Versicherungsbetrug gilt vielfach als Kavaliersdelikt. Im Bereich der Sach-, Haftpflicht- und Kfz-Versicherung kommen Schätzungen in fast allen Industrieländern zu dem Ergebnis, dass rund zehn Prozent aller Schadenmeldungen betrügerisch sind. In einigen Versicherungssparten wird ein Anteil sogar von 50 Prozent angenommen. Doch existiert noch eine andere Perspektive. In den letzten Jahren rückt jedoch vor allem der interne Betrug durch Mitarbeiter stärker in den Mittelpunkt. Die Gründe hierfür glauben die Herausgeber des Prüfungsleitfaden Fraud in Versicherungen gefunden zu haben. Auf der einen Seite haben in der Folge zahlreicher Kostensenkungsprogramme viele Mitarbeiter in der Assekuranz ihren Arbeitsplatz verloren, der lange Jahre als sicher galt. Damit einher geht eine zunehmende Verunsicherung der aktiven Mitarbeiter, die sich in einer verminderten Loyalität niederschlagen kann. Aus Sicht der Herausgeber bietet das wiederum einen idealen Nährboden für internen Betrug. Auf der anderen Seite behindern die Komplexität und Schnelligkeit moderner Geschäftsprozesse, der Wettbewerbsdruck, der Transparenzverlust und der Einsatz elektronischer Übermittlungswege effektive Kontrollen und begründen damit betrügerische Handlungen. In diesem Kontext gehören wirtschaftskriminelle Handlungen zu den größten operationellen Risiken in der Versicherungswirtschaft.
Hieraus leiten die Autoren ab, dass vor allem die Interne Revision, durch ihr umfassendes Wissen über Prozesse und Kontrollen, einen wichtigen Beitrag zur Früherkennung und damit letztlich zur Prävention von Wirtschaftskriminalität leisten kann. Die Publikation ist in vier Kapitel aufgeteilt: Das erste Kapitel enthält eine Liste der wichtigsten Früherkennungsindikatoren für dolose Handlungen. Im zweite Kapitel werden detaillierte Risikomatrizen für verschiede nicht-versicherungstechnische Unternehmensbereiche vorgestellt. Schließlich konzentriert sich das dritte Kapitel auf ein Vorgehensmodell für die Prüfung doloser Handlungen. Das vierte und letzte Kapitel stellt dem Leser eine vierphasige Checkliste – basierend auf dem zuvor beschriebenen Vorgehensmodell – für die Prüfung doloser Handlungen zur Verfügung.
Viele der in Kapitel 1 aufgeführten Frühindikatoren dürften bei korrekter Einordnung eher zur Kategorie der Spätindikatoren gezählt werden (beispielsweise Informationen aus Medienberichterstattung). Bei anderen Indikatoren ist eine Korrelation zu wirtschaftskriminellen Handlungen nur indirekt erkennbar (beispielsweise Sponsoring). Insgesamt basieren die meisten Indikatoren – die in die Kategorien Aufbau- und Anlauforganisation, Unternehmenskultur, Mitarbeiterumfeld und Vermittlerumfeld – schlichtweg auf einem "gesunden Menschenverstand". Das Negativinformationen von der AVAD, eine negative Wirtschaftsauskunft, ein Insolvenzverfahren bei einem Vermittler, die Vortäuschung der Versicherungsfähigkeit durch zweideutige bzw. ungenaue Angaben im Antrag oder eine überproportionale Anzahl von Kundenreklamationen wesentliche Frühwarnindikatoren für potenzielle Fraud-Fälle darstellen, ist weder für einen Experten im Bereich Interne Revision noch eine gute Führungskraft besonders überraschend.
Für die praktische Arbeit bieten die in Kapitel 3 enthaltenen Checklisten einen guten Überblick über die wichtigsten Punkte, die bei Eingang eines Hinweises auf eine mögliche dolose Handlung und bei einer anschließenden Prüfung zu berücksichtigen sind. Das skizzierte, idealtypische Vorgehensmodell zur Prüfung doloser Handlungen basiert auf einem Vier-Phasen-Modell. Die erste Phase konzentriert sich auf die Entscheidung über eine Prüfung, die zweite Phase auf eine Validierung des Anfangsverdachts, die dritte Phase auf eine Rehabilitierung bzw. Beweisführung und die dritte Phase schließlich auf eine Geschäftsprozessanalyse. Die einzelnen Aktivitäten und Meilensteine sind im Detail beschrieben, so dass für die praktische Arbeit der IR eine Art Fahrplan zur Verfügung gestellt wird.
Mit dem kompakten Büchlein bieten die Autoren einen Praxisleitfaden für das Erkennen von dolosen Handlungen in Versicherungsunternehmen. Wünschenswert wäre aus meiner Sicht – als eher präventiv denkender und handelnder Risikomanager – ein einführendes Kapitel zur (proaktiven) Prävention von dolosen Handlungen im Unternehmen, beispielsweise durch eine gute Unternehmenskultur, transparente und klare Prozesse, eine adäquate Dokumentation, eine klare Funktionstrennung oder eine moderne IT-Infrastruktur.
Außerdem sollten in einer zweiten Auflage Begrifflichkeiten einheitlich verwendet (beispielsweise operative versus operationellen Risiken) oder zumindest definiert werden. Einige Leser werden sicherlich auch ein Glossar oder Verzeichnis vermissen, in dem Abkürzungen (IDEA, ACL AVAD, IKS etc.) erklärt werden.
Rezension von Frank Romeike