Veröffentlichungen mit klugen Analysen und Handlungsempfehlungen rund um die jüngste Finanzkrise schießen wie Pilze aus dem Boden.
Ziel des Buches – so die Autoren im Vorwort – ist es erstens , die Finanzkrise zu verstehen. Da die Analyse in einen volkswirtschaftlichen Rahmen eingebettet ist, soll zweitens das Verständnis gewonnen werden, dass die Finanzkrise das Platzen einer "Blase" innerhalb einer zeitlichen Reihe von Blasen ist. Drittens ist es das Ziel der Analyse, aus der Finanzkrise zu lernen. Eine Unterstützung durch die Politik ist das zentrale Anliegen des Buches, so die Autoren weiter. Insbesondere soll sich das Buch aber "fachlich und wissenschaftlich" von der bisherigen Literatur zu diesem Thema abheben. Nach der Lektüre der ersten Kapitel kommen erste Zweifel auf, ob dieses Ziel erreicht wurde.
Die Autoren konzentrieren sich bei ihren Handlungsempfehlungen im Wesentlichen auf Allgemeinplätze, die der Leser auch in der Wirtschaftspresse findet. Ein wissenschaftlicher Tiefgang fehlt. So weisen sie beispielsweise darauf hin, dass die wichtigste Lektion der Subprime-Krise sei, "dass man sich nicht ausschließlich auf die Risikobewertung der Ratingagenturen verlassen kann", und dass die Investoren zusätzlich ihre eigene Analyse durchführen müssen (Seite 108). Auf andere wesentliche Punkte, die für eine Ursachenanalyse relevant sind und die auch in der allgemeinen Diskussion häufig ausgeblendet werden, gehen die Autoren nicht ein. So haben beispielsweise viele Marktteilnehmer bestimmte Eigenschaften in die Ratings hineininterpretiert. Etwa wurde unterstellt, dass ein "AAA"-Produkt eine Anleihe sei, für welche es jederzeit einen liquiden Sekundärmarkt gibt. Fakt ist jedoch, dass Ratings keine Aussagen über die Liquidität einer Anleihe treffen, sondern "lediglich" die Wahrscheinlichkeit einer fristgerechten Zins- und Rückzahlung des Finanzinstruments bewertet. Auch die Probleme des Moral Hazard und der "Adverse Selection" werden nicht diskutiert.
Die Rolle der Regulatoren und Aufsichtsorgane werden von den Autoren weitgehend ausgeblendet. Bei der Analyse der "Opfer der Subprime-Krise" (Kapitel 7.2) konzentrieren sich die Autoren auf irrelevante Informationen und blenden die wesentlichen Ursachen (Geschäftsmodelle, Risiko-Rendite-Diagramm, Risikotragfähigkeitsanalyse, Ausblenden von Liquiditätsrisiken, Methodenschwächen etc.) komplett aus. Oder ist es für den Leser eine neue Erkenntnis, dass der Vorstandsvorsitzende Ortseifen und der Finanzvorstand Doberanzke zurücktreten mussten und Ingrid Matthäus-Maier wegen eines schlechten Krisenmanagements die KfW-Bankengruppe verlassen musste?
Insgesamt bewegt sich das Buch fast durchgängig auf Allgemeinplätzen. Detailanalysen und konkrete Empfehlungen fehlen fast durchgängig. So schreiben die Autoren, dass die Subprime-Krise uns gelehrt hat, "dass im Vergleich zu Marktrisiken, die großenteils unter Kontrolle sind, heutzutage Kreditrisiken eine größere Bedrohung darstellen." Diese Analyse ist zu oberflächlich, als dass sie die Komplexität einer integrierten Risikomessung hinreichend berücksichtigen würde. Die Risiken in komplexen Märkten, wie den globalen Finanzmärkten, können nicht monokausal auf einen einzigen Auslöser, beispielsweise ein Kreditrisiko, zurückgeführt werden. Wenn beispielsweise Liquiditätsrisiken, operationelle Risiken und Reputationsrisiken bei der Analyse und auch der Berechnung des ökonomischen und regulatorischen Kapitals ausgeblendet werden, dann werden immer nur einige wenige Bausteine der kompletten Risikolandkarte betrachtet. Daher hat die Finanzkrise vor allem die Bedeutung einer integrierten Gesamtrisikosteuerung (Enterprise Risk Management) verdeutlicht. Die klassischen Werkzeuge der Banken werden allerdings nicht ausreichen, um ein integriertes Risikomanagement umzusetzen und zu leben.
Fazit: Bei allen "Ex-post-Analysen" stellt sich konsequenterweise die Frage, warum die "Experten" ihre Bücher nicht bereits vor vielen Jahren geschrieben haben. Wenn Sie an einer allgemeinen – eher journalistischen – Zusammenfassung der Finanzkrise und dem Rezitieren von Handlungsempfehlungen (G20, Sachverständigenrat, BIZ, OECD, IMF etc.) interessiert sind, dann bieten Ihnen das Buch auf 247 Seiten eine kompakte Zusammenfassung in einer klaren Sprache (die Sie aber auch woanders finden, beispielsweise im kostenfreien Jahresgutachten 2008/09 des Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Vgl. hier). Wenn Sie an einer wissenschaftlich fundierten und ausgewogenen Analyse der Finanzkrise interessiert sind, dann investieren Sie Ihr Geld lieber in "Charles R. Geisst: Wall Street – A History: From Its Beginnings to the Fall of Enron." Das Buch ist bereits 2004 erschienen und analysiert auf etwa 500 Seiten die Geschichte einer Straße, von ihren frühen Anfängen, als Peter Stuyvesant sie 1652 als Verteidigungsbarrikade gegen Indianer und Briten erbaute, bis hin zum milliardenschweren computerbetriebenen Finanzzentrum. Oder kaufen Sie "The great crash,1929" von John K. Galbraith. Auch dort werden Sie mehr über vergangene, die aktuelle und zukünftige Finanzkrisen lernen, als in jeder aktuellen Publikation.
Rezension von Frank Romeike, Dr. Anette Köcher
Kommentare zu diesem Beitrag
Sorry, Jens, Sven und Marcell, Ihre Kritik an der Kritik kann ich nicht nachvollziehen. @Marcell: Die Kritik, dass man nur aus aktuellen Büchern lernen kann, meinen Sie sicherlich nicht ernst. Das zitierte Buch von Galbraith wurde bereits 1955 veröffentlicht und enthält jede Menge wissenschaftlich fundierter Thesen, die auch in der aktuellen Krise noch Gültigkeit haben.
- Allen, Franklin, and Douglas Gale. 1998. Optimal Financial Crises. Journal of Finance (August): 1245–84.
- Davis, Philip. 1995. Debt, Financial Fragility, and Systemic Risk. Oxford: Oxford University Press.
- Mishkin, Frederic. 1991. Asymmetric Information and Financial Crises: A Historical Perspective. In Financial Markets and Financial Crises, edited by R. Glenn Hubbard, 69–108. Chicago: University of Chicago Press.
- Kaufman, George G., and Steven Seelig (2002. Post-Resolution Treatment of Depositors at Failed Banks and the Severity of Bank Crises, Systemic Risk, and Too-Big-to-Fail. Economic Perspectives, Federal Reserve Bank of Chicago (second quarter): 27–41.
- Kaufman, George G. (2000) Banking and Currency Crises and Systemic Risk: Lessons from Recent Events. Economic Perspectives, Federal Reserve Bank of Chicago (third quarter): 9–28.
- Kaminsky, Graciela, and Carmen Reinhart. 1998. On Crises, Contagion, and Confusion. Working Paper, December. Washington, D.C.: George Washington University.
- Kindleberger, C.: Manias, Panics and Crashes. New York 1978.
- Minsky, H. P.: Die Hypothese der finanziellen Instabilität, Challenge, White Plains, N. Y. 1977, S. 20 ff.
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Und da sind wir schon am Kern, warum das vorliegende Buch von "Bloss/Ernst/Häcker/Eil" rein garnichts mit Wissenschaft zu tun hat. Der Leser findet Zitate sehr spärlich (auch dort wo es angebracht wäre, d. h. dort die Autoren fremdes Wissen rezitieren). Und zum zweiten berufen sich die Autoren in ihren Ausführungen nicht auf wissenschaftliche Erkenntnisse. Vielmehr tragen sie journalistische Quellen zusammen, haben diese in Buchform verpackt und als "wissenschaftliche Arbeit" verkauft. Daher kann ich der obigen Buchbesprechung nur zustimmen ...
@Börsenguru64: Du hast völlig recht. Einfach nur peinlich, dass Autoren - zudem noch (Pseudo-)Wissenschaftler - soetwas nötig haben. Es bleibt spannend auf Amazon ...