Die erste Auflage von "Narren des Zufalls" erschien im Jahr 2001 und wurde bis heute in 17 Sprachen übersetzt. In der nun vorliegenden zweiten Auflage wurden die meisten Kapitel um neues Material ergänzt und aktualisiert, wodurch der Leser um mehr als ein Drittel Papier kauft. In der zweiten Auflage konzentriert sich Taleb noch stärker auf die Frage, warum und wie sich Menschen vom Zufall narren lassen.
Hierzu gleich ein Beispiel: Wenn man eine unendliche Anzahl von Affen an Schreibmaschinen setzt und sie darauf herumhämmern lässt, wird mit absoluter Sicherheit einer irgendwann eine buchstabengetreue Version von Homers Ilias geschrieben haben. Die Wahrscheinlichkeit ist sicherlich äußerst gering, dass jemand auf eine solch verrückte Idee kommt. Aber denken Sie nun an den nächsten Schritt: Nachdem dieser Affe gefunden wurde, würden viele ihr gesamtes Vermögen darauf wetten, dass dieser nun auch die Odyssee schreibt. Häufig dienen Leistungen und Geschehnisse aus der Vergangenheit als Grundlage für Prognosen in die Zukunft. Auf die Börse übertragen ist sich Nassim Nicholas Taleb sicher: Niemand wird Börsenkurse auch nur annähernd prognostizieren können. Wir können noch nicht einmal Wahrscheinlichkeitsaussagen hierüber treffen. Taleb ist der Meinung, dass es oft nicht Intelligenz oder gezielte Strategien sind, die den Erfolg an den Finanzmärkten ausmachen. Eher sind es wohl pures Glück und der der Zufall, der fälschlicherweise für Geschick gehalten werden.
Nach Taleb entstehen an den Finanzmärkten vielmehr Anomalien, die auf den Irrationalitäten der Marktteilnehmer basieren. Die neue Forschungsrichtung über die Anomalien an den Finanzmärkten heißt "Behavioral Finance", die Ökonomie und Psychologie verbindet. Sobald sich ein Anleger auf das rutschige Börsenparkett wagt, wird er von zwei entscheidenden Emotionen beeinflusst: Angst und Gier. Taleb beschreibt moderne Konzepte wie "Survivor Bias" und skizziert Methoden von Daniel Kahneman (Nobelpreis 2002), Robert C. Merton (Nobelpreis 1997) oder Amos Tversky (Nobelpreis 2002) auf eine sehr unterhaltsame Art. Aber auch der Wissensphilosoph Karl Popper, der griechische Held Odysseus, Solon, der weiseste Mann der Antike und der Finanzexperte George Soros kommen in dem Buch vor.
Das Buch begleitet den Leser auf interdisziplinäre Ausflüge durch die Psychologie, Philosophie, Mathematik, Ökonomie und Literatur. Der Leser wird nicht mit langen theoretischen Formulierungen gelangweilt, sondern vielmehr auf eine faszinierende und unterhaltsame Reise durch die Landschaft der Finanzmärkte mitgenommen.
Und auch der Themenkomplex des Risikomanagements wird nicht ausgelassen: Taleb führt aus, dass Wirtschaftsunternehmen und Finanzinstitute in der letzten Zeit die merkwürdige Position eines Risikomanagers geschaffen haben, der über die Organisation wachen und sicherstellen soll, dass sie nicht zu viel russisches Roulette spielen. Nach Taleb hat sich in der letzten Zeit der Schwerpunkt der Risikomanager dahin verlagert, durch vage formulierte interne Mitteilungen schützen, die vor der Risikoübernahme warnen, sie aber nicht völlig verurteilen. Risikomanager werden nach Lektüre des Buches verstehen, wie man trotzdem mit den richtigen Mitteln das Risiko des Misserfolgs reduzieren kann.
Seien Sie also vorsichtig, wenn ein Freund ihnen vorprahlt, dass es mit einer cleveren Strategie und Intelligenz Erfolg an der Börse hatte. Wahrscheinlich wird hier Fähigkeit mit Glück, Wissen mit Glauben, Realität mit Theorie und Bestimmung mit Zufall verwechselt.
Nach Taleb gibt es keine Faustregel für schnellen Reichtum.
"Narren des Zufalls" ist auch in der zweiten Auflage eines der faszinierendsten Bücher, die ich in den vergangenen Jahren rund um Finanzmärkte gelesen habe. Taleb unterhält den Leser und baut immer wieder Brücken von der Finanzwelt in unser tägliches Leben. In der überarbeiteten Auflage stören auch keine fehlerhaften Übersetzungen der englischen Originalausgabe mehr.
Mein Tipp: Unbedingt lesen, bevor sie ihr nächstes Börsenengagement eingehen oder ihren Erfolg auf eine besondere clevere Strategie zurückführen. Denn: Moderater Erfolg lässt sich durch Fähigkeiten und Fleiß erklären. Stürmischer Erfolg ist auf Varianzen zurückzuführen.
Über den Autor:
Nassim Nicholas Taleb ist Professor für Ungewissheit an der University of Massachusetts in Amherst. Er studierte an der Wharton School und promovierte an der Universität von Paris.
Taleb ist ausserdem Gründer und Leiter des Trading-Unternehmens Empirica Capital LLC und war als Börsenhändler in New York, Chicago und London tätig.