Publikationen rund um die Themen Unternehmensbewertung sowie Kennzahlenanalyse gibt es wie Sand am Meer. Vielfach rezipieren jedoch viele Autoren bedenken- und gedankenlos die aus dem angelsächsischen Raum stammenden "Praktikerverfahren", welche vermeintlich einen weltweiten Standard darstellen.
Das Buch von Nicolas Schmidlin sticht in der Masse der Unternehmensbewertungs-Literatur positiv hervor, da er weitgehend auf komplizierte Modelle aus der Theorie verzichtet und vielmehr einen praxisorientierten Leitfaden geschrieben hat.
Allgemein befasst sich die Unternehmensbewertung mit der Ermittlung des fairen Unternehmenswertes. Allerdings ist der objektive Wert eines Unternehmens nicht objektiv feststehend, sondern vielmehr stets ein Kompromiss verschiedener Bewertungsverfahren, die auf einen bestimmten fairen Unternehmenswert deuten.
In der marktorientierten Bewertungslehre kommen vornehmlich die sogenannten Discounted Cash Flow-Verfahren zum Einsatz. Es baut dabei auf dem finanzmathematischen Konzept der Abzinsung (discounting) von Zahlungsströmen (cash flow) zur Ermittlung des Kapitalwerts des Unternehmens auf. Der Unternehmenswert bestimmt sich durch die zukünftigen Free-Cashflows eines Unternehmens, also dem Betrag, den der Eigentümer des Unternehmens Jahr für Jahr aus dem Unternehmen an überschüssigen Zahlungsströmen entnehmen könnte, ohne es dadurch zu beinträchtigen. Um den Zeitwert des Geldes und vor allem dem Unternehmensrisiko gerecht zu werden, müssen die erwarteten Cashflows mit einem risikoadjustierten Zinssatz abgezinst werden.
Die kapitalmarktorientierten Modelle basieren in der Regel auf dem Capital-Asset-Pricing-Modell (CAPM). Hierbei werden historische Aktienkurse zur Ableitung des Beta-Faktors als Risikomaß verwendet. Die Anwendung des CAPMs und die Betrachtung lediglich aus historischen Daten abgeleiteter systematischer Risiken, erfasst durch den Proxi des Betafaktors, führt zu einer systematischen Unterschätzung der Bedeutung einer fundierten Risikoanalyse und des Abwägens erwarteter Erträge und Risiken.
Heute ist bekannt, das – basierend auf CAPM – "Aktienbewertungen" und "Unternehmensbewertungen" nur unter den restriktiven Prämissen eines vollkommenen Kapitalmarkts und speziell einer perfekten Korrelation zwischen Aktienrenditen und künftigen Cashflows übereinstimmen. Daher gilt in der Welt der Wissenschaft das "Markowitz-Paradigma" (CAPM) als veraltet, da es beispielsweise nur eine Anlageperiode betrachtet, ein empirisch widerlegtes Marktgleichgewicht annimmt, auf quadratische Nutzenfunktion beschränkt ist und den Zusammenhang von Investition und Konsum vernachlässigt.
Nicolas Schmidlin schlägt daher in seinem Buch einen alternativen und praxisorientierten Weg jenseits des Postulats effizienter Märkte vor. Die geforderten Eigenkapitalkosten werden auf Basis einer qualitativen Methode durch Verrechnung von risikofreien Zins und einem adäquaten Risikoaufschlag berechnet. Der Risikoaufschlag bestimmt sich nach dem spezifischen Risiko des betrachteten Unternehmens.
Das Buch gliedert sich in 9 Kapitel. Die ersten vier Kapitel setzen sich insbesondere mit den Grundlagen der Bilanzierung und Bilanzanalyse sowie Kennzahlen zu Ertrag und Rentabilität, zur finanziellen Stabilität sowie zum Working Capital Management auseinander. Das Geschäftsmodell beschreibt die Erfolgsfaktoren eines Unternehmens. Es bündelt die qualitativen Merkmale einer Unternehmung. Herausragende Kennzahlen sind im Umkehrschluss stets die Folge eines guten Geschäftsmodells. In Kapitel 5 werden die Methoden zur Analyse eines Geschäftsmodells vorgestellt. Die Analyse zielt darauf ab, Alleinstellungsmerkmale und Wettbewerbsvorteile zu identifizieren. Das Kapitel basiert im Kern auf den Anlageprinzipien des US-amerikanischer Großinvestor Warren Buffet: "Wir investieren nur in ein Unternehmen, wenn wir (1) die Geschäfte verstehen, (2) die langfristigen Aussichten des Unternehmens gut sind (bewiesene Ertragskraft, gute Erträge auf das investierte Kapital, keine oder nur geringe Verschuldung, attraktives Geschäft), (3) das Unternehmen von kompetenten und ehrlichen Managern geleitet wird und (4) sehr attraktiv bewertet ist." Autor Nicolas Schmidlin weist darauf hin, dass in der Analyse des Geschäftsmodells die wahre Kunst der Unternehmensbewertung steckt. Das anschließende Kapitel 6 setzt sich mit der Ausschüttungspolitik eines Unternehmens auseinander. Der Free-Cashflow kann beispielsweise dafür verwendet werden, Kredite zu tilgen, Übernahmen durchzuführen, aber auch als Dividende oder Aktienrückkauf an die Anteilseigner ausgeschüttet zu werden. Eine weitere Alternative besteht im Einbehalten der Gewinne, um ein Cash-Polster aufzubauen. Kapitel 7 skizziert die wesentlichen Bewertungskennzahlen für die Praxis, beispielsweise Kurs-Gewinn-Verhältnis, Kurs-Buchwert-Verhältnis, EV/EBITDA etc. Auf rund 80 Seiten werden in Kapitel 8 die wesentlichen Methoden zur Unternehmensbewertung beschrieben. Das abschließende Kapitel 9 wird eine Brücke zwischen der Bewertungstheorie und der Praxis an der Börse geschlossen. So werden hier die wesentlichen Strategien eines wertorientierten Investierens ("Value Investing") vorgestellt. Value Investing besteht im Kern in der Ausnutzung von Preisdifferenzen zwischen dem aktuell gehandelten Aktienpreis und dem nach eingehender Analyse erhaltenen fairen Wert. Sofern diese Preisdifferenz die geforderte Sicherheitsmarge übersteigt, sollte eine Investition getätigt werden. Die für diese Analyse erforderlichen Werkzeuge lernt der Leser im Praktikerbuch von Nicolas Schmidlin kennen und anwenden.
Fazit: Das Buch bietet eine durchgehend praxisorientierte und didaktisch hervorragend aufbereitete Einführung in die Welt der Unternehmensbewertung. Dabei verzichtet der Autor auf jeglichen überflüssigen und theoretischen Ballast und konzentriert sich auf die erforderlichen Analysewerkzeuge eines Praktikers. Äußerst hilfreich sind hierbei auch die mehr als 100 Fallbeispiele aus der Praxis.
Autor der Rezension: Frank Romeike
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Interview mit dem Autor
Ist eine Aktie fair bewertet? Wie sind die Zukunftsperspektiven und Kennzahlen eines Unternehmens einzuschätzen? Wie können die Bewertungsmethoden in der Praxis angewendet werden?
Die RiskNET-Redaktion will ein wenig Licht in den Nebel der Methodenvielfalt der Unternehmensbewertung bringen und hat Nicolas Schmidlin zur Bilanzanalyse und Unternehmensbewertung befragt.
Nicolas Schmidlin gründete im Alter von 20 Jahren zusammen mit Marc Profitlich eine Investmentpartnerschaft, die langfristig in Aktien und Anleihen nach den Grundsätzen des Value Investing investiert.
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