Ugo Bardis "Der Seneca-Effekt. Warum Systeme kollabieren und wie wir damit umgehen können" ist der 42. Bericht an den Club of Rome und somit Teil jener Serie an Berichten, die im Jahr 1972 mit den "Grenzen des Wachstums" begann.
Die Hauptaussage der "Grenzen des Wachstums" war, dass "die Ausbeutung der wichtigsten Rohstoffe und die wachsende Belastung durch Umwelt- und Luftverschmutzung zunehmend steigende Risiken für die Weltwirtschaft in der Zukunft verursachen" würde. Viele verstanden den Bericht so, als würde die Weltwirtschaft innerhalb weniger Jahrzehnte zum Stillstand kommen. Dies war allerdings nicht die Aussage der "Grenzen des Wachstums". Der Bericht stützte sich auf eine Perspektive von 50 bis 100 Jahren und legte darüber hinaus seinen Fokus auf die steigenden, physischen Auswirkungen des Wirtschaftswachstums – den ökologischen Fußabdruck – nicht auf Wachstum an sich. Tatsächlich ging es in diesem Buch in erster Linie darum, wie man Kollaps vermeiden und die Menschheit einen besseren, nachhaltigeren Weg für ihre Zukunft und die ihres Planeten einschlagen könnte. Der Club of Rome setzt sich bis heute genau dafür ein.
45 Jahre nach der Veröffentlichung des ersten Berichtes allerdings stellt sich die Frage danach, wie ökologische Krisen in der Zukunft verhindert werden können, leider nicht mehr. Heute geht es um die Frage, wie die Menschheit ihre Auswirkungen abschwächen und bewältigen kann. Die Vision der Mitglieder des Club of Rome bleibt nichtsdestotrotz dieselbe: eine bessere Zukunft für die Menschheit und den Planeten.
"Den Feind zu kennen ist der beste Weg, ihn zu besiegen", heißt es. Gleichermaßen gilt: Um die Auswirkungen eines Kollapses zu bewältigen, muss man verstehen wie er entsteht, sich entwickelt und auswirkt. Probleme, die uns in der Zukunft erwarten, einfach zu ignorieren ist hingegen kein vielversprechender Lösungsansatz, um sie zu vermeiden.
Das vorliegende Buch untersucht die Natur und Ursachen von Kollapsen, und zwar nicht, indem es Untergangszenarien herauf- beschwört – allerdings auch nicht durch die rosarote Brille exzessiven Optimismus. Dieses Buch macht keine Zugeständnisse an Ideologien, Politik oder falsche Hoffnungen. Es bedient sich viel- mehr der modernen Wissenschaft, um aufzuzeigen, dass Kollapse natürliche Phänomene sind, die vielfältige Ursachen haben und viele Formen annehmen können. Wir können dies in unserem Alltag beobachten, zum Beispiel wenn Gegenstände kaputt gehen, oder sogar bei Ereignissen großer Tragweite, etwa wenn ganze Zivilisationen zusammenbrechen.
Dieser Bericht bietet den Leserinnen und Lesern eine Fülle an Anekdoten, Einsichten und Fakten, mit einer bemerkenswerten, ganzheitlichen, analytischen Denkweise. Sie werden entdecken, dass Kollaps ein Kollektivphänomen ist, welches in (wie wir sie heute bezeichnen) "komplexen Systemen" auftritt; ein neues und faszinierendes Forschungsfeld, welches uns ermöglicht, die Welt um uns herum besser zu verstehen. "Der Seneca-Effekt" beschreibt praxisgerechte Wege und Lösungen, wie man Kollapse in komplexen Systemen vermeiden oder zumindest bewältigen kann. In bestimmten Fällen kann dies geschehen, indem die Bindeglieder, die ein System zusammenhalten, verstärkt werden. In anderen Fällen, indem man das System externe Schocks absorbieren lässt – und da- bei innere Parameter verändert, anstatt sie zu erhalten. Und für den Fall, dass ein Kollaps unvermeidlich ist, zeigt dieses Buch auf, wie man ihn nutzen kann, anstatt sich ihm zu widersetzen, wenn der einzige Weg, um das Alte loszuwerden, das Schaffen von Raum für das Neue ist.
In einer Welt wie der unseren, die sich mit einer Vielzahl an sozialen und ökologischen Herausforderungen konfrontiert sieht, ist es notwendig Kollaps zu verstehen. Während die Menschheit noch immer weiter wächst, wächst gleichzeitig die Notwendigkeit, bessere und effizientere Wege zu finden, die knappen Ressourcen unseres Planeten zu nutzen. Diese Herausforderungen sind schwierig zu bewältigen, weshalb ein besseres Verständnis davon, wie komplexe Systeme funktionieren, durch das wissenschaftliche Forschungsfeld der "Systemdynamik" dringend notwendig ist; auch hierzu leistet das Buch einen wichtigen Beitrag.
Ugo Bardis Buch ist aber nicht nur "praktisch" im Sinne von "nahe an der Realität und ihren Herausforderungen". Es hat außer- dem eine tiefere, philosophische Bedeutung, was ein weiterer Grund dafür ist, dass der Club of Rome es als Bericht akzeptiert hat. Der Titel "Der Seneca-Effekt" ist eine Hommage an den antiken Philosophen Lucius Annaeus Seneca (4 v. Chr. bis 65 n. Chr.), der die Theorie moderner Netzwerke und die Studien der "Systemdynamik" für sich entdeckte, obwohl er diese noch nicht als solche benannte. Seneca verstand die Notwendigkeit Veränderung und Wandel zu akzeptieren – anstatt sich in einem aussichtslosen Kampf gegen sie zu wehren. Dies ist der Grundsatz der stoischen Philosophie, frei nach Epiktet: "Was also ist zu tun? Das Beste machen aus dem, was in deiner Macht steht und den Rest so nehmen, wie er natürlich passiert." (Discourses, 1. Januar 2017)
Dies ist der Hauptgedanke dieses faszinierenden Berichts.
[Quelle: Vorwort der Co-Präsidenten des Club of Rome Ernst Ulrich von Weizsäcker und Anders Wijkman zum Buch "Der Seneca-Effekt, Warum Systeme kollabieren und wie wir damit umgehen können"]