Bekannt wurde Peter L. Bernstein durch seinen Besteller "Against the Gods: The Remarkable Story of Risk”. Dort skizzierte er die Geschichte des Risikomanagements: Aus früherer Schicksalsgläubigkeit und Gottergebenheit wurde Risikomanagement. Aus Spiel wurde Investition, aus Schicksal Geschicklichkeit. In seinem neuen Buch "Die Entstehung der modernen Finanztheorie" bietet er nun seinen Lesern eine kurzweilige Geschichte der modernen Investment- und Finanztheorie. In den Anfängen der modernen Wall Street beschäftigte sich nur eine kleine Gruppe von Experten und "Quants" im Elfenbeinturm mit den stochastischen und innovativen Theorien im Bereich Risiko, Bewertung und Anlagerendite. Heute werden die modernen Methoden von Experten rund um den Globus angewendet und sind aus der modernen Finanz- und Kapitalwelt nicht mehr wegzudenken.
Bernstein weist in diesem Kontext darauf hin, dass Risiko im Zentrum der Finanz- und Kapitalmarktentscheidungen steht und Diversifikation der zentrale Erfolgsfaktor für erfolgreiche Investitionsentscheidungen ist.
Er skizziert – in einer sehr lebendigen Sprache – einige Treiber der modernen Kapital- und Finanztheorie, u. a. Bill Sharpe, Harry Markowitz und Myron Scholes bzw. Robert C. Merton, Andrew Lo, Robert Shiller. So lernen wir kleine Anekdoten über den französischen Mathematiker Louis Bachelier, der Anfang des 20. Jahrhunderts die Random Walk Theorie begründete, wonach alle Kursveränderungen im Wesentlichen reine Zufallsbewegungen sind. Bachelier gilt heute als Begründer der modernen Finanzmathematik und war als Zeitgenosse von Paul Lévy, Andrei Nikolajewitsch Kolmogorow und Émile Borel einer der Wegbereiter in der Theorie der stochastischen Prozesse. Bernstein besucht – gemeinsam mit dem Leser – den Nobelpreisträger Harry Markowitz, der die moderne Portfolio- und Kapitalmarkttheorie entwickelte und erstmals Methoden und Algorithmen zur Portfoliooptimierung erfand.
Wir lernen von William F. Sharpe, dass es gefährlich ist, wenn wir uns Risiken als Zahl vorstellen: "Das Problem, dem wir uns alle gegenübersehen ist, dass es viele Szenarien gibt, die in der Zukunft eintreten können." Sharpe weist darauf hin, das viele Praktiker und Wissenschaftler vergessen, dass es in allen Modellen zur Bewertung von Assets und Risiken um Erwartungen geht. Man kann nicht einfach einen Blick auf die Geschichte werfen und daraus viele Folgerungen anstellen, wie die Erwartungen gewesen sind – oder sein werden. Sharpe war Schüler von Markowitz und entwickelte dessen Modelle weiter. William F. Sharpe erhielt im Jahre 1990 gemeinsam mit Merton H. Miller und Harry M. Markowitz den Preis der schwedischen Reichsbank für Wirtschaftswissenschaften in Gedenken an Alfred Nobel für seine Forschungen auf dem Gebiet der Preisbildungstheorie im Kapitalmarkt. Bekannt wurde vor allem für die von ihm entwickelte "Sharpe-Ratio", eine Kennzahl zur Messung des Rendite-Risiko-Verhältnisses (Performance) von Kapitalanlagen. Wir begegnen Franco Modigliani und Merton Miller (auch beide Nobelpreisträger), die mit dem Modigliani-Miller-Theorem die moderne kapitalmarktorientierte Theorie der Unternehmensfinanzierung begründeten.
Bernstein zeigt auf eine sehr anschauliche und unterhaltsame Weise, wie die Beiträge jedes einzelnen Wissenschaftlers aufeinander aufgebaut und schließlich zur Entwicklung einer – mehr oder weniger – einheitlichen Theorie über Marktverhalten, Anlagerendite und Risikomanagement geführt haben. Bernstein ist vor allem ein begnadeter Geschichtenerzähler, der es versteht, durch eine strukturierte und anschauliche Darstellung, den Bogen von den Anfängen der "Capital Ideas" zur stochastischen Welt der modernen Kapital- und Risikotheorie spannt. Einziger Wermutstropfen ist, dass Bernstein vor lauter Geschichtenerzählen ab und zu den roten Faden verliert und den Leser etwas verwirrt zurücklässt. Fazit: Ein Lesevergnügen für jeden Kapitalmarkt- und Risikomanagement-Interessierten.
Rezension von Frank Romeike