Szenarioanalyse

Die (deterministische) Szenarioanalyse ist im betriebswirtschaftlichen Kontext eine heutzutage verbreitete Methode, die insbesondere im Bereich Strategie/Unternehmensentwicklung, aber auch im Risikomanagement, als Instrument der Entscheidungsvorbereitung und -unterstützung etabliert ist. Sie wird vorrangig bei zukunftsorientierten Fragestellungen eingesetzt, kann aber auch bei der Auswahl einer Alternative bei einer unmittelbar anstehenden Entscheidung wirkungsvoll unterstützen. Die Grundidee ist, einen alternativen Zustand zu beschreiben und anhand dieser Beschreibung Konsequenzen auf eine zu untersuchende Fragestellung abzuleiten. In aller Regel werden die so erhaltenen Kenntnisse verwendet, um darauf aufbauend zu konkreten Handlungsempfehlungen zu gelangen.

Die Szenarioanalyse wurde im Jahr 1967 von Herman Kahn und Anthony J. Wiener in die Wirtschaftswissenschaften eingeführt. Sie definieren Szenario als "a hypothetical sequence of events constructed for the purpose of focussing attention on causal processes and decision points.” [Kahn /Wiener 1967, S. 6]: Kahn und Wiener weiter "They answer two kinds of questions: (1) Precisely how might some hypothetical situation come about, step by step? and (2) What alternatives exist, for each actor, at each step, for preventing, diverting, or facilitating the process.” [Kahn /Wiener 1967, S. 6].

Kahn wollte – nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs – mit Hilfe von Szenarien eingetretene Denkpfade verlassen und unvorstellbare und undenkbare ("think the unthinkable") Entwicklungen bei den Analysen berücksichtigen.

Für die Szenarioanalyse existieren je nach Autor und Methodenschule verschiedene Vorgehensmodelle [vgl. beispielsweise Götze 1993 oder von Reibnitz 1992], die jedoch alle den drei Hauptschritten Analysephase, Extrapolation und Szenariobildung sowie Auswertung und Transfer der Erkenntnisse folgen. Hier soll ein aus acht Schritten bestehendes Vorgehensmodell vorgestellt und kurz beschrieben werden, siehe dazu nachfolgende Abbildung.

Vorgehensweise bei der Szenarioanalyse

Der erste Schritt, das Festlegen der zu untersuchenden Fragestellung, dient insbesondere zwei wichtigen Aspekten: Klarheit zu erlangen, was genau zu untersuchen ist, sowie dem gemeinsamen Verständnis darüber im Team. Bei dem zweiten Aspekt geht es auch darum, eine gemeinsame Sprache zu finden, was in einem interdisziplinär oder sogar intersektoral zusammengesetzten Team nicht ganz einfach, aber sehr wichtig ist. Nur das gemeinsame Verständnis sichert, dass in der weiteren Analyse das Team in die gleiche Richtung arbeitet. Das Aufbauen dieses Verständnisses lässt sich erfahrungsgemäß gut erreichen, wenn neben dem Festlegen der Fragestellung die dazu notwendige Ausgangslage oder Ist-Situation beschrieben wird. Hier wird anhand der Prioritätensetzung schnell deutlich, wo signifikante Unterschiede im Verständnis bestehen.

Einflussfaktoren beschreiben relevante Sachverhalte in Bezug auf die zu untersuchende Fragestellung. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sie veränderlich sind und diese Veränderung jeweils wichtig in Bezug auf die Fragestellung ist. Das Identifizieren von Einflussfaktoren beginnt häufig als interne Analyse unter dem Einsatz von Kreativitätstechniken. Gegebenenfalls können hier Strukturvorgaben – etwa das klassische politisch, ökonomisch, sozial, technologisch, ökologisch – bei der Sammlung potenzieller Einflussfaktoren helfen. Basierend auf diesen Ergebnissen helfen vertiefende Literaturrecherchen und Experteninterviews, die ermittelten Einflussfaktoren zu verifizieren und zu ergänzen. Im Ergebnis dieses Schrittes sollte zu den Einflussfaktoren ein gemeinsames Verständnis vorherrschen, Duplikate sollten ebenso wie Ober- und Unterbegriffe eliminiert sein. Um in der späteren Analyse Missdeutungen zu vermeiden, sind Einflussfaktoren wertfrei zu beschreiben. Wertfrei heißt, dass Worte wie stärker/schwächer, mehr/weniger, gut/schlecht und so weiter nicht in der Bezeichnung der Einflussfaktoren auftauchen, da ansonsten eine Beeinflussung der Denkweise und bei der Bewertung der Szenarien droht. In der Literatur wird hierfür auch der Begriff des Deskriptors verwendet (vgl. beispielsweise Garfield 1997, S. 9].

Im nächsten Schritt sind die Einflussfaktoren entsprechend ihrer Wichtigkeit in Bezug auf die Fragestellung zu priorisieren. Ziel ist es, sich in der weiteren Analyse auf die wichtigsten Einflussfaktoren zu konzentrieren. Als Faustregel sollten hiernach nicht mehr als zwanzig Einflussfaktoren üblich bleiben. Dadurch wird die Komplexität der weiteren Analyse reduziert. Ohne diese Priorisierung besteht die Gefahr, in die Komplexitätsfalle zu tappen und an der Analyse zu scheitern. Als Instrumente kommen hier die Einflussfaktorenanalyse, auch Vernetzungsmatrix oder Papiercomputer von Vester genannt, oder auch eine Einfluss-Unsicherheitsanalyse zum Einsatz. 

In der nachfolgenden Matrix ist beispielhaft eine Einflussfaktorenanalyse (auch Vernetzungsmatrix oder Papiercomputer von Vester genannt) skizziert.

Analyse der Einflussfaktoren

Die Analyse der Einflussfaktoren mit Hilfe einer Matrix erfolgt nach folgendem Vorgehen:

  • Direkten Einfluss zwischen jeweils zwei Einflussfaktoren (EF) quantifizieren (Skala beispielsweise von 0 – kein Einfluss bis 3 – starker Einfluss);
  • Aktivsumme (AS) gibt an, wie stark der Einflussfaktor die anderen Faktoren beeinflusst;
  • Passivsumme (PS) gibt an, wie stark der Einflussfaktor durch andere Faktoren beeinflusst wird;
  • Einflussfaktoren sind eher aktiv, wenn AS > PS, und eher reaktiv, wenn AS < PS;
  • Einflussfaktoren sind kritisch (d. h. stark vernetzt), wenn AS * PS groß ist, und träge (d. h. wenig vernetzt), wenn AS * PS kleine Werte annimmt.

Zu beachten ist, dass bei diesem Schritt immer die Gefahr besteht, dass relevante Bereiche für die weitere Analyse eliminiert werden. Eine regelmäßige Kontrolle, ob hier versehentlich falsche Einflussfaktoren gestrichen worden, ist daher im weiteren Prozess unerlässlich.

Im vierten Schritt werden die als realistisch erscheinenden Ausprägungen je Einflussfaktor für die weitere Szenarioanalyse festgelegt. Quellen für diese Festlegung sind Studien, Experteninterviews, Extrapolationen, Gruppendiskussionen und Intuition.

Mögliche Szenarien werden anschließend durch Kombination verschiedener Ausprägungen der Einflussfaktoren gebildet. Für diese ist zu untersuchen, ob sie in sich möglichst konsistent sind, das heißt, ob die Ausprägungen der Einflussfaktoren sich nicht widersprechen. Dies kann mit einer paarweisen Analyse oder mit Hilfe einer Konsistenzmatrix erfolgen. Aus den konsistenten Szenarien werden dann diejenigen ausgewählt, die im Folgenden detailliert zu untersuchen sind. Die Schritte fünf und sechs des Vorgehensmodells können gegebenenfalls auch in anderer Reihenfolge durchgeführt werden, das heißt, zunächst wird festgelegt, welche Szenarien detailliert untersucht werden sollen. Bevor jedoch diese detaillierte Analyse erfolgt, sind diese Szenarien auf Konsistenz zu prüfen und inkonsistente Szenarien auszusortieren (vgl. nachfolgende Abbildung).

Die ausgewählten Szenarien werden in Hinblick auf die zu untersuchende Fragestellung analysiert und die sich aus ihnen ergebenden Konsequenzen abgeleitet. Oft ist es ratsam, Störereignisse wie beispielsweise externe Schocks oder Trendbrüche mit in diese Analyse aufzunehmen, um so ein Gefühl für die Sensitivität beziehungsweise Stabilität der Szenarien zu erhalten. Änderungen im Ausmaß einer Katastrophe sollten bei dieser Sensitivitätsanalyse jedoch außen vor bleiben, da mit ihnen häufig eine Veränderung des gesamten Gefüges verbunden ist, also die getroffenen Annahmen und berücksichtigen Wirkungszusammenhänge nicht mehr gelten. Basierend auf den Konsequenzen werden Handlungsoptionen gesammelt und diese ebenfalls auf ihren Einfluss hin untersucht. Ergebnis sind dann konkrete Handlungsempfehlungen für die untersuchte Fragestellung. Insbesondere für negative Szenarien ist es zudem ratsam, Indikatoren zu identifizieren, die den Eintritt des Szenarios ankündigen. All diese Ergebnisse werden in einem sogenannten Szenario-Steckbrief zusammengefasst.

Typische Anwendungsfälle

Szenarioanalysen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie bildhafte Darstellungen einer alternativen Situation vermitteln. Diese Bilder werden in einem strukturierten Prozess erarbeitet, der zum Verständnis des Sachverhalts beiträgt. Dabei können qualitatives Wissen und Annahmen mit quantitativen Fakten und Prognosen kombiniert werden, so dass sich allein daraus ein breites Anwendungsspektrum dieser Simulationsmethode ergibt. Szenarioanalysen finden sich in betriebswirtschaftlichen Fragen ebenso wie in volkswirtschaftlichen Untersuchungen, politischen Analysen, technischen Fragestellungen oder militärischen Umfeld, nur um einige Einsatzgebiete zu nennen.

Konkrete Anwendungen dieser flexiblen Simulationsmethode im betriebswirtschaftlichen Kontext sind beispielsweise:

  • Analyse alterativer beziehungsweise zukünftiger Zustände. Hierbei geht es darum, mögliche Entwicklungen zu identifizieren, die dahinter stehenden Annahmen zu explizieren und besonders relevante Entwicklungen zu erkennen. Auswirkungen externer und interner Einflüsse werden analysiert. Darüber hinaus werden in diesem Prozess häufig auch Unsicherheiten, Wissenslücken und Dilemmata aufgedeckt, die im Rahmen der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen sind.
  • Zielbildung und Entscheidungsunterstützung. Existieren lediglich vage Zielvorstellungen, können diese mit Hilfe der Szenarioanalyse konkretisiert werden. Im Fokus der Analyse stehen Fragen wie: Wohin soll es gehen? Was soll konkret erreicht werden? Wie soll dieses Ziel geschafft werden? Dazu sind in aller Regel alternative Handlungsoptionen zu entwickeln und zu bewerten, um Entscheidungsprozesse aktiv und wirkungsvoll zu unterstützen.
  • Kommunikation von Sach- oder Problemlagen. Szenarien eignen sich auch hervorragend, einzelne Entscheider oder auch breite Bevölkerungsschichten über Themen und Problemlagen zu informieren. Szenarien schaffen es durch ihre bildhafte und gegebenenfalls pointierte Darstellung eines möglichen Zustands, einen Sachverhalt greifbar und verständlich zu machen. Interne wie öffentliche Debatten lassen sich dadurch anreichern. Ausführungen und Erläuterungen können mit Hilfe von Szenarien konkret und bildlich anstelle von vage und abstrakt vermittelt werden.

Szenariotrichter zur Visualisierung

Der Blick in die Zukunft ist selbstverständlich mit Unsicherheiten verbunden. Daher wird das angestrebte Ergebnis in Form eines Szenariotrichters visualisiert.

Den Ausgangspunkt beim Szenariotrichter bildet das Trendszenario. Dieses Trendszenario stellt die zukünftige Entwicklung unter der Annahme stabiler Umweltentwicklungen dar. Da im Regelfall allerdings von instabilen Umweltbedingungen ausgegangen werden muss, werden sowohl positive als auch negative Entwicklungsmöglichkeiten berücksichtigt und im Szenariotrichter abgebildet. Durch die zunehmende Unsicherheit der potenziellen Zukunftsszenarien in der Zukunft verbreitert sich die Spannweite über die Zeitachse. Das Extremszenario, das die bestmögliche Entwicklung ("best case") aufzeigt, stellt das obere Ende des Trichters dar. Das Extremszenario, das die schlechteste Entwicklung ("worst case") abbildet, stellt das untere Ende des Trichters ab. Die Worst-Case-Szenarien können auch so genannte Stressszenarien sein. Je breiter die Öffnung des Trichters, desto höher die Unsicherheit der zukünftigen Entwicklung.

Weiterführende Literaturhinweise:

  • Garfield, E. (1997): A Tribute To Calvin N. Mooers, A Pioneer Of Information Retrieval, in: The Scientist, Vol.11, Ausgabe 6, 17. März 1997.
  • Götze, U. (1993): Szenario-Technik in der strategischen Unternehmensplanung, Wiesbaden 1993.
  • Kahn, H./Wiener, A. J. (1967): The Year 2000: A Framework for Speculation on the Next Thirty-Three Years, New York 1967.
  • von Reibnitz, U. (1992): Szenario-Technik. Instrumente für die unternehmerische und persönliche Erfolgsplanung, Wiesbaden 1992.
  • Romeike, F./Hager, P. (2013): Erfolgsfaktor Risk Management 3.0 – Methoden, Beispiele, Checklisten: Praxishandbuch für Industrie und Handel, 3. Auflage, Wiesbaden 2013.

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