Kreditrisiken sind im Bankensektor flächendeckend die dominate Risikoart. In der Regel benötigen Banken mehr als 98% ihres aufsichtsrechtlichen Risikokapitals für die Deckung von Kreditrisiken. Die traditionell viel besser erforschten Marktrisiken spielen demgegenüber eine untergeordnete Rolle.
Die Banken konnten ihr Repertoire an Methoden des Kreditrisikomanagements in den letzten Jahren jedoch deutlich aufrüsten. Ermöglicht wurde dieser Fortschritt in erster Linie durch wesentlich verbesserte Informationstechnologie, die heute die Institute in Stand setzt über die Gesamtbank markt-, kunden- und geschäftsbezogene Daten zu erheben und auszuwerten.
Das Instrument für quantitative Analysen ist die Statistik. Sie kann das Expertenwissen der Vergangenheit ergänzen durch methodisch begründete Messungen. Dies ist der Punkt, an dem die Autoren Hending, Bluhm und Fahrmeier einsetzen. Sie wenden sich an Bankpraktiker ebenso wie an Studenten und setzen sich das Ziel in die quantitativen Methoden des Kreditrisikomanagements einzuführen. Sie greifen hierbei eine Vielzahl grundlegender Fragen auf, die oft einfach zu beantworten sind, aber große Schwierigkeiten bereiten, wenn sie unbeantwortet bleiben.
Dies beginnt mit der Klärung von Begriffen. So wird etwa der Value at Risk oft als der “maximale“ Verlust missverstanden, der mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintritt. Dabei ist es faktisch genau umgekehrt: der Value at Risk ist der minimale Verlust, der mit einer vorgegebenen Wahrscheinlichkeit nicht überschritten wird. Der kleinste deshalb, weil man mit möglichst sparsamen Mitteln Risikomanagement betreiben möchte, hier z.B. in Form von Eigenkapitalunterlegung, aber dennoch ein vorgegebenes Sicherheitsziel erreichen will. Man möchte u.U. 99.9% sicher sein, dass das Eigenkapital die Verluste aus dem Portfolio decken kann. Die Antwort auf die Frage nach dem notwendigen, aber möglichst kleinen Betrag gibt der Value at Risk.
Die Autoren versuchen Konzepte nicht primär abstrakt einzuführen. Sie zeigen ihren Sitz im Leben auf und stellen die Gedankengänge dar, die zu der Formulierung gewisser Fragestellungen geführt haben. Es wird dadurch für den Leser deutlich vereinfacht, überhaupt erst einmal einen Zugang zu der Thematik zu finden.
Dennoch haben sich die Autoren auch für einen sehr umfassenden allgemeinen mathematischen Teil entschieden, der alles in allem sogar die Hälfte des ganzen Buches ausmacht. Diese Entscheidung fördert die Geschlossenheit des Buches, liefert aber nur relativ wenig Informationen, die in anderen Lehrbüchern zum Thema Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik nicht vorkommen. Sie ist vielmehr dadurch motiviert, die mathematischen Grundlagen mit einem Minimum an Formeln darzustellen. Dieses Minimum wird der Erfahrung nach aber immer noch viele Leser, die keine Affinität für Mathematik in sich spüren, erschauern lassen.
Sind diese Hürden einmal genommen, gelangen die Autoren zu den Themen, zu denen sie eigentlich vordringen wollen. Obwohl der Titel des Buches allgemein „Kreditrisikomessung“ lautet, geht es hierbei ausschließlich um Kreditportfoliomodelle und Scoringverfahren.
In beiden Bereichen erhält der Leser auf jeweils ca. 50 Seiten einen akkurat geschriebenen Überblick über die in den Banken am meisten diskutierten Verfahren. Dies sind für die Portfoliomodelle das Firmenwertmodell einschließlich des Ein-Faktor-Modells, das für Basel 2 die entscheidende Rolle gespielt hat, und Credit Risk+. Bei den Scoringmodellen ist es in erster Linie die logistische Regression. In die Fragen, die sich darum ranken, wie Modellansätze, Schätzungen und Validation wird jedoch allgemein eingeführt.
Leser, die einen Zugang zu Portfoliomodellen und Scoringverfahren suchen und sich einen ersten Überblick verschaffen möchten, werden hier voll auf ihre Kosten kommen. In deutscher Sprache gibt es wenig, das so verlässlich ist und gleichzeitig transparent geschrieben. Ideal wäre es, wenn diese beiden Teile als Aufsätze zur Verfügung stünden, zumal gerade diese Abschnitte unabhängig von der umfassenden mathematischen Einführung Sinn manchen und allein gelesen werden können.
Wer sich für andere Bereiche der Kreditrisikomessung interessiert, wie etwa die Schätzung des Exposures at Default von Derivaten, für Risikoprämienkalkulation, für die Bewertung von Kreditderivaten oder für Netting, wird in dem Buch gar keine Informationen finden.
Den Autoren ist es gelungen zu der von ihnen gewählten Schwerpunktsetzung Kreditportfoliomodelle und Scoringverfahren einen didaktisch sehr weit aufbereiteten Text zu liefern, der für Bankpraktiker und Studierende gleichermaßen geeignet ist, sich in diese Themen einzuarbeiten. Das Buch ist auf diesem Hintergrund uneingeschränkt zu empfehlen.
Inhaltsverzeichnis:
- Motivation für eine quantitativ ausgerichtete Kreditrisikomessung.
- Grundlegende Begriffe.
- Kennzahlen und Verteilungsmodelle.
- Wichtige Werkzeuge zur Bestimmung der Verlustverteilung.
- Stochastische Prozesse.
- Portfoliomodelle.
- Scoremodelle.
- Ausblick: Grundelemente des Kreditportfoliomanagements.
- Notation; Ereignisse; Herleitung von Momenten ausgewählter Verteilungen; Regression; Erzeugende Funktionen; Spezielle Funktionen.
Probekapitel zum Download:
Rezension von Dr. Uwe Wehrspohn