Denkanstöße jenseits ausgetretener Pfade

Standards für nachhaltige Finanzmärkte


Rezension

Finanzkrisen – so auch die aktuelle Krise – folgt einem immer gleichen Muster: Kein Crash ohne Blase, keine Blase ohne billiges Geld. Einer der bedeutendsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts, John Maynard Keynes, wies bereits darauf hin, dass die Krise zum Kapitalismus dazugehört. Auch der Ökonom und Sozialkritiker John Kenneth Galbraith wies darauf hin, dass Finanzkrisen einem klaren anthropologischen Impuls folgen, dem sogenannten "Animal Spirits". Animalische Leidenschaften führen dazu, dass Marktteilnehmer exzessive Risiken eingehen. Der Herdentrieb führt dazu, dass plötzlich alle mitmachen. Alle berauschen sich am schnellen Geld. Plötzlich bekommt ein wichtiger Spieler Zweifel und steigt aus. Ergebnis: Das Vertrauen ist zerstört und die Blase platzt. Manager und Banken landen auf der Guillotine und die Politik strafft die Zügel der Regulierung. Und irgendwann geht das Spiel wieder von vorne los.

Im Zusammenhang mit der jüngsten Finanzkrise haben vor allem Endzeitpropheten Hochkonjunktur. Bücher von neunmalklugen Autoren sprossen wie Schneeglöckchen aus dem Frühlingsboden. Über Ursachen und Schuldige wurde viel diskutiert. Viele Beteiligte waren sich vor allem darin einig, dass die Finanzarchitektur massiv saniert werden muss, da sie den heutigen "Finanz-Tsunamis" nicht mehr standhält. Der jüngst erschienene Sammelband "Standards für nachhaltige Finanzmärkte" liefert Antworten auf Antworten auf Fragen rund um das "Redesign" des internationalen Finanzsystems.

Der Sammelband liefert ein breites Spektrum an Diskussionsbeiträgen von der Rolle der Finanzmarktpolitik als Transformator und Standardsetter, die Rolle der Rechnungslegung, die Rolle der Hedgefonds bis zum Risikomanagement. So ist beispielsweise für Axel Lehmann, Chief Risk Officer Zurich Financial Services klar, dass das Risikomanagement vieler Finanzdienstleister offensichtlich unsachgemäß angelegt war. Die Segel waren nicht für nachhaltige Wahrnehmung von Chancen, sondern für (zu) riskante Geschäfte gesetzt. Die Tatsache, dass das retrospektiv orientierte Rechnungswesen als Fundament eines solchen Risikomanagements gar nicht in der Lage war, die komplexen Finanzprodukte realitätsgerecht abzubilden, weil diese nun plötzlich Verpflichtungen in der Zukunft begründeten, ging glatt vergessen. Die rasante Entwicklung der Informationstechnologie, die starke Internationalisierung und Expansion von Märkten und Geschäftsaktivitäten haben das Rechnungswesen – so Rechnungswesen-Experte Josef Willimann – zu einem wichtigen Führungsinstrument gemacht, das aber in dieser Funktion durch steigende Herausforderungen ge- und überfordert wird. Peter Leibfried, Professor an der Universität St. Gallen, ergänzt: "Wenn man die Entstehung der aktuellen Krise analysiert, kommt man um den Eindruck nicht herum, die Rechnungslegung hätte nicht nur klar versagt, sondern auch noch zu einer Verschärfung der Krise beigetragen." Die verfügbaren, meist einige Wochen oder Monate alten Informationen waren entweder bereits überholt, mit zu vielen Ermessungsspielräumen versehen, oder durch Aggregation und Aufrechnungen so verdichtet, dass sie kein verlässliches Urteil über die aktuelle wirtschaftliche Situation des potenziellen Marktpartners zugelassen haben. Heinz Zimmermann, Professor an der Universität Basel, weist darauf hin, dass man sich zukünftig vermehrt um die Risiken des Risikomanagements – also die Repräsentation der im Risikomanagement verwendeten Modelle, Standards, Prozesse, Algorithmen etc. – kümmern  muss, also quasi Risikomanagement "zweiter Ordnung". So weist er darauf hin, dass ein Value at Risk möglicherweise eine zweckmäßige Aussage über das kurzfristige Verlustpotenzial einer marktnah bewerteten Handelsposition liefert, aber andere Risiken nur unvollständig beschreibt – und damit selbst zum Risiko wird.

Der Sammelband, geschrieben von Wissenschaftlern und Praktikern, liefert vor allem Denkanstöße jenseits der ausgetretenen Pfade und sticht aus der wild sprießenden Krisenliteratur als positives Beispiel hervor. Fazit: Trotz spürbarer Unterschiede bzgl. fachlichem Niveau und Lesbarkeit – wie bei derartigen Sammelwerken unvermeidbar – kann die Veröffentlichung uneingeschränkt empfohlen werden.

Rezension von Frank Romeike


Details zur Publikation

Autor: Brigitte Strebel-Aerni (Hrsg.)
Seitenanzahl: 252
Verlag: Schulthess/Bank-Verlag
Erscheinungsort: Köln
Erscheinungsdatum: 2009

RiskNET Rating:

Praxisbezug
Inhalt
Verständlichkeit

sehr gut Gesamtbewertung

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