Der Wunsch von Banken, institutionellen Anlegern und verschuldeten Kommunen die zukünftige Zinsentwicklung vorhersehen zu können ist verständlich und vergleichbar mit dem Wunsch vieler Privathaushalte die Lottozahlen vom nächsten Samstag zu berechnen. Beide Wünsche lassen sich wohl kaum erfüllen. Ungeachtet dessen forscht die Wissenschaft fleißig an Zinsstrukturmodellen. Von der Zinsprognose zur Ertragsmaximierung ist jedoch die wissenschaftliche Ermittlung von fairen Preisen für Zinsinstrumente zu trennen.
Harald Stoklossa erforscht in seiner Dissertation die vorhandenen Zinsstrukturtheorien in ihrem empirischen Kontext der Zinsentwicklung im EU-Währungsraum. Dabei untersucht er den Zusammenhang der Zinsstrukturen zu früheren Perioden, makroökonomischen Kennzahlen, Fristentransformation und zufälligen Einflüssen. Die Arbeit zielt jedoch nicht darauf ab die einzelnen Zinsstrukturmodelle aus der Wissenschaft detailliert zu erläutern, sondern vielmehr die Sensitivität der Zinsstrukturen gegenüber einzelnen Einflussfaktoren empirisch zu bestimmen. Im weiteren Verlauf der Arbeit entwickelt Harald Stoklossa eigene Erklärungsmodelle und ein Prognosemodell für zukünftige Zinsstrukturen.
Die Arbeit ist in acht Teile gegliedert. Nach den methodischen Grundlagen der Zinsstrukturtheorie und Erläuterungen zu unterschiedlichen Zinsstrukturkurven beginnt Stoklossa im dritten Teil zunächst mit den älteren Theorien der Zinsstruktur und erläutert im vierten Teil die Grundmodelle der Zinsstruktur. Der vierte Teil widmet sich den deterministischen Faktoren zur Zinsstruktur und bildet mit über 100 Seiten den umfangreichsten Abschnitt der Arbeit. Hierin erläutert Stoklossa unterschiedliche Theorien zur Zinsstruktur, von den Klassikern wie beispielsweise Schumpeter und Hayek beginnend bis hin zu risikoorientierten und außenwirtschaftlichen Erklärungsansätzen. Ausgehend von den bestehenden Theorien fasst Stoklossa diese in aussagekräftigen Thesen zusammen und unterwirft sie einer empirischen Prüfung. Dem Leser ermöglicht diese stark strukturierte Vorgehensweise einen schnellen Einstiegt in eine komplexe Materie. Die Thesen werden angereichert durch Zitate wichtiger Autoren früherer Werke zur Zinsstrukturtheorie. Letzteres gestattet der Arbeit trotz allem mathematischen und wissenschaftlichen Anspruch einen unterhaltsamen Anstrich.
Der sechste Teil widmet sich den Arbitrageprozessen und dahinter stehenden Theorien. Im siebten Abschnitt der Arbeit geht Stoklossa auf die Volatilität der Zinsstruktur ein und stellt alternative Modelle dazu vor. Die komplette Bandbreite von Short-Rate-Modellen, Vasicek, Cox/Ingersoll/Ross bis hin zu ARCH und GARCH-Modellen ist hier vertreten. Abschließend entwickelt der Autor im achten Abschnitt ein eigenes Erklärungs- und Prognosemodell zur Zinsstruktur auf Basis seiner empirischen Beobachtungen. Stoklossa kommt zu dem Ergebnis, dass neben den aktuellen Zinssätzen drei weitere Faktoren für die Prognose der zukünftigen Zinsstrukturkurve wesentlich sind. Namentlich sind dies die Kredite, Gewinnerwartungen (Europäern Sentiment Index ESIN oder STOXX) und der Konsum. Seine Untersuchungen bestätigen die Zinstheorien von Schumpeter und Hayek.
Das Werk von Stoklossa ist alles andere als eine leicht verdauliche Bettlektüre. Von den meisten anderen Werken zur Zinsstrukturtheorie unterscheidet es sich jedoch in angenehmer Weise durch seine empirische Ausrichtung. Konzeptionell ist es mehr der Volkswirtschaftslehre als der Betriebswirtschaftslehre zuzuordnen, d. h. im Klartext: Die unternehmerische Entscheidung über Anlage und Aufnahme von Kapital und Fristentransformation vermag es nicht zu stützen, wohl aber die empirische Validierung existierender Zinsstrukturtheorien. So richtet sich Stoklossa auch vorrangig an die Zielgruppe von Dozenten und Studenten der Wirtschaftswissenschaften mit den Schwerpunkten Kapitalmarkt/Finanzierung, Banken/Versicherungen u. ä. Dieser Anspruch ist berechtigt da das Werk von Stoklossa eine empirische Bereicherung der sonst ausschließlich theoretischen Abhandlungen zu Zinssturkturtheorien darstellt.
Rezension von Dr. Peter Hager