Freakonomics ist kein Buch über Wirtschaft im klassischen Sinne. Aber was ist Wirtschaft? Wenn eine Gang von Drogendealern Buch über Einnahmen und Ausgaben führt, mit den wichtigsten Posten Ein- und Verkauf von Drogen, sowie Gehälter, ist die Beschäftigung damit dann ein Fall für die Wirtschaftswissenschaften? Oder sollten sich nicht eher Soziologie, Kriminologie oder sogar zuallererst Juristen mit diesem Thema beschäftigen? Sollte ein Wirtschaftswissenschaftler nicht lieber die Finger von solchen Themen lassen?
Dem US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Steven Levitt sind Skrupel fremd und obendrein bekannte er in einem Interview offen: „Ich bin kein guter Mathematiker, ich verstehe nicht viel von Ökonometrie, und ich weiß auch nicht, wie man Theorien aufstellt.“ Offensichtlich reicht seine Begabung aber zum Beginn aller Wissenschaft, nämlich Fragen zu formulieren und Hypothesen aufzustellen. Und seine wissenschaftliche Ausbildung hat ihn das Handwerk gelehrt, diese dann systematisch zu untersuchen.
Im Grenzgebiet von Wirtschaftswissenschaft, empirischer Sozialforschung und Kriminologie geht der Autor einer Reihe von Fragen nach, die sich vor ihm kaum jemand gestellt hat. Wird beim Sumo betrogen? (Levitt meint ja, und provozierte damit natürlich die japanische Gesellschaft.) Soll man sein Kind lieber mit einem Nachbarkind spielen lassen, das einen Pool im Garten hat, oder mit einem Kind, dessen Eltern eine frei zugängliche Waffe im Haus haben? (Der Pool ist gefährlicher.) Was passierte in dem Kindergarten, der für verspätetes Abholen der Kinder eine Gebühr einführte? (Die Zahl der Verspätungen stieg.)
Warum fälschten Lehrer im Raum Chicago massenhaft die Vergleichsarbeiten ihrer Schüler? Und wie konnte man den Betrug nachweisen? Verweilen wir kurz bei dieser Fragestellung. Schulen und Lehrer hatten ökonomische Anreize bekommen, gute Ergebnisse ihrer Schüler vorweisen zu können. Das war der Grund für den Betrug. Schwieriger war es, nachzuvollziehen, wie Lehrer die Ergebnisse ihrer Schüler fälschen konnten. Wesentlich für das Gelingen war, dass Multiple-Choice-Aufgaben verwendet wurden und die Schüler mit Bleistift schrieben. Seine minutiöse Schilderung über die Aufdeckung des massenhaften Betrugs liest sich fast wie ein Krimi.
Levitt selbst lehnt es ab, ein Thema zu haben, aber gemeinsam ist fast allen Fällen immer die Frage, wie ökonomische Anreize das Verhalten einzelner und ganzer Gruppen beeinflussen. Häufig stehen ökonomische Anreize im Gegensatz zu sozialen Anreizen und können kontraproduktiv wirken. Das ist, wie betont, spannend zu lesen und im übrigen auch flüssig, denn der Journalist Stephen Dubner hat als Co-Autor die Erkenntnisse Levitts leicht verdaulich gemacht.
Der Rezensent hat das Buch mit großem Vergnügen als Urlaubslektüre kennen gelernt. Es als solche weiter zu empfehlen ist jetzt zu spät, aber der Herbst lockt mit langen trüben Abenden, an denen das Buch die Stimmung aufhellen wird.
Rezension von Jürgen Braatz, Ratingswissen