Kennen Sie Sergey Aleynikov? Der Russe war Programmierer bei dem US-amerikanischen Investmentbanking- und Wertpapierhandelsunternehmen Goldman Sachs. Sergey Aleynikov hatte Teile einer Software für High Frequency Trading (HFT) auf einen Server in Deutschland und später von dort auf private Geräte kopiert. Für dieses Vergehen wurde er zu mehr als acht Jahren Haft und einer Geldstrafe verurteilt. In der Anklage ging es um drei Punkte: Diebstahl nach dem National Stolen Property Act, Wirtschaftsspionage sowie nicht autorisierter Zugriff auf Computersysteme.
Warum waren die Programme, die Goldman Sachs zum Hochfrequenzhandel einsetzte, so wichtig und gefährlich für die Finanzmärkte? Und wie kamen sie in die Hände eines russischen Programmierers, der erst zwei Jahre für Goldman Sachs arbeitete? Diese und weitere Fragen waren der Ausgangspunkt für das Buch "Flash Boys". In einem Hochhaus in der Nähe des World Trade Center fand Michael Lewis einige Antworten. Er unterhielt sich mit Experten aus allen Winkeln der Wall Street. Viele dieser Menschen hatten ihre hoch dotierten Jobs gekündigt, um der Wall Street den Krieg zu erklären, und das bedeutete für sie vor allem, genau das Problem zu bekämpfen, das der russische Programmierer im Auftrag von Goldman Sachs in die Welt gebracht hatte.
Im Laufe der vergangenen zehn Jahre haben sich die Finanzmärkte rasant verändert, doch unsere Vorstellung hat nicht mit dieser Revolution Schritt gehalten, so der Autor. Die meisten Menschen denken beim Stichwort "Börse" nach wie vor an Bildschirme mit Kurstickern und an das Börsenparkett mit fuchtelnden und schreienden Händlern. Seit dem Jahr 2007 schreit niemand mehr auf dem Parkett herum. An den Börsen arbeiten zwar noch Menschen, aber sie sind weder die Herren des Finanzmarkts, noch haben sie einen privilegierten Einblick in die Märkte. Heute findet der Aktienhandel in einer Black Box statt, genauer gesagt in Hochsicherheitsgebäuden in New Jersey und Chicago, so der Autor weiter. Was in dieser Black Box vor sich geht, ist schwer zu sagen. Über das, was in der Black Box passiert, dringen nur sehr unzuverlässige Berichte an die Öffentlichkeit – selbst Experten haben kaum eine Vorstellung vom Was, Wie und Warum. Tatsache ist, dass etwa vierzig Prozent der Börsengeschäfte, die auf der elektronischen Handelsplattform der Deutschen Börse getätigt werden, auf das Konto der Flash-Trader zurückgeht.
Wir halten uns gern an das alte Bild des Aktienmarkts, weil es so tröstlich ist, weil wir uns kein konkretes Bild von dem neuen Aktienmarkt machen können und weil die wenigen Menschen, die uns verraten könnten, was dort vor sich geht, kein Interesse an unserer Aufklärung haben. Das Buch von Michael Lewis will vor allem Transparenz in diese Black Box bringen.
Das Bild setzt sich aus einer Reihe von Puzzleteilen zusammen: von der Wall Street nach der Krise, von neuen Finanztricksereien, von unpersönlichen Computern, die zu Dingen verwendet werden, von denen selbst die Programmierer keine Ahnung haben, und von Menschen, die mit bestimmten Erwartungen an die Wall Street kamen, nur um festzustellen, dass sie ganz anders tickt, als sie angenommen hatten.
So handelt es sich beispielsweise beim Robotic Stock Trading um eine spezifische Art von Hochfrequenz-Handels, bei dem Wertpapiere innerhalb von Millisekunden gekauft und verkauft werden. Der Sekundenhandel basiert auf Orderinformationen, die sie gegen eine Gebühr Bruchteile von Sekunden früher als andere erhalten. "Frontrunning" nennen das die Börsenexperten. Diese zeitliche Differenz reicht aus, damit die Skalarrechner oder Vektorrechner eigene Orders um die entscheidende Millisekunde früher an den Markt schleusen können. "Absahnen im Nanosekundentakt" nennt das die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Und der britische "Economist" vergleicht die Vorgehensweise mit einem Lockvögel am Eingang eines Supermarkts, der die Kundschaft mit kostenlosen Probierhappen ködert. Und noch während der Kunde sich lobend äußert, wird der Preis für das Produkt im Laden erhöht.
Michael Lewis enthüllt in seinem Buch die manipulativen Methoden der Flash-Trader. Er zeigt, welche Auswirkungen der Hochfrequenzhandel hat und welch bizarre Praktiken er nach sich zieht. Lewis berichtet von Flash-Tradern, die ihre Rechner so nah wie möglich an den Börsen aufstellen, um Millisekunden im Vorteil zu sein. Er erzählt, wie Banken brillante, aber ahnungslose Programmierer für viel Geld anwerben und wie bereitwillig Unsummen für die schnellsten Glasfaserkabelverbindungen gezahlt werden.
Das Buch ist ein Insiderbericht über ein dunkles Segment des Finanzmarkts, das nach Ansicht von Lewis von schlauen Händlern gekapert und zu Zwecken missbraucht wird, die nichts mehr mit den Interessen der Anleger zu tun haben. So führt der Autor in einem in der "New York Times" veröffentlichten Artikel vom 31. März 2014 aus: "Der US-Aktienmarkt war nun ein Klassensystem aus Habenden und Habenichtsen, nur dass die Habenden nicht Geld hatten, sondern Geschwindigkeit (die zum Geld führte). Sie kauften sich Nanosekunden; die Habenichtse wussten nicht einmal, dass Nanosekunden einen Wert hatten. Die Habenden genossen den perfekten Marktüberblick, während die Habenichtse nie den wirklichen Markt sahen."
Wenn auch der rote Faden im Buch nicht immer erkennbar ist, so liefert das Buch doch eine spannende Geschichte eines äußerst komplexen Themas. Ein Ziel hat Michael Lewis in jedem Fall erreicht: Das Buch war Ausgangspunkt für eine kontrovers geführte Debatte über faire und unfaire Geschäftspraktiken der Nano- und Millisekundenhändler.
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Der Stapel mit den Rechtsstreitigkeiten wächst bei der Deutschen Bank weiter an. Wie aus dem Halbjahresbericht der Bank hervorgeht, haben US-Behörden nun auch Untersuchungen im Zusammenhang mit Hochfrequenzhandel gegen die Bank eingeleitet. Es gebe Auskunftsersuchen bestimmter Aufsichtsbehörden dazu, schreibt die Bank, die mit den Behörden kooperieren will. Zudem sei die Bank von einer Sammelklage in diesem Rahmen betroffen, bei der es um Verstöße gegen das US-Wertpapiergesetz gehe.
Damit steht die Deutsche Bank neben der UBS AG nun auch offiziell im Verdacht, im Hinblick auf Hochfrequenzhandel gegen Gesetze verstoßen zu haben. Die Schweizer Bank hatte in ihrem Quartalsbericht mitgeteilt, mit den Behörden bei deren Untersuchungen sogenannter "Dark Pools" kooperieren zu wollen. Dark Pools sind alternative Handelsplattformen, auf denen Wertpapiere außerhalb der Börsen gehandelt und Kauf- und Verkaufsaufträge der Kunden nicht offen gelegt werden.
Die US-Finanzaufsicht FINRA, die Börsenaufsicht SEC und die Generalstaatsanwaltschaft New Yorks, haben zahlreiche Banken wegen ihrer Dark Pools ins Visier genommen. So soll etwa Barclays Hochfrequenzhändlern im außerbörslichen Handels systematisch Vorteile verschafft und damit die Kunden getäuscht haben. Die UBS betreibt einen der größten Dark Pools in den USA.
Im zweiten Quartal legte die Deutsche Bank noch einmal 470 Millionen Euro für Prozesskosten zurück. Die Rückstellungen für Rechtsrisiken stiegen damit insgesamt auf 2,2 Milliarden Euro. Der Deutschen Bank hängen mehrere tausend Prozesse an, deren Ausgang ungewiss ist. Entsprechend fährt sie bei ihren Planungen auf Sicht und erhöht nach und nach die notwendigen Polster. Insbesondere in den USA kann die Deutsche Bank schwer einschätzen, was auf sie zukommt, angefangen bei dem Vorwurf der Marktmanipulationen und Verstößen gegen Sanktionen bis hin zu Hypothekenklagen. Zuletzt stand die Bank im Zusammenhang mit der Manipulation des Silberpreises in den Schlagzeilen.