In seiner Einleitung weist Autor Cmiel darauf hin, dass die vergangenen Jahre für Börsen- und Wirtschaftsinteressierte mehr zu bieten hatten, als sich irgendjemand in seinen kühnsten Träumen vorstellen konnte: Ein französischer Börsenhändler verzockte fast fünf Milliarden Euro, die Rohstoffpreise entwickelten sich zu Jahresbeginn nahezu explosionsartig und brachen zum Ende 2008 wieder deutlich ein. Die Indizes gaben im Jahresverlauf mehr als fünfzig Prozent ab, und die Aktienkurse sprangen über Monate willenlos munter hin und her. Mehrere Banken brachen zusammen, das Modell der Investmentbanken verschwand von der Bildfläche, und ausgerechnet die angelsächsischen Staaten verstaatlichten ihre Geldinstitute teilweise zuerst. Der Börsenwert eines Automobilherstellers in Deutschland stieg binnen weniger Tage auf das Fünffache, wodurch das Unternehmen für wenige Minuten zur wertvollsten Firma der Welt aufstieg.
Der Wirtschaftsjournalist Cmiel ist sich sicher, dass sich Privatanleger in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten auf ein unsicheres Finanzklima einstellen sollten. Hierzu gehört – so der Autor – auch eine kritische Analyse der Wirtschaftsberichterstattung. "Denn die Finanzbranche unterhält nicht nur das größte Spielkasino der Welt, sondern auch die wirkungsvollste Maschinerie zu Beeinflussung."
Die Finanzmarktkrise führte im Jahr 2008 zu einer massiven Korrektur der Aktienmarktpreise. Etwa die Hälfte der Aktienmarktbewertung wurde während des Jahres 2008 vernichtet. "Anleger wurden in mehreren Etappen schlagartig daran erinnert, dass Aktien Risikopapiere sind", so Cmiel. Nach Ansicht des Autors reichen zur Erklärung die üblichen fundamentalen Analysemuster nicht mehr aus. In diesem Kontext weist der Autor darauf hin, dass die Märkte vor allem falsch reguliert seien: Auf der einen Seite sind hierzulande sehr hohe Auflagen in formaler Hinsicht vorhanden. "Aber: Jede Bank darf mit ihrer Lizenz so ziemlich jedes ökonomisch fragwürdige Produkt auf den Markt bringen und auf übergeordneter Ebene sogar unsinnig hohe Risiken eingehen."
Hierbei weist Cmiel auch darauf hin, dass eine übertriebene Fokussierung auf die Effizienz der Märkte viele Marktteilnehmer – unter anderem auch Ökonomen – die Folgen grenzüberschreitender Risikoübernahmen nicht ausreichend erkannt haben. Seit dem Jahr 1990 sind die globalen Kapitalströme von 1.100 Milliarden US-Dollar auf 11.200 Milliarden US-Dollar im Jahr 2007 um mehr als das Zehnfache gewachsen. "Gut die Hälfte dieser Kapitalstrome ist inzwischen auf grenzüberschreitende Kreditgeschäfte in unterschiedlichen Verpackungen zurückzuführen."
Daher plädiert der Autor dafür, dass Aufsichtsbehörden und Notenbanken zukünftig ein Phänomen stärker im Fokus haben sollten: "Geschäftsbanken und Finanzinstitute schaffen im System inzwischen selbst Geld und pumpen die Blasen der Wertillusionen bei Anlegern durch ihre Instrumente und Vertriebsorientierung immer weiter auf. Die Zentralbanken sehen dem Treiben interessiert zu und scheinen bis heute nicht zu bemerken, dass sie die Kontrolle über das Gesamtsystem langst verloren haben."
Dabei wäre zur Krisenprävention bei Bankmanagern, Politikern und sonstigen Akteuren nicht einmal besonderer Sachverstand oder eine höhere Moral notwendig gewesen, so der Autor. Die Absurditäten des Systems erkennt, wer seinen gesunden Menschenverstand einsetzt und sich nicht von seinem Umfeld oder medialen Begleitgeräuschen von diesem Pfad abbringen lässt. Die Katastrophe des Finanzmarktjahres 2008 war absehbar. Lediglich der genaue Zeitpunkt war nicht vorherzusagen.
Das Buch "Neue Spielregeln für das Finanzkasino" beschäftigt sich nicht – wie der Titel möglicherweise vermuten lässt – mit der zukünftigen Regulierung der Finanzmärkte. Vielmehr sollte – so der Autor – den jüngsten Finanzmarkt-Crash als Chance begreifen und aus den weltweit gemachten Fehlern lernen. Dazu gehört in erster Linie: Spekulation sollte nicht auf Kredit erfolgen. Dieses solide Grundprinzip missachten Banken selbst: Solch eine Vorsicht ist aus ihrer Sicht nur für Private und Unwissende angebracht. Die Eigenanlage beginnt bereits mit der Bereitschaft, Finanzprodukte verstehen zu wollen: "Schließlich schauen die Konsumenten auch auf die Zutatenliste eines Joghurtbechers oder die technischen Angaben in einem Autowerbeprospekt." Warum soll das nicht auch bei Finanzprodukten der Fall sein? Deutschland braucht keine Aktienkultur, sondern einen kritischen Umgang mit dem Treiben der Finanzindustrie, so der Autor.
Zum Verstehen der Produkte hilft Anlegern vor allem der gesunde Menschenverstand oft besser weiter als Verkäuferwissen über Details und mathematische Formeln. Denn die Finanzmarkte und Börsenkurse verhalten sich dauerhaft ohnehin nicht so, wie plausibel klingende Modellrechnungen Glauben machen sollen. Fazit: Ein gut geschriebenes und lesenswertes Buch mit vielen korrekten Beobachtungen über Zahlengläubigkeit und unzureichende Risikomanagement-Methoden.
Rezension von Dr. Anette Köcher