800 Jahre Krise – und was hat man daraus gelernt? Leider auch diesmal nicht besonders viel. Der Kern des "Dieses Mal ist alles anders"-Syndroms ist einfach. Er besteht in der festen Überzeugung, dass Finanzkrisen nur anderen Menschen in anderen Ländern und zu anderen Zeiten passieren; jetzt, hier und bei uns kann es keine Krise geben. Wir machen alles besser, wir sind klüger, wir haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Die alten Regeln der Bewertung haben ihre Gültigkeit verloren. Pure Selbstüberschätzung – wie uns eine Analyse der Ursachen und Verläufe der Finanzkrisen der vergangenen Jahrhunderte vor Augen führt.
Das Buch basiert auf einer quantitativen und historischen Analyse der Krisen aus acht Jahrhunderten. Daher entfallen von dem 571 Seiten starken Buch rund 200 Seiten auf Tabellenanhänge, Personen-, Sachregister und Literaturverzeichnis. Die Autoren weisen darauf hin, dass es wichtig sei, bereits bei der Definition der Merkmale einer Finanzkrise sowie der Methoden – quantitativ, wo möglich – zu beginnen. Daher beginnt das Buch mit einer Darlegung von Definitionen, Methoden und Ansätze der Datensammlung und -analyse.
Die Ökonomen Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart haben in ihrem Buch Hunderte von Finanzkrisen der letzten acht Jahrhunderte in über 66 Ländern analysiert. In sechs Teilen stellen die Autoren ihre Untersuchungsergebnisse vor. Der dritte Abschnitt beschäftigt sich mit Auslands- und Inlandsschuldenkrisen sowie Bankenkrisen. Der vierte Abschnitt widmet sich der US-Subprimekrise und zeigt eindrucksvoll die Parallelen zu den vorhergegangenen Kapiteln.
Die erste Staatsschuldenkrise ereignete sich ab dem Jahr 1340. Als Edward III. von England im Jahr 1340 nach einer Reihe von militärischen Niederlagen seine Schulden nicht zurückzahlte, erreichte diese Kunde in Windeseile die Stadt Florenz. Da die großen florentinischen Banken Edward hohe Geldsummen geliehen hatten, erlitt die florentinische Wirtschaft in der Folge einen "Bank-Run". So ging im Jahr 1343 die Peruzzi-Bank Pleite, im Jahr 1346 folgte die Bardi-Bank. England konnte sich von seinem Status als wiederholter säumiger Schuldner bis zur "Glorious Revolution" im Jahr 1688 nicht befreien. Diese Revolution führte zu einer substanziellen Stärkung der Macht des Parlaments. So entstand erstmalig eine sich selbst erneuernde Institution, die hinter den britischen Schulden stand.
Rogoff und Reinhart zeigen auf, dass sich allein in der Zeit seit 1800 rund 320 Staatsschuldenkrisen ereignet haben. Allein Frankreich kann zwischen 1558 und 1788 acht Staatsbankrotte verbuchen. Spanien kommt in dem Zeitfenster von 1557 bis 1647 auf sechs Staatspleiten. Damit widerlegen die Autoren die nicht selten anzutreffende These, dass Finanzkrisen vor allem ein Produkt der Gegenwart seien.
Welche Lehren liefert das Buch für die Gegenwart und die Zukunft? Die Autoren zeigen auf, dass es wohl in der menschlichen Natur liegt, dass wirklich schlimme Dinge nur den anderen passieren und nicht einem selbst. Wir vergessen, dass wir Regeln einhalten müssen, weil wir uns für schlauer halten als unsere Vorgänger. Erfahrungen werden vergessen beziehungsweise ignoriert. Stattdessen überzeugen wir uns nicht selten kollektiv davon, dass die alten Regeln nicht mehr gelten. Fazit: Es ist dieses Mal eben doch nicht anders.
Auch die Analyse der jüngsten Finanz- und Bankenkrise zeigt deutlich, dass viele Frühwarnindikatoren – vor allem in den Vereinigten Staaten – auf "Rot" standen. Das Leistungsbilanzdefizit, die Vermögenspreisinflation auf dem Immobilienmarkt sowie die Verschuldung der Haushalte waren extrem hoch. Doch die Warnsignale wurden nicht beachtet. In Konjunkturphasen, in denen alles gut läuft, haben wir die Tendenz zu sagen: Wir haben über den Konjunkturzyklus gesiegt – was aber eine Illusion ist.
Das Buch zeigt – basierend auf einer 800-jährigen Datenbasis – auf, dass Staatspleiten alles andere als seltene Ereignisse sind. Es gilt vielmehr das Satz: Es gibt nichts Neues, außer dem, was vergessen wurde.
In weiten Teilen liest sich das Buch leider eher wie eine wissenschaftliche Monografie (Zielsetzung und Zusammenfassung in jedem Kapitel etc.) und bietet dem Praktiker nur wenig Konkretes für den Aufbau eines präventiven Krisenmanagements. Trotz dieser Einschränkung liefert die Publikation wertvolle Erkenntnisse und dürfte sich in den nächsten Jahren als Standardwerk über Finanzkrisen der vergangenen 800 Jahre etablieren.
Autor der Rezension: Frank Romeike