Andrei Nikolajewitsch Kolmogorow, lieferte eine Axiomatisierung der Wahrscheinlichkeitstheorie
Andrei Nikolajewitsch Kolmogorow, auch Andrej Nikolaevič Kolmogorov (* 12. April 1903 nach dem julianischen Kalenders, * 25. April 1903 nach dem gregorianischen Kalender in Tambov/Russland; † 20. Oktober 1987 in Moskau/Russland) war einer der bedeutendsten und vielseitigsten Mathematiker des 20. Jahrhunderts. Kolmogorow leistete wesentliche Beiträge auf vielen mathematischen Gebieten, insbesondere im Bereich der Wahrscheinlichkeitstheorie. Er gilt als der Gründer der Algorithmischen Komplexitätstheorie (auch Kolmogorow-Komplexität genannt; hierbei versteht man anschaulich die Länge eines kürzesten binären Programms, aus dem sich die Zeichenkette effektiv rekonstruieren lässt).
Die wissenschaftlichen Leistungen von Andrei Nikolajewitsch Kolmogorow lassen sich in seinen mehr als 300 wissenschaftlichen Veröffentlichungen, Herausgebertexten und Monographien erahnen. Kolmogorow war in fast allen mathematischen Gebieten unterwegs, bis auf die Zahlentheorie. Die meiste Zeit verbrachte Kolmogorow mit dem Ziel, den Mathematikunterricht in der vormaligen Sowjetrepublik zu verbessern, begabte Schüler zu fördern und spezialisierte Internate für den mathematischen Nachwuchs aufzubauen.
Seine bekanntesten mathematischen Leistungen waren die Axiomatisierung der Wahrscheinlichkeitstheorie und seine Arbeiten zur Theorie stochastischer Prozesse, die er Anfang der 30er Jahre geschrieben hat. Weitere wichtige Beiträge betrafen die Theorie der reellen Funktionen, die Topologie, die Statistik und die Maßtheorie. Im Jahr 1941 veröffentlichte er zwei einflussreiche Arbeiten zur Theorie der Turbulenzen, die unter anderem die moderne Chaostheorie vorbereiteten.
Am 25. April 1903 wurde Kolmogorow in Tambov, einer russischen Stadt im fruchtbaren Oka-Don-Becken, rund 420 km südöstlich von Moskau, geboren. Seine Mutter Mariya Yakovlevna Kolmogorowa starb bei seiner Geburt und sein Vater verließ ihn, so dass er von der Schwester seiner Mutter, Vera Yakovlevna Kolmogorowa, großgezogen wird. Sie wird als unabhängige Frau beschrieben, die hohe soziale Ideale verfolgt. Diese Eigenschaft überträgt sie auch auf ihren Neffen Andrei Nikolajewitsch, der in einem Umfeld von sozialer Verantwortlichkeit, Eigenständigkeit, Intoleranz gegenüber Trägkeit und Faulheit aufwächst und die Fähigkeit erlangt, Dingen auf den Grund zu gehen und sie zu verstehen und sie nicht nur abzuspeichern.
Für Kolmogorow war Vera bis zu ihrem Tod im Jahr 1950 im Alter von 87 Jahren seine Mutter. Nach der Schulzeit und dem Umzug nach Moskau schrieb Kolmogorow sich in die Matrikel der Physikalisch-mathematischen Fakultät der Universität Moskau ein. Hier lehrten Dmitri Fjodorowitsch Jegorow (1869-1931) und sein bedeutendster Schüler Nikolai Nikolajewitsch Lusin (1883-1950), welche die berühmte Moskauer Schule der Theorie reeller Funktionen begründet hatten. Während der ersten beiden Studienjahre hörte Kolmogoroff Vorlesungen bei Lusin zur Theorie analytischer Funktionen, bei Alexej Konstantinowitsch Wlassow (1868-1922) über projektive Geometrie und bei Pawel Samuelowitsch Uryson (1898-1924) sowie bei Pawel Sergejewitsch Alexandrow (1896-1982) über kombinatorische Topologie und deskriptive Mengenlehre. Mit letzterem verband Kolmogoroff seit dem Jahr 1929 eine enge Freundschaft, die auf einer gemeinsamen mehrwöchigen Reise auf der Wolga und durch den Kaukasus begann und ein ganzes Leben lang währte.
Produktive Lehr- und Wanderjahre
Die Lehr- und Wanderjahres des jungen Wissenschaftlers in den Zwanzigern sind besonders produktive Jahre. Im Jahr 1922 veröffentlichte Kolmogorow seine ersten Ergebnisse in der Mengentheorie. Im Jahr 1923 folgten Veröffentlichungn in der Fourieranalysis (Zerlegen eines beliebigen periodischen Signals in eine Summe von Sinus- und Kosinusfunktionen). In der Folge erlangt er internationale Bekanntheit und veröffentlicht acht Arbeiten über Integrationstheorie, Fourieranalyse sowie erstmals über Wahrscheinlichkeitstheorie. Nach seinem Studienabschluss im Jahr 1925 beginnt er seine ("kleine") Promotion bei Nikolai N. Lusin, die er 1929 beendet.
Im Juni 1930 begab sich Kolmogorow auf eine neunmonatige Forschungsreise nach Deutschland und Frankreich. In Göttingen legte Kolmogorow seine Arbeit "Über die analytischen Methoden in der Wahrscheinlichkeitsrechnung" dem deutschen Mathematiker David Hilbert (1862-1943) vor, der sie im Jahr 1931 in den Annalen publizierte. In München diskutierte er mit Constantin Carathéodory über Maß- und Integrationstheorie. In Sanary-sur-Mer trafen sie den französischen Mathematiker Maurice René Fréchet, der sich gerade mit Markowschen Ketten in diskreter Zeit beschäftigte. Schließlich besuchte Kolmogorow Anfang März in Berlin den österreichischen Mathematiker Richard Edler von Mises.
Im Jahr 1931 wird er als ordentlicher Professor an die Universität Moskau berufen. Im Jahr 1933 erscheint Kolmogorows Lehrbuch "Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitsrechnung" in deutscher Sprache, in dem er seine Axiomatisierung der Wahrscheinlichkeitstheorie vorstellt. Kolmogorow schreibt im Vorwort seines Werkes "Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitsrechnung", dass die "neuen Fragestellungen", die durch ein maßtheoretisches Konzept der Wahrscheinlichkeitsrechnung erfasst werden können und diese zu einer Wahrscheinlichkeitstheorie erst machen "notwendigerweise aus einigem ganz konkreten physikalischen Fragestellungen entstanden sind." In einer Fußnote verweist er auf die Brownsche Bewegung und damit implizit auf Einstein, Smoluchowski und Wiener. Insgesamt jedoch konzentrieren sich Kolmogorows Quellen zu den "analytischen Methoden in der Wahrscheinlichkeitsrechnung" im Wesentlichen auf die Arbeit von Bachelier.
Im Jahr 1934 veröffentlicht Kolmogorow seine Arbeit über Kohomologie (ein Begriff aus der Topologie) und erreicht über die "große" Promotion den Doktorgrad in Mathematik und Physik. 1939 wird er Mitglied der russischen Akademie der Wissenschaften, später auch Mitglied zahlreicher ähnlicher Institutionen in Rumänien, England, Deutschland, USA, Indien, Holland und Frankreich.
Bekannt ist Kolmogorow vor allem durch das Kolmogorowsche Axiomensystem. Die axiomatische Einführung des Wahrscheinlichkeitsbegriffs nach Kolmogorow gehört heute zum Allgemeingut auch jeden Nicht-Mathematikers und hat auch hohe Relevanz im Risikomanagement:
Autor: Frank Romeike
Download:
Romeike, Frank (2007): Andrei Nikolajewitsch Kolmogorow (Köpfe der Risk-Community), in: RISIKO MANAGER, Ausgabe 22/2007, Seite 27-28.
Weiterführende Literaturhinweise:
- Girlich, H.-J. (2003): A. N. Kolmogoroff (1903-1987) und die Ursprünge der Theorie stochastischer Prozesse, Universität Leipzig, Mathematisches Institut.
- Kolmogorov, A. N. (1973): Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitsrechnung, Berlin, Heidelberg, New York, 1973.
- Romeike, F. (2007): Louis Bachelier, in: RISIKO MANAGER, Ausgabe 21/2007, Seite 24-26.
- Romeike, Frank (2007): Andrei Nikolajewitsch Kolmogorow (Köpfe der Risk-Community), in: RISIKO MANAGER, Ausgabe 22/2007, Seite 27-28.
- Tikhomirov, M. V. (1993): A. N. Kolmogorov, in: S. Zdravkovska and P. A. Duren (eds.), Golden Years of Moscow Mathematics (Providence R.I., 1993), 101-127.
- Tikhomirov, M. V. (1988): The life and work of Andreii Nikolaevich Kolmogorov, Russian Math. Surveys 43 (6) (1988), 1-39.