Unsicherheit bestimmt die Risikolandkarte. Günther Schmid, der zuvor im Bundeskanzleramt das Themenfeld internationale Sicherheitspolitik und globale Fragen verantwortet hat und eine Professur für Internationale Politik und Sicherheit innehatte, wurde beim letztjährigen RiskNET Summit deutlich: "Wir stehen vor einer historischen Zäsur", brachte es Schmid auf den Punkt und meint, dass wir inmitten einer Welt "ohne Weltordnung" stehen. Die geopolitischen Aussichten sind nicht gut, denn das Ende einer stabilen und uns wohlvertrauten Welt ist erreicht. Daraus folgt, dass die globale Architektur infrage steht. Mehr noch erleben wir eine Erosion des internationalen Systems mit einer zunehmenden Orientierungslosigkeit – auf lokaler, regionaler und internationaler Ebene. Und diese Zerfallserscheinungen haben nach Schmids Einschätzung massive Auswirkungen auf die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Prozesse der Staaten. Wie dramatisch die Lage ist, stellte Sicherheitsexperte Schmid klar: "Von 183 Staaten befinden sich nach Zahlen der Vereinten Nationen ein Drittel im Zerfall."
Welchen Mehrwert kann ein Risikomanagement in einer solch geopolitisch riskanten und düsteren Epoche überhaupt leisten? Bruno Brühwiler stellt daher in der Einleitung seines Grundlagenwerkes zum Risikomanagement die Frage, ob die Welt tatsächlich unsicherer geworden ist oder ob es am Menschen und seiner geschärften, subjektiven Risikowahrnehmung liegt. Es dürfte wohl beides zutreffen, wenn wir uns in der heutigen Zeit mit dem Risiko und dem Risikomanagement intensiver beschäftigen. Dabei stellt Brühwiler klar, dass das Buch die Welt nicht verbessern kann. Es beschäftigt sich jedoch eingehend mit dem Management von Risiken in öffentlichen Organisationen und privaten Unternehmen. Dabei handelt sich um einen Ausschnitt aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Und vielleicht stimmt es ja auch, dass viele kleine Leute in vielen kleinen Orten, die viele kleine Dinge tun, das Gesicht der Welt verändern können.
Organisationen und Unternehmen, die Ihre strategischen Ziele erreichen, ihre operationellen Tätigkeiten störungsfrei abwickeln und dabei die rechtlichen Anforderungen und die gesellschaftlichen Erwartungen erfüllen, können maßgeblich dazu beitragen, dass die Menschen ihre Welt, in der sie leben, aufrecht erhalten und vielleicht sogar langfristig leicht verbessern können.
Es stellen sich viele Fragen, auf die man Antworten sucht, um das Risikomanagement mit dem richtigen Hebel anzusetzen: Warum gehen Unternehmen unter, warum werden Projekte in den Sand gesetzt und warum treffen Menschen Fehlentscheidungen, die zu verheerenden Folgen führen können. Das sind – nach Ansicht von Brühwiler – die Kernfragen des Risikomanagement. In diesem Kontext referenziert der Autor auf eine Studie von James C. "Jim" Collins, einem ehemaligen Professor für Entrepreneurship an der Stanford University, der heute sein Geld mit einer Akademie für Managementforschung verdient. Jim Collins veröffentlichte im Jahr 2009 mit seinem Buch "How The Mighty Fall: And Why Some Companies Never Give In" die wesentlichen empirisch untersuchten Gründe für den Niedergang für Unternehmen. Der Verlauf bis zum Untergang verläuft in der Regel in fünf Stufen:
Stufe 1: Hybris Born of Success – Dem Erfolg entspringende Überheblichkeit
Hybris ist eine menschliche Einstellung und Verhaltensweise, die man mit Überheblichkeit, Selbstüberschätzung, Arroganz oder Vermessenheit übersetzen könnte. In den alten griechischen Tragödien war die Hybris der Auslöser des Untergangs der Hauptfiguren. Menschen und Manager, die der Hybris verfallen, führen den Erfolg eines Unternehmens auf ihren eigenen Einfluss zurück. Sie verlieren die Sicht auf die wirklichen Faktoren und Ursachen, die für den Erfolg verantwortlich sind. Die zu einfache Erklärung des Erfolgs mit der eigenen Fähigkeit ersetzt die vertiefte Analyse und das Verständnis der wirklichen Erfolgsfaktoren. Chance und Glück spielen bei den Ergebnissen eine wichtigere Rolle als es die Verantwortlichen wahrhaben wollen. Die Überschätzung der eigenen Verdienste und Fähigkeiten verblendet ihre Sicht.
Stufe 2: Undisziplined Pursuit of More – Undisziplinierte Gier nach mehr
Die Selbstüberschätzung von Stufe 1 entwickelt sich logisch weiter zur Gier nach mehr Wachstum, Einfluss, Gewinn, Ansehen und Status. Das disziplinierte Handeln, das den früheren Erfolg begründet und herbeigeführt hat, wird ersetzt durch Improvisation und Ausweitung von Tätigkeiten weit über die gegebenen Fähigkeiten und Ressourcen hinaus. Die Selbstgefälligkeit und ein aufkommender Widerstand gegenüber Verhaltensänderungen führen zur Stufe 3.
Stufe 3: Denial of Risk and Peril – Verneinung von Risiko und Bedrohung
Das Unternehmen erzielt von außen betrachtet weiterhin gute Geschäftsergebnisse. Es gibt jedoch mehr interne Warnzeichen. Diese werden wegargumentiert mit Erklärungen, es gebe vorübergehende Phänomene oder zyklische Schwankungen. Negative Daten und Trends werden verharmlost, positive Elemente übergewichtet und Faktoren, die sich sowohl positiv als auch negativ entwickeln könnten, ins Positive interpretiert. Eine typische Aussage lautet: "Risiken? Nein, haben wir nicht. Wir haben alles im Griff!" Es gilt Artikel 3 des Rheinische Grundgesetzes: "Et hätt noch emmer joot jejange." Dies bedeutet nichts anderes als: Was in der Vergangenheit gut gegangen ist, wird auch morgen funktionieren. Manchmal bedeutet es auch: Wir wissen es ist Murks, aber es wird schon gut gehen.
Stufe 4: Grasping for Salvation – Griff nach dem Rettungsanker
Das Zusammentreffen von mehreren unglücklichen Umständen löst einen allgemein sichtbaren Niedergang des Unternehmens aus. Die Führung versucht, mit einfachen Rezepten oder mit der Erinnerung an die früheren Tugenden, die zur Größe geführt haben, das Unternehmen zu retten. Dazu gehören unausgereifte Strategien, der Ruf nach radikalem Wandel bis hin zu einer Akquisition, die die verfahrene Situation verändern soll. Dies gelingt in wenigen Fällen, weil die bisherigen Manager persönlich nicht in der Lage sind, einen Kulturwandel beziehungsweise den "Turnaround" herbeizuführen.
Stufe 5: Capitulation to Irrelevance or Death – Kapitulation und Untergang
Je länger das Unternehmen in Stufe 4 verweilt, desto sicherer ist der Untergang. Er endet in Bedeutungslosigkeit oder in der Insolvenz.
Collins schließt die Darstellung seines Untergangsmusters von Unternehmen mit den Worten: "[…] we do ourselves a disservice by studying only success. We learn more by examining why a great company feil into mediocrity (or worse) and comparing it to a company that sustained its success than we do by merely studying a successful enterprise. Furthermore, one of the key to sustained performance lies in understanding how greatness can be lost. Better to learn from how others feil than to repeat their mistakes out of ignorance […]."
Und exakt hier kann das Risikomanagement eine große Unterstützung bietet, indem potenzielle Stressszenarien und Risiken jeglicher Art (insbesondere strategische) transparent gemacht werden. Hierfür werden dann allerdings Werkzeuge jenseits einer klassischen Risikobuchhaltung benötigt.
Das Buch von Bruno Brühwiler ist in insgesamt 6 Hauptkapitel untergliedert. Nach einem einführenden Kapitel folgen im zweiten Abschnitt die wesentlichen Grundlagen (Definitionen, Einbettung in Corporate Governance, normative Grundlagen etc.) überblicksartig skizziert. Der dritte Abschnitt dreht sich um die Anwendung des Risikomanagements beispielsweise in den Bereich "Health, Safety, Environment", Interne Kontrollsysteme, Informationssicherheit oder Notfall-, Krisen-, und Kontinuitätsmanagement. Die Darstellung des Regelkreises im Risikomanagement ist schließlich Schwerpunkt von Kapitel 4. Einen selektiven Blick in die Werkzeugkiste des Risikomanagements liefert das anschließende Kapitel 5 (Methoden der Risikobeurteilung). Mit dem Risikomanagement-System befasst sich abschließend Kapitel 6. Insgesamt orientieren sich alle Kapitel sehr stark am internationalen Standard ISO 31000 "Risk Management – Principles and guidelines" sowie der ONR 49000-Serie, die von Austrian Standards veröffentlicht wurde.
Insgesamt liefert das Buch einen soliden und überblicksartigen Einblick in die Welt des Risikomanagements. Eher schwach sind die Kapitel zu den Methoden der Risikobeurteilung. Auf Seite 216 schreibt der Autor, dass der Value at Risk vergleichbar ist mit dem Worst-Case-Szenario eines Risikos. Hier tappt der Autor in die gleich Falle, in der auch viele Marktteilnehmer (insbesondere vor der Finanzkrise) gestolpert sind. Der Value at Risk blendet eben gerade echte Stressszenarien aus und kann vielmehr als ein "Sonnenschein-Risikomaß" betrachtet werden. Der Expected Shortfall (EX) hingegen ist der Erwartungswert einer Risikoposition jenseits eines bestimmten Quantils bzw. Value at Risks. Auch die Methodenübersicht auf Seite 222 – entnommen dem österreichischen Standard ONR 49000 – kann nicht überzeugen. Standardabweichung und Konfidenzniveau wirken hier etwas deplatziert, da es sich nicht um Methoden handelt, sondern statistische Maße.
Fazit: Insgesamt liefert Bruno Brühwiler mit der vierten Auflage von "Risikomanagement als Führungsaufgabe" eine praxisorientierte und stark an ISO 31000 orientierte Einführung in die Welt des Risikomanagements. Positiv hervorzuheben sind die vielen Praxisbeispiele, der in den Text eingestreut sind (beispielsweise Costa Concordia, Nuklearkatastrophe Fukushima). Nach der Lektüre des Buches wird vor allem deutlich, dass Risikomanagement als Führungsaufgabe verstanden und gelebt werden muss. Risikomanagement ist zur nachhaltigen Existenzsicherung jeder Unternehmung unabdingbar. Für diesen Erkenntnisprozess hat Bruno Brühwiler, unter anderem als Vorsitzender der Working Group ISO 31000 im TC 262 der International Standard Organization (ISO) und Projektleiter des Regelwerkes ONR 49000 eine Menge geleistet.