wie ohne Fort- und Weiterbildung auskommen, so der Herausgeber Peter Dehnen in seiner Einführung zum Buch. Jedes Aufsichtsratsmitglied sollte sich daher die Frage stellen, ob man über das theoretische Wissen und das praktische Können verfügt, um die Geschäftsleitung eines (komplexen) Unternehmens systematisch und mit Methode zu überwachen? Diese Fragen kann nur beantworten, wer seinem Ist-Profil ein abstraktes Soll-Profil gegenüberstellt, ergänzt Peter Dehnen.
In §111 AktG steht der Kern dessen, was einen Aufsichtsrat ausmacht. Der Aufsichtsrat muss "überwachen" können. Was bedeutet "überwachen", und wie funktioniert es? Die Gesetze und der Kodex schweigen sich hier aus – und lassen Recht und Betriebswirtschaft im Wettstreit aufeinander treffen. "Überwachen" ist zunächst einmal das Gegenstück zu "die Geschäfte führen" und richtet sich an der Strategie sowie den Zielen und Werten des Unternehmens aus. Dabei beschreibt Überwachen nicht einen Punkt, sondern einen Prozess, der immer in einem Zusammenhang mit einer Unternehmensentscheidung (oder deren Unterlassung) steht. Stehen am Ende eines Überwachungsprozesses eine oder mehrere Überwachungsentscheidungen, so steht am Anfang eines jeden (Teil-) Überwachungsprozesses das Sammeln, Sortieren und Analysieren von (relevanten) Informationen, die sodann in eine gemeinsame Analyse und Diskussion im Rahmen des Aufsichtsgremiums einfließen. Wer überwachen will, muss also über relevante Informationen verfügen, sich eine eigene Meinung bilden und diese im Gremium vertreten können.
In der Einführung skizziert Peter Dehnen das Soll-Profil des professionellen Aufsichtsrats:
Basiskompetenz
- Persönlichkeit
- (Finanzielle) Unabhängigkeit
- Unternehmerische Erfahrung
- Grundkenntnisse über Corporate Governance
Fachkompetenz
- Kontrollkompetenz (Strategie, Unternehmensfinanzierung, Rechnungswesen, Rechnungslegung, Risikomanagement, Compliance, Unternehmenssteuern, Controlling)
- Teamkompetenz
Kompetenz im Gremium
- Spezialkenntnisse
- Branchenerfahrung
Ausgehend von den VARD-Berufsgrundsätzen ist der vorliegende Ratgeber "Der professionelle Aufsichtsrat" der erste Teil einer Trilogie. Vergleichbar dem Erlernen einer Sprache muss jedes Mitglied eines Aufsichtsrates die Grundthemen der Unternehmensführung aus der Überwachungsperspektive heraus beherrschen, so die Forderung der Autoren. Der fortgeschrittene Aufsichtsrat sollte daneben über Spezialkenntnisse verfügen, die zwar nicht jedes Mitglied des Kontrollgremiums vorweisen können muss, die jedoch – je nach strategischer Ausrichtung des Unternehmens und damit auch der Besetzung seines Aufsichtsgremiums – in ausreichender Zahl im Gremium vorhanden sein sollte.
Schließlich zeichnet sich der Könner unter den Aufsichtsräten dadurch aus, dass er diese Themen aus einer bestimmten Branchenperspektive beherrscht. In dem vorliegenden Band geht es um die Muss-Kompetenz des professionellen Aufsichtsrates.
Jedes Kapitel wird mit zehn Fragen eingeleitet, die jeder professionelle Aufsichtsrat beantworten können muss. Praxisnah wird anschließend jedes Thema (beispielsweise Risikomanagement oder Compliance) kompakt dargestellt. Hierbei lässt sich nicht vermeiden, dass relevante Themen lediglich kurz erwähnt werden. So werden weder unterschiedliche Risikomaße aus der Praxis (VaR, TVaR, RBC, ES etc.) vorgestellt, noch Methoden zur Identifikation und Bewertung von Risiken beschrieben. So wird dieses Basiswissen für die Aufsichtsratstätigkeit einer Banken, Assetmanagement-Gesellschaft oder Versicherung keinesfalls ausreichen. Ich hätte mir hier als Leser gewünscht, dass in den weiterführenden Literaturhinweisen branchenspezifische Publikationen zur Vertiefung des Wissens aufgeführt worden wären.
Fazit: "Der professionelle Aufsichtsrat" liefert grundlegendes Basiswissen, über das ein Aufsichtsrat heutzutage zwingend verfügen muss. Nach der Lektüre ist ein erstes Fundament gebaut, um ein Unternehmen professionell zu überwachen.