Pierre de Fermat, (Mit-)entwickler der Wahrscheinlichkeitsrechnung

Pierre de Fermat (* Ende 1607 oder Anfang 1608 in Beaumont-de-Lomagne; † 12. Januar 1665 in Castres) war ein französischer Mathematiker und Jurist sowie (Mit-)entwickler der Wahrscheinlichkeitsrechnung.

Das mit Abstand wichtigste Instrument des modernen Risikomanagements ist die Wahrscheinlichkeitsrechnung. Eine der ersten Universalgelehrten, die über den Tellerrand der Spieltische hinausschauten und die methodischen und theoretischen Grundlagen der Wahrscheinlichskeitstheorie formulierten, waren die drei Franzosen Blaise Pascal (* 19. Juni 1623 in Clermont-Ferrand; † 19. August 1662 in Paris), Antoine Gombaud (* 1607 in Monair de Méré; † 29. Dezember 1684 in Schloß Beaussais bei Niort; auch Chevalier de Méré genannt) und Pierre de Fermat. 

Pierre de Fermat wurde zum Jahreswechsel 1607/08 in der südwestfranzösischen Stadt Beaumont de Lomagne geboren. Nach der Schulzeit studierte Fermat – auf Drängen seines Vaters – in den Jahren 1623 bis 1626 Zivilrecht an der Universität Orléans. Im Sommer 1626 schloss er das Studium mit dem "baccalaureus juris civilis" ab und ließ sich als Anwalt am "parlement de Bordeaux" nieder. Schließlich kaufte er das Amt eines "conseiller au parlement de Toulouse" und wurde am 14. Mai 1631 in diesem Amt vereidigt.

Vom Glücksspiel zur Wahrscheinlichkeitsrechung 

Fermat galt als ein Mensch mit einer geradezu erschreckenden Gelehrsamkeit. So sprach er alle wichtigen europäischen Sprachen, schrieb Gedichte in mehreren Sprachen und verfasste zahlreiche Kommentare zu Werken der griechischen und lateinischen Literatur. Er hat als Universalgelehrter wesentlich zur frühen Entwicklung der Integralrechnung beigetragen, im Alleingang die analytische Geometrie entwickelt, Forschungen zur Messung des Gewichts der Erde betrieben und im Bereich Lichtbrechung und Optik gearbeitet.

In seiner Freizeit widmete sich Fermat vor allem der Mathematik, insbesondere der algebraischen Zahlentheorie und der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Im Laufe seiner umfangreichen Korrespondenz mit Pascal hat er wesentliche Impulse zur Entstehung der Wahrscheinlichkeitsrechnung geleistet. Insbesondere die Lösung des "Teilungsproblems", an der Fermat und Pascal arbeiteten, bildet einen Eckstein des modernen Versicherungswesens und anderer Bereiche des Risikomanagements.

Blaise Pascal, beschrieb am 29. Juli 1654 in einem Brief an seinen Kollegen de Fermat zwei Probleme, die er bereits mit seinem Freund Chevalier de Méré, diskutiert hatte (seither als De-Méré- oder Würfelproblem und Teilungsproblem (problème de partis) bekannt).

Das Teilungsproblem behandelt ein fiktives Spiel (beispielsweise einen Münzwurf) über mehrere Runden. Der Ausgang des Spieles ist in jeder Runde unabhängig vom Ausgang in den anderen Runden und in jeder Runde gewinnt Spieler A mit Wahrscheinlichkeit p ∈ [0,1]. Die Spieler vereinbaren, dieses Spiel über so viele Runden zu spielen, bis einer der beiden Spieler n mal gewonnen hat. Dieser erhält dann den Gewinn S ausbezahlt. Bei einem Spielstand von N−k gewonnen Spiele für A und N−l gewonnen Spiele für B müssen die beiden Spieler jedoch das Spiel abbrechen. Wie wird der Gewinn S gerecht unter den Spielern aufgeteilt? Pierre de Fermat in einem Antwortschreiben: "Mein Herr, wenn ich versuche, eine bestimmte Augenzahl mit einem einzigen Würfel in acht Würfen zu erreichen [das heißt beispielsweise eine Sechs spätestens im achten Wurf], und wir, nachdem das Geld eingesetzt ist, übereinkommen, dass ich den ersten Wurf nicht ausführen werde, dann steht mir nach meinem Prinzip 1/6 des Gesamteinsatzes als Entschädigung zu auf Grund des besagten ersten Wurfes. Wenn wir danach noch übereinkommen, dass ich den zweiten Wurf nicht ausführen werde, muss ich zu meiner Entschädigung ein Sechstel des Restes [des Einsatzes] nehmen, das sind 5/36 [nämlich 1/6 von 5/6] des Gesamteinsatzes [...]"

Pascal und Fermat näherten sich der Lösung von verschiedenen Standpunkten. Fermat konzentrierte sich vor allem auf die reine Algebra. Pascal hingegen nutze eine geometrische Anordnung, um in die zugrundeliegende algebraische Struktur Transparenz zu bringen. So griff Pascal auf das "Pascalsche Dreieck" zurück, das die rekursive Bestimmung der Binomialkoeffizienten gestattet. Sie sind im Dreieck derart angeordnet, dass ein Eintrag die Summe der zwei darüberstehenden Einträge ist. Der Name geht auf Blaise Pascal zurück, obgleich das Pascalsche Dreieck bereits im Jahr 1303 im Manuskript des chinesischen Mathematikers Chu Shih-chieh abgebildet wurde.
Experten interpretieren den Briefwechsel als Epochenereignis in der Geschichte der Mathematik und Wahrscheinlichkeitsrechnung bzw. als Geburtsstunde der Stochastik.

Fermats Letzter Satz

Der große fermatsche Satz (Fermats letzter Satz bzw. Fermats letztes Theorem) wurde um das Jahr 1637 von Pierre de Fermat formuliert, aber erst viele Jahre später, im Jahr 1993 bzw. 1998, von dem britischen Wissenschaftler Andrew Wiles zusammen mit seinem Schüler Richard Taylor bewiesen.

Fermats Letzter Satz besagt, dass die n-te Potenz einer Zahl, wenn n > 2 ist, nicht in die Summe zweier Potenzen des gleichen Grades zerlegt werden kann. In diesem Kontext sind ganze Zahlen ≠ 0 und natürliche Potenzen gemeint. Formaler gesagt bedeutet dies:

Die Gleichung an + bn = cn besitzt für ganzzahlige a, b, c ≠ 0 und natürliche Zahlen n > 2 keine Lösungen. Oder anders formuliert: Ist es möglich, dass eine Summe von zwei n-Potenzzahlen wieder eine n-Potenzzahl ist?

In diesem Kontext ist die Forderung wichtig, dass die gesuchten Lösungen a, b, c ganze, positive Zahlen sein sollen. Verzichtet man auf die Ganzzahligkeit und wählt man a, b als beliebige positive Zahlen, so erhält man offenbar stets eine Lösung indem man  setzt.

Seilspanner und ihre mathematische Ableitung

Die Gleichung an + bn = cn  für n = 2 kennt jeder Schüler im Zusammenhang mit einem der fundamentalen Sätze der euklidischen Geometrie, dem Satz des Pythagoras: In einem rechtwinkligen Dreieck mit den Seitenlängen a, b, c gilt obige Gleichung (wobei a und b die beiden Katheten sind und c die Hypothenuse).

Bzw. umgekehrt: Aus obiger Gleichung folgt, wenn a, b, c > 0 angenommen wird, dass a, b, b die Seiten eines rechtwinkligen Dreiecks sind. Der nach Pythagoras von Samos benannte Satz ist theoretischer Ausdruck für die von ägyptischen, babylonischen und indischen Baumeistern und Priestern entwickelte Fähigkeit, bei Abmessungen von Feldern und Bauten mit Hilfe von Seilen präzise rechte Winkel zu erzielen. So erzielten die ägyptischen Seilspanner mit Hilfe von Zwölfknotenschnüren genaue rechte Winkel, indem sie 12 gleiche Teile eines langen Seils durch Knoten im Verhältnis 5:3:4 unterteilten und aus dem Seil mit Hilfe von Pflöcken ein Dreieck bildeten: es muss und wird sich auf diese Weise immer ein rechter Winkel ergeben (Pythagoreisches Tripel).

Die Frage lautet also: Gibt es rechtwinklige Dreiecke, deren Seitenlängen a, b, c ganzzahlig sind? Wir erkennen an den nachfolgenden Beispielen, dass es in der Tat rechtwinklige Dreiecke gibt, bei denen die Seitenlängen ganzzahlig sind.

32 + 42 = 52

82 + 62 = 102

52 + 122 = 132

152 + 82 = 172

49612 + 64802 = 81612

Die zu beantwortende Frage ist nun, ob sich alle ganzzahligen, positiven Lösungen der pythagoräschen Gleichung (siehe oben) eine Systematik finden lässt? Hier hilft die Lektüre eines Buches des griechischen Mathematikers Diophantos von Alexandrien, der irgendwann im Zeitraum von 100 vor Chr. und 350 nach Chr. gelebt hat.

Diophants Werk "Arithmetika" (siehe Abbildung oben) bestand aus insgesamt 13 Büchern, war jedoch lange Zeit verschollen und tauchte erst im 16. Jahrhundert in Europa wieder auf. Im sechsten Buch fand Pierre de Fermat die Lösung der pythagoräischen Gleichung:

Man nehme zwei ganze Zahlen u > v > 0 und setze

a = u2 − v2

b = 2uv

c = u2 + v2

Berühmt wurde das Theorem (heute bekannt als Fermatsche Vermutung bzw. Großer Fermatscher Satz) dadurch, dass Fermat in einer Randnotiz seines Exemplars der Arithmetica behauptete, dafür einen "wahrhaft wunderbaren" Beweis gefunden zu haben, für den aber "auf dem Rand nicht genug Platz" sei. Die Randbemerkung findet sich exakt an der Stelle, an der Diophant den Fall n = 2 diskutiert.

Mit anderen Worten: Fermat stellte sich die offensichtliche Frage, was aus der  pythagoräischen Gleichung (siehe oben) wird, wenn man den Exponenten 2 durch 3 oder durch irgendeine natürliche Zahl n > 2 ersetzt. Besitzt die entstehende Gleichung ebenfalls ganzzahlige, positive Lösungen?

Fermat fand nun heraus, dass für n > 2 ganz andere Verhältnisse herrschen als für n = 2. Denn die Randnotiz von Fermat lautete wie folgt:

"Cubum autem in duos cubos aut quadrato quadratum in duos quadrato quadratos et generaliter nullam in infinitum quadratum potestatem in duos eiusdem nominis fas est dividere. Cuius rei demonstrationem mirabilem sane detexi. Hanc marginis exiguitas non caperet."

[Deutsche Übersetzung: Es ist nicht möglich, einen Kubus in zwei Kuben oder ein Biquadrat in zwei Biquadrate und allgemein eine Potenz, höher als die zweite, in zwei Potenzen mit demselben Exponenten zu zerlegen. Ich habe hierfür einen wahrhaft wunderbaren Beweis, doch ist der Rand hier zu schmal, um ihn zu fassen.]

Mehr als 350 Jahre knobelten Mathematiker an diesem Problem. Selbst Größen wie Gauß oder Euler bissen sich die Zähne aus (siehe unten).

Der britische Wissenschaftler Andrew Wiles bewies im Jahr 1993 bzw. 1998 (die Beweisführung war im Jahr 1993 noch lückenhaft) endgültig den letzten Satz von Fermat. Demzufolge gibt es keine Zahl n, die die Gleichung an + bn = cn erfüllt.

Die Schlüsselidee zum Beweis stammt von dem deutschen Mathematiker Gerhard Frey. Im  Jahr 1986 fand in Paris eine internationale Mathematiker-Tagung statt. Dabei stellte Frey seine Ideen über den Zusammenhang zwischen dem Fermat-Problem und der Taniyama-Vermutung vor. Die Zahlentheoretiker waren beeindruckt. Plötzlich erhob sich einer der Teilnehmer und erklärte, dies sei wohl der richtige Weg zum Beweis der Fermat-Vermutung. Der Name dieses Teilnehmers war Andrew Wiles. Nach der Tagung in Paris arbeitete Wiles sieben Jahre lang intensiv an der Lösung der Fermatschen Vermutung. Mit Hilfe der Iwasawa-Theorie und der Kolywagin-Flach-Methode gelang es schließlich Wiles, die Fermatsche Vermutung zu beweisen.

Unter Mathematikern gilt der Beweis von Andrew Wiles als einer der bedeutendsten des 20. Jahrhunderts. Heute nimmt man an, dass sich Fermat geirrt hat und er wohl später bemerkt hat, dass sein "wunderbarer Beweis" nicht stichhaltig war, versäumte es jedoch, seine Randbemerkung entsprechend zu korrigieren. Dafür spricht, dass Fermat in späteren Briefen dieses Problem nur in den Fällen n = 3 und n = 4 erwähnt. 

Exkurs: Die Suche nach dem Beweis

Paul Friedrich Wolfskehl (* 30. Juni 1856 in Darmstadt; † 13. September 1906 in Darmstadt) war Arzt und litt an Multiples Sklerose und konnte daher seinen Beruf nicht ausüben. Daher entschloss er sich Mathematik zu studieren. So studierte er einige Jahre bei Ernst Eduard Kummer (siehe unten) in Berlin und begegnete dort das erste Mal Fermats letztem Theorem. Offenbar war er von dem mathematischen Rätsel so fasziniert, dass er in seinem Testament die – für damalige Zeiten beachtliche Summe – von 100.000 Goldmark  für die Person stiftete, der das Fermat-Problem vollständig lösen würde.

Eine andere Legende erzählt, dass seine Liebe zu einer Frau von dieser nicht erwidert wurde, so dass er den Entschluss fasste, sein Leben zu beenden. Der Zeitpunkt seines Freitodes setzte er auf Mitternacht fest und vertrieb sich die Zeit bis dorthin mit dem Fermat-Problem. Die Legende berichtet weiter, dass er bei dieser Arbeit derart gefesselt war, dass er über ihr die Zeit vergaß. Wolfskehl überlebte wohl aus diesem Grund die Nacht und ließ von seinen Selbstmordgedanken ab. Gleich darauf änderte er aus Dank sein Testament. 

Nach der Satzung der Stiftung sollte die Summe von der Göttinger Akademie der Wissenschaften verwaltet werden, die auch die Richtigkeit der eingegangenen Lösungen zu prüfen hatte. Nach Ablauf von etwa 100 Jahren (Einsendeschluss: 23. September 2007) sollten die 100.000 Goldmark an die Akademie fallen, wenn sich bis zu diesem Zeitpunkt niemand mit einer richtigen Lösung gemeldet hatte. Im Jahr 1997 wurde der Preis an Andrew Wiles ausbezahlt. 

Beweis(-versuche) der Fermatschen Vermutung

Pierre de Fermat (1607/08–1665) 

1637: Problemstellung, Beweis für n = 4, und später andeutungsweise für n = 3.

Leonhard Euler (1707–1783) 

n = 3, Beweis unvollständig

Johann Carl Friedrich Gauß (1777–1855) 

n = 3: vollständiger Beweis

Johann Peter Gustav Lejeune Dirichlet (1805–1859) 

n = 5: Dirichlets Beweis war zunächst unvollständig; nach Kritik durch Legendre gab er einen Ansatz zur Vervollständigung; dieser wurde 1828 in Crelles Journal ausführlich publiziert

Johann Peter Gustav Lejeune Dirichlet 

n = 14: 1832 in Crelles Journal

Gabriel Lamé (1795–1870) 

n = 7: 1839 in Liouvilles Journal

Gabriel Lamé 

beliebig: 1841 in Liouvilles Journal (Beweis erschien unvollständig; Kritik durch Liouville)

Ernst Eduard Kummer (1810–1893) 

1844 in der Festschrift für das Königsberger Universitätsjubiläum: Die Lücke im Beweis bei Lamé kann nicht geschlossen werden! Der Beweisversuch von Lamé ist also endgültig als falsch zu bewerten. Kummers monumentales Theorem: 1850 in Crelles Journal: Beweis für alle Primzahlexponenten n = p, bei denen p eine sogenannte "reguläre" Primzahl ist. 

Andrew Wiles (* 1953) 

Im Jahr 1994 gelang es dem britischen Mathematiker Andrew Wiles zusammen mit seinem Schüler Richard Taylor, die Fermatsche Vermutung zu beweisen. Die Zahlentheoretiker gerieten in Aufruhr, denn mit Fermat war auch eine von dem Japaner Yutaka Taniyama 1954 veröffentlichte Strukturbeschreibung elliptischer Kurven bestätigt. Der Beweis der Taniyama-Vermutung ist die große Leistung Andrew Wiles, aber die Verknüpfung zweier durch 350 Jahre getrennter Theorien ist die große Leistung von Gerhard Frey.

Download:

Romeike, Frank (2007): Pierre de Fermat (Köpfe der Risk-Community), in: RISIKO MANAGER, Ausgabe 19/2007, Seite 22-24.

Download Artikel (PDF)

Weiterführende Literaturhinweise:

  • Barner, K. (2001): How old did Fermat become?, in: Das Leben Fermats, Mitteilungen der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, Heft 3, 9(2001), Berlin, S. 209–228.
  • Renyi, A. (1972): Briefe über die Wahrscheinlichkeit, Berlin 1972.
  • Romeike, Frank (2007): Pierre de Fermat (Köpfe der Risk-Community), in: RISIKO MANAGER, Ausgabe 19/2007, Seite 22-24.
  • Roquette, Peter (1998): Zum Fermat-Problem, Vortrag im Mathematischen Institut der Universität Heidelberg am 24.1.1998.
  • Singh, S. (2000): Fermats letzter Satz, München 2000.
  • Wiles, A. (1995): Modular Elliptic Curves and Fermat's last theorem. Annals of Mathematics 141 (1995), 443–551
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