Die Fähigkeit in vielen Unternehmen, Risiken professionell und adäquat zu managen, ist stark unterentwickelt, so Werner Gleißner im Vorwort des kompakten Buches "Der Vorstand und sein Risikomanager – Umgang mit Chancen und Gefahren der Unternehmensführung". Die jüngste Finanzkrise hat uns allen ausreichend Anschauungsmaterial geliefert. Risikomanagement liefert vor allem dann keinen Mehrwert, wenn Informationen aus dem Risikomanagement nicht adäquat bei unternehmerischen Entscheidungen berücksichtigt werden, gerade aufgrund des Fehlens notwendiger Kompetenzen im Risikomanagement. So stellt auf der einen Seite eine Risk-Map ein methodisch unsinniges "Malen nach Zahlen" dar. Auf der anderen Seite stehen mit Methoden wie der stochastischen Simulation oder den "Ornstein-Uhlenbeck-Prozessen" erprobte Werkzeuge für das Risikomanagement zur Verfügung, die aber in der Praxis noch zu selten zum Einsatz kommen.
Nun ist das provokante Büchlein, dass Entscheidern und auch Risikomanagern einen Spiegel vorhält, in einer überarbeiteten zweiten Auflage erschienen. Die bereits in der ersten Aufläge bewährte Dialogform zwischen Vorstand und Risikomanager wurde beibehalten.
Schmerzhafte Überraschungen gibt es in der Praxis der Unternehmen vor allem dann, wenn diejenigen, die den Durchblick haben sollten, einen vorab nicht über mögliche Hindernisse und Hürden informieren. Doch was in der Fliegerei zur Grundausbildung von Piloten und Kopiloten gehört, scheint in der Wirtschaft in Vergessenheit geraten zu sein: Das Niveau und der Reifegrad vieler Risikomanagement-Systeme ist mitunter so niedrig und methodisch auf Abwegen, dass einem, was die Qualität der Steuerung vieler Unternehmen angeht, bange werden kann. Die Mehrzahl der Risikomanagement-System basieren auf verbürokratisierten Ansätzen (Risikobuchhaltungsansätze zum Konservieren von Risikoinformationen, Risikokontroll-Matrizen, theoretische Risk Maps, nicht-wirksame Kontrollsysteme etc.). Der Gleichmut jener, die auf Basis dieser Vorlagen Entscheidungen treffen sollen, ist erschreckend. Dies war auch die Motivation von Werner Gleißner, das Buch "Der Vorstand und sein Risikomanager" in Dialogform zu schreiben. "Es gibt fachlich methodische Kenntnisdefizite, psychologische Barrieren sich mit dem unangenehmen Thema Risiko auseinander zu setzen und schlicht persönliche Eigeninteressen", so der Autor im Vorwort. Gleich vorab weist Werner Gleißner daher auch darauf hin, dass das Buch böse, pointiert und in vielen Aussagen unpopulär ist.
Die ersten zehn Seiten liefern eine kompakte Zusammenfassung der Grundlagen des Risikomanagements für Einsteiger. Der Rest des rund 160 Seiten starken Buches basiert auf einem Dialog zwischen dem Risikomanagement und dem Vorstand der Stettener Metallwaren AG, einem fiktiven Unternehmen.
Der Dialog ist thematisch breit gefächert. Der Leser wird auf eine Reise vom klassischen Risikoinventar beziehungsweise "Risikobuchhaltung", über das wertorientierte Management bis hin zum Capital-Asset-Pricing-Modell mitgenommen. Es wird hierbei deutlich, dass vor allem die Defizite in der Wahrnehmung und Bewertung von Risiken sowie beim adäquaten Entscheiden unter Berücksichtigung von Risiken der primäre Auslöser von Finanz-, Unternehmens- und Wirtschaftskrisensind. Menschen sind nicht in der Lage, Risiko und Ertrag intuitiv gegeneinander abzuwägen. Der fachliche und methodisch fundierte Ausbau des Risikomanagement ist jedoch – nach Ansicht des Autors – einerseits durch Kenntnisdefizite und eine einseitige Orientierung der Eigentümer an Renditezielen. Diese primäre Orientierung an der Rendite, ohne Beachtung der Risiken, führt zu einer einseitigen Auswahl risikobehafteter Geschäfte und impliziert zudem ein geringes Interesse, die heute noch recht schwach entwickelten Methoden von Risikoquantifizierung und Risikomanagement auszubauen. Will man die Wahrscheinlichkeit makro- und mikroökonomischer Krisen reduzieren und Unternehmen erfolgreicher aufstellen, muss der Ansatzpunkt bei der Verbesserung des Rendite-Risiko-Kalküls basierend auf einer methodisch fundierten risiko-, chancen- und damit wertorientierten Steuerung gesucht werden. Denn Gier und Risikoblindheit zusammen führen in ein Desaster, wenn nicht schieres Glück rettet.
In der aktualisierten zweiten Auflage hat der Autor aktuelle Entwicklungen, etwa im Bereich der internationalen Standards (ISO 31000 sowie COSO ERM) sowie in Bezug auf die Haftung eines Entscheiders basierend auf der "Business Judgement Rule" neu aufgenommen.
Die Veröffentlichung verfolgt nicht den Anspruch auf fachlich wissenschaftliche Exaktheit. In diesem Kontext verweist Werner Gleißner darauf, dass in vielen überidealisierten Modellen neoklassischer Prägung Risikomanagement keinen Platz hat. Denn diese Modelle werden dominiert von einer Welt ohne Insolvenzkosten, perfekt diversifizierte Portfolios, keine Finanzierungsrestriktionen und einen perfekt rational handelnden Homo oeconomicus. "Diese Gruppe der Wissenschaftler sollte zunächst beginnen, ihre Modelle etwas realitätsnäher zu gestalten.", so der Autor.
Leider haben sich im Band kleinere Fehler eingeschlichen, die im Korrektorat nicht aufgefallen sind. So ist auf Seite 17 unten eine Normalverteilung abgebildet (und keine Binomialverteilung) und auf Seite 18 oben eine Multinomialverteilung (und keine Normalverteilung). In einer dritten Auflage wäre es auch wünschenswert, wenn die Abszissenachse (x-Achse) und die Ordinatenachse (y-Achse) korrekt beschriftet würden. Und Abbildung 3 (eigentlich bei korrekter Zählung Abbildung 4) ist so gut wie nicht lesbar.
Das kompakte Buch von Werner Gleißner, Honorarprofessor an der Technischen Universität Dresden, leistet einen kleinen und wertvollen Beitrag, die Defizite im Risikomanagement sowie in der Unternehmenssteuerung zu beheben und einen höheren Reifegrad zu erzielen. Die Veröffentlichung wird einigen "Risikobuchhaltern" und Vorständen in der Praxis die Augen öffnen und voraussichtlich auch Bauchschmerzen bereiten. Doch es bleibt zu hoffen, dass die Lektüre dazu motiviert, das Steuerungsinstrumentarium zu verbessern, damit der nächste Reifegrad im Risiko- und Chancenmanagement beschritten wird. Risiken sind die Bugwelle des Erfolgs, sagt der deutsche Schriftsteller Carl Amery. Wer seine Chancen erkennen und nutzen will, muss unabdingbar und methodisch fundiert seine Risiken managen.